Jan Korte, MdB (DIE LINKE) (www.jan-korte.de)

Gregor Gysi: "Lassen Sie den Unsinn mit Sanktionen gegen Russland"

Rede von Gregor Gysi zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum EU-Frühjahrsgipfel

20.03.2014
Gregor Gysi, DIE LINKE: Lassen Sie den Unsinn mit Sanktionen gegen Russland

In einer sehr guten Rede hat Gregor Gysi den Standpunkt der LINKEN zum Konflikt in der Ukraine erläutert und deutlich gemacht, dass nur mit Diplomatie und Verhandlungen an einem zukunftsfähigen Verhältnis zwischen der EU, Russland und der Ukraine gearbeitet werden kann:

(Gregor Gysi:)

"Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Frau Bundeskanzlerin, ich finde, Sie hätten lieber unseren Entschließungsantrag vorlesen sollen; das wäre inhaltsreicher gewesen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber kommen wir zum Ernst der Lage zurück. Ich sage: Die Lage ist wirklich ernst im Bezug auf die Ukraine und Russland, aber nicht hoffnungslos. Die Krim soll nun, unter Bruch des Völkerrechts, Bestandteil Russlands werden. Das Verfassungsgericht in Russland hat schon zugestimmt; jetzt werden noch die beiden Kammern des Parlaments zustimmen. Es ist übrigens interessant, dass Russland sich keine Gedanken darüber macht, dass dadurch natürlich aufseiten der Ostukraine, wenn Parlaments- und Präsidentschaftswahlen anstehen, über 1 Million Wählerinnen und Wähler fehlen - was ja auch Folgen hat. Aber das interessiert Russland nicht.
Wie vorhergesagt, hat sich Putin tatsächlich auf den Kosovo berufen. Ich bleibe dabei: Die Abtrennung des Kosovo war ein Bruch des Völkerrechts;

(Beifall bei der LINKEN)

da können Sie hier über edle Motive erzählen, was Sie wollen. Soldaten gab es nicht nur auf der Krim, Soldaten gab es auch im Kosovo. Einen Volksentscheid gab es übrigens nur auf der Krim und nicht im Kosovo.

(Zuruf des Abg. Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU))

Aber ich habe keine Zweifel, dass die Mehrheit der Bewohnerinnen und Bewohner des Kosovo die Abtrennung wollten. Wir können ebenfalls nicht leugnen, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung auf der Krim auch die Abtrennung will. Nur ist das für mich - das will ich auch gleich sagen - kein Grund.

Auf eines möchte ich Sie hinweisen: Aus dem Bruch des Völkerrechts kann irgendwann im Völkerrecht Gewohnheitsrecht entstehen, und das ist nicht ungefährlich. Deshalb habe ich Sie damals beim Kosovo so gewarnt. Ein bedrängter, unterdrückter Bevölkerungsteil - auch ein Bevölkerungsteil, gegen den Gewalt angewendet wird -, muss das Recht haben, sein Land zu verlassen - aber nicht mit Territorium; das geht nur mit Zustimmung des Staates, zu dem das Territorium gehört. Diesen Grundsatz haben Sie im Kosovo gebrochen, und dafür zahlen wir jetzt.
(Beifall bei der LINKEN - Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU): Auf der Krim gab es kein Srebrenica!)
Ich weiß, es gibt auch andere völkerrechtliche Auffassungen, sowohl in Bezug auf den Kosovo als auch in Bezug auf die Krim. Zum Beispiel wird gesagt, dass Chruschtschow unter Verletzung sowjetischen Rechts damals die Krim der Ukraine übergeben hat; er war ja selbst Ukrainer. Ehrlich gesagt, meine Auffassung ist dies nicht. Ich sage: In beiden Fällen war bzw. ist es völkerrechtlich nicht legitim.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Hinweis auf die ukrainische Verfassung, der von Ihnen immer kommt - auch von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin -, ist nicht besonders glaubwürdig. Sie sagen auf der einen Seite: Die ukrainische Verfassung verbietet eine eigene Volksabstimmung auf der Krim ohne Zustimmung der Zentralregierung. - Auf der anderen Seite interessiert es Sie aber nicht, dass in der ukrainischen Verfassung steht, dass der Präsident nur mit 75 Prozent der Stimmen im Parlament abgewählt werden darf - die nicht zusammenkamen. Also: Entweder die Verfassung gilt, oder sie gilt nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Heraus kommt auf jeden Fall eines: dass der Übergangspräsident und die Übergangsregierung nicht legitim sind; daran können Sie nichts ändern. Man kann mit ihnen trotzdem verhandeln - das bestreite ich nicht -; aber man muss wissen - und es ihnen sagen -, dass sie nicht legitim sind.
Wie wird es weitergehen? Ich sage es Ihnen: Letztlich werden irgendwann, früher oder später, alle Regierungen irgendwie akzeptieren, dass die Krim zu Russland gehört.
Nun sagen Sie: Man muss Sanktionen beschließen; denn wenn man keine Sanktionen beschlösse, dann bedeutete das, eine Völkerrechtsverletzung einfach hinzunehmen. Wirklich? Ich erinnere Sie an ein Beispiel: 1974 besetzten türkische Truppen den Nordteil Zyperns. Das war eindeutig und unbestritten völkerrechtswidrig. Sie haben damals nicht eine einzige Sanktion gegen die Türkei beschlossen. Warum nicht? Nur weil die Türkei im Gegensatz zu Russland in der NATO ist? Warum setzen Sie immer diese unterschiedlichen Maßstäbe? Warum können wir nicht mal einheitliche Maßstäbe setzen und anwenden?

(Beifall bei der LINKEN)

Übrigens: Zypern ist bis heute geteilt.

(Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sagen Sie doch mal etwas zu Putin!)

Ich sage auch: Sanktionen sind keine Politik, sondern ein Ersatz dafür. Die USA drängen aber auf Sanktionen, weil die Antwort Russlands, die darauf erfolgen kann, nicht die USA, sondern die Europäerinnen und Europäer und insbesondere die Deutschen treffen würde. Frau Merkel, Sie sind hier wieder das, was Sie bei der US-Regierung immer sind: Sie sind hörig gegenüber der US-Regierung.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Einen kleinen Augenblick, bitte, Herr Gysi. Ich darf darum bitten, dass offenkundig etwas länger dauernde bilaterale Gespräche nicht unmittelbar in der Nähe des Rednerpultes geführt werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Das sind dieselbe Hörigkeit und dasselbe Duckmäusertum wie bei den millionenfachen Abhöraktionen der NSA in Deutschland. Sie tun nichts dagegen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Glauben Sie, dass Ihre Freunde aus Russland nicht abhören?)

Es kommt noch etwas hinzu: Die USA planen jetzt neue Atomwaffen in Deutschland, Herr Kauder. Wir brauchen aber weder die alten noch neue Atomwaffen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage Ihnen eines: Wenn je von Deutschland aus eine Atomwaffe von den USA gestartet wird, dann trifft die Antwort uns und nicht die USA. Der Höhepunkt dabei ist: Wir sollen uns auch noch mit 20 Prozent an den Kosten beteiligen. Das sind 30 Millionen Euro. Ich frage Sie wirklich, Frau Bundeskanzlerin, Herr Steinmeier und Herr Schäuble: Wollen Sie ernsthaft für neue Atombomben der USA in Deutschland auch noch 30 Millionen Euro bezahlen? Die brauchen wir wirklich dringender für ganz andere Zwecke.

(Beifall bei der LINKEN)

Als Sanktionen wurden Kontensperrungen, Einreiseverbote und das Aussetzen der Verhandlungen über Visaerleichterungen und über wirtschaftliche Zusammenarbeit angesprochen. Außerdem soll Russland vom kommenden G-8-Gipfel ausgeladen werden; das wird also ein G-7-Gipfel. Daneben wurden weitere politische Maßnahmen und Wirtschaftssanktionen diskutiert.

Der Bundeswirtschaftsminister hat nun den Export von Rüstungsgütern nach Russland verboten. Dazu - das ist die Ausnahme - sagen wir: Das ist richtig. Das hat aber nichts mit den Sanktionen zu tun, sondern damit, dass Rüstungsexporte unserer Meinung nach generell eingestellt und verboten werden müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieses Verbot wird die russische Armee allerdings nicht sehr beeindrucken.
Ich frage Sie schon jetzt: Wie wollen Sie wieder raus aus den Sanktionen? Wollen Sie sagen, das geschieht, wenn die Krim wieder bei der Ukraine ist? Wenn das nicht geschieht: Wollen Sie sie ewig aufrechterhalten? Ich sehe schon, wie sich das nach einem oder zwei Jahren schleichend wieder auflösen wird.

Ich frage Sie: Gibt es keine andere Chance auch dafür, auf die Völkerrechtswidrigkeit hinzuweisen? Doch, die gibt es! Wir müssten umgekehrt herangehen und einmal nicht negativ und nicht in Form von Sanktionen denken. Wir könnten jetzt doch Verhandlungen mit der russischen Regierung aufnehmen und sagen: Okay, die EU und die NATO haben auch Fehler begangen; das stimmt. Das kann man doch einräumen; das kostet doch nichts und wäre eine Selbstverständlichkeit. Weiterhin könnte man den Russen sagen: Sie haben auch Fehler begangen, und jetzt zeigen wir Ihnen einmal, wie eine Perspektive für gute Beziehungen mit der EU und der NATO aussehen könnte und wie wir auch Ihre Sicherheitsinteressen berücksichtigen könnten.

Ich nenne einmal ein Beispiel, nämlich die Raketen in Polen und Tschechien. Die Russen haben gesagt, das beeinträchtige ihre Sicherheit. Der US-Außenminister hat daraufhin zum russischen Außenminister gesagt: Wieso das? Das hat doch gar nichts mit Russland zu tun. Dieser hat geantwortet: Würden Sie es akzeptieren, wenn wir Raketen in Mexiko aufstellten und sagten, das habe nichts mit den USA zu tun? - Natürlich nicht!

Ich sage: Wir müssen anders herangehen, nämlich eine Perspektive aufzeigen und dann sagen: Das knüpfen wir aber an die Bedingung, dass diese Art von Politik aufhört. Sie dürfen jetzt nicht lauter russische Inseln suchen und meinen, sie Russland wieder einverleiben zu können. Das wäre doch eine Perspektive. Gehen Sie doch einmal positiv und nicht nur negativ an die Sache heran, damit wir endlich ein Europa nicht gegen und ohne Russland, sondern mit Russland bekommen; denn sonst wird es auch mit unserer Sicherheit nichts.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun wollen Sie mit der Übergangsregierung der Ukraine den politischen Teil des Assoziierungsabkommens unterschreiben, mit einer Regierung, die nicht aus demokratischen Wahlen hervorgegangen ist und der Faschisten angehören. Wenn Sie uns schon angreifen Sigmar Gabriel tut das ja auch; das, was ich hier sage, können Sie ihm einmal bestellen und uns in die Ecke der kalten Krieger stellen, was Blödsinn ist das muss ich Ihnen einmal ganz klar sagen , dann hören Sie doch wenigstens auf den ehemaligen EU-Kommissar und Sozialdemokraten Günter Verheugen. Er sagt, dass es richtige Faschisten und nicht nur irgendwelche Nationalisten sind. Das ist ein fataler Tabubruch, und denen wollen Sie auch noch Geld geben. Ich bitte Sie! Ich finde, eine deutsche Bundesregierung muss hier ganz andere Maßstäbe setzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich meine das auch so. Am 13. März dieses Jahres habe ich ein Zitat von dem Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Svoboda,Tjagnibok gebracht.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Von 2004! Das war vor zehn Jahren!)

Er hat gesagt:
Schnappt euch die Gewehre, bekämpft die Russensäue, die Deutschen, die Judenschweine und andere Unarten.

Dann haben Sie, Frau Göring-Eckardt, erklärt, das Zitat sei von 2004. Was wollten Sie denn damit sagen? Meinten Sie, es sei verjährt? Oder wollten Sie damit sagen, dass er jetzt anders denkt? Entweder haben Sie nicht die Wahrheit gesagt oder sich zumindest geirrt; denn das Zitat stammt vom Oktober 2012. Lesen Sie das im sozialdemokratischen Vorwärts nach.

Ich würde mit dem Mann kein Wort wechseln, ihm schon gar nicht einen einzigen Euro übergeben und mit ihm auch keinen Vertrag schließen.

(Beifall bei der LINKEN)

Gestern haben Swoboda-Leute den Programmdirektor des Fernsehens in Kiew zusammengeschlagen und zum Rücktritt gezwungen, weil er die Rede von Putin dokumentiert hat. Der Hauptschläger ist im Parlament Mitglied des Ausschusses für Pressefreiheit.
Am 9. Februar 1990 hat US-Außenminister Baker zu Gorbatschow gesagt, die NATO werde sich keinen Inch nach Osten ausdehnen. Frau Merkel, Sie und ich säßen heute vielleicht nicht hier im Bundestag, Herr Gauck wäre vielleicht nicht Bundespräsident, wenn die NATO diese Zusicherung nicht gegeben hätte. Der Preis von Gorbatschow für die deutsche Einheit und die Zugehörigkeit ganz Deutschlands zur NATO war der Verzicht auf die Ostausdehnung der NATO; auch Genscher hatte das zugesichert. Diese Vereinbarung haben Sie verletzt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Im Übrigen hat Gorbatschow vielleicht etwas mehr für die deutsche Einheit getan als die britische Regierung, wenn ich daran einmal erinnern darf.

Aus der NATO wurde ein Interventionsbündnis, und zwölf Staaten des ehemaligen Ostblocks wurden aufgenommen: Tschechien, Polen, Ungarn, Estland, Lettland, Litauen, Slowakei, Slowenien, Bulgarien, Rumänien, Albanien und Kroatien.

(Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wollten die nicht?)

Ich habe nicht bestritten, dass sie beitreten wollten; das weiß ich. Aber die NATO wollte das auch, sonst wäre dieser Beitritt nicht zustande gekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Auf dem NATO-Gipfel in Bukarest 2008 wollten die USA das NATO-Gebiet auch auf Georgien und die Ukraine ausdehnen - die wollten das vielleicht auch -, aber da hat die Bundesregierung Nein gesagt, in den anderen Fällen nicht. Immerhin das haben Sie verhindert.
Putin sagte auf dem Gipfel in Bukarest wörtlich Folgendes - ich zitiere :

Das Entstehen eines mächtigen Militärblocks an unseren Grenzen würde in Russland als direkte Bedrohung der Sicherheit unseres Landes betrachtet werden.
Warum wurde daran nicht gedacht, warum von vornherein das Gezerre um die Ukraine, entweder zur EU oder zu Russland? Nie wurde begriffen, dass die Ukraine eine Brücke zwischen der EU und Russland sein muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt sage ich Ihnen ganz schnell die Lösungen.

Erstens. Lassen Sie den Unsinn mit den Sanktionen. Eine neue Spirale und weitere Zuspitzungen bringen nichts. China macht da nicht mit; das ist für Russland viel wichtiger. Sie müssen diese Sanktionen eines Tages sowieso wieder zurücknehmen. Das wird eher peinlich.

Zweitens. Keine Abkommen und Verträge mit dieser Übergangsregierung, sondern Unterstützung bei der Vorbereitung und Beobachtung demokratischer Wahlen in der Ukraine. Erst dann, mit legitimer Regierung und ohne Faschisten, können Verhandlungen geführt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens. Die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine muss ausgeschlossen werden.

Viertens. Der Status der Ukraine als Brücke zwischen EU und Russland ginge auch mit einer Perspektive der Mitgliedschaft der Ukraine in der EU, wenn sie auch mit Russland ausgehandelt ist und wir insgesamt eine Zusammenarbeit vereinbaren können.

Fünftens. Russland bleibt aufgefordert, auf weitere militärische Drohungen und Androhungen, erst recht auf die Anwendung von Gewalt, in der Ukraine und anderswo zu verzichten und die Ukraine als souveränen Staat anzuerkennen. Das muss mit einer klaren, positiven Perspektive der Beziehungen zu Russland seitens der EU und seitens Deutschlands verbunden sein,

(Beifall bei der LINKEN)

und zwar mit Russland als Bestandteil Europas und nicht außen vor.

Sechstens. Faschistische Organisationen und Parteien sowie paramilitärische Einheiten und andere illegale bewaffnete Formationen in der Ukraine sind aufzulösen. Das staatliche Gewaltmonopol muss durchgesetzt werden. Darauf müssen Sie bestehen, bevor Sie ihnen einen einzigen Euro überweisen oder Verträge mit ihnen abschließen."

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)

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