Jan Korte, MdB (DIE LINKE) (www.jan-korte.de)

»Bürger ohne Bock auf diesen Bundestag«

Interview in "neues deutschland" vom 12.12.2014

12.12.2014

Jan Korte wurde 1977 in Osnabrück geboren. Er ist Innenexperte der Bundestags-Linksfraktion und einer von deren Vizechefs. Korte ist verheiratet, Vater. Er mag Rock’n’Roll, angelt, ist oft im Wahlkreis 71 - Anhalt, also beispielsweise rings um Bitterfeld-Wolfen, zu treffen und zumeist gern gesehen: »Nur so funktioniert eine transparente, demokratische und bürgernahe Politik.« Mit ihm sprach René Heilig.

Es gibt Kritik. Die Arbeit des Bundestages wird von den Bundesbürgern kaum wahrgenommen. Da stimmt etwas mit dem Parlamentarismus nicht. Wie viele Leute aus Ihrem unmittelbaren Wahlkreis haben Ihre Arbeit in den letzten zwei Monaten im Bundestag wahrgenommen?

Jan Korte: Uff ... Da überschätzen sich wohl die meisten Abgeordneten, glaube ich. Aber grundsätzlich: Wir haben als Abgeordnete vor Ort eine Bringschuld. Ich versuche die über Bürgersprechstunden auf den Märkten und Plätzen – lieber als in den Büros – abzutragen, habe immer meine Wahlkreiszeitung dabei. Wo die Leute sind, muss man hingehen und versuchen, ins Gespräch zu kommen. Die Bürger sind alles andere als »unpolitisch«. Aber auf das, was hier in diesem Bundestag oft abgeht, haben sie keinen Bock. Das kann ich nachvollziehen.

Das klingt, als hätten auch Sie Frust in der Tasche?

Na mal ehrlich, diese überlangen Beweihräucherungsrituale von Union und SPD, diese gefühlten stundenlangen Elogen auf die Wohltaten der großen Vorsitzenden Angela Merkel – da könnte man ja als Linker auf die Idee kommen, das sei ein besonders mieser Plan der herrschenden Klasse, um uns mürbe zu spielen. Was natürlich nicht gelingt. Aber es ist natürlich schon ein Problem, dass sich die Parlamentarier der Großen Koalition offenbar selber nicht ernst nehmen. Sie wissen gar nicht, was sie mit dieser unendlichen Redezeit anfangen sollen. So verfallen sie eben in Propagandagesänge.

Eine gute Opposition kann auch in verordneter Kürze Stimmung in die Bude bringen. Aber zugegeben, die Studie kritisiert auch uns Medienleute. So wie der Parlamentspräsident auch. Der beklagt, dass ARD und ZDF statt Debatten zu übertragen, Daily Soaps senden. In jedem Fall wäre aber eine Live-Aquarium-Schau oft gehaltvoller. Oder?

Stimmt, niemand anderes als wir Abgeordnete können Politik wieder den Stellenwert geben, den sie braucht. Es gibt unheimlich viele Themen – Klimaschutz, die Schere zwischen Arm und Reich, die Finanzkrise und die Macht der Banken, Bundeswehr-Kriegseinsätze, die ungenügende Bildung und Kulturförderung, Rechtsextremismus, die Abhörgeschichten von NSA, BND und wer weiß von wem noch ...

Es gibt zu wenige Debatten über die Ausrichtung unserer Gesellschaft, über den Schutz und die Ausprägung von Demokratie, die jeden Tag neu verteidigt und gelebt werden muss. Ich halte die Idee der parlamentarischen Demokratie für das Beste unter allen schlechten Systemen, die es gibt. Sie attraktiv und spannend zu machen, ist natürlich eine Aufgabe für jeden Tag, wobei an der großen Langeweile vor allem die Große Koalition Schuld ist. Sie hält die wichtigen Debatten aus dem Parlament raus. Die übermächtige Regierung glänzt durch ignorante Routine. Sie beantwortet selbst Kleine Anfragen nur lustlos, oder gar nicht, schützt »Staatswohl« vor, verweist auf Geheimhaltung, selbst wenn schon alles in der Zeitung steht.

Was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, ist, dass Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU- und SPD-Fraktion das akzeptieren, sich also selbst das eigene Fragerecht beschneiden lassen. Mir scheint, es gibt nicht wenige Abgeordnete der Regierungsparteien, die das Prinzip der Gewaltenteilung nicht mehr verstehen. Wenn es beispielsweise im Innenausschuss harte Debatten gibt, scheint es mir oft, als säßen mir nicht Abgeordnetenkollegen sondern zwei Kompanien Öffentlichkeitsarbeiter von Geheimdiensten und des Bundesinnenministeriums gegenüber.

Wenn die Kollegen schon selber keine kritischen Nachfragen stellen wollen, dann sollten sie zumindest ein Interesse daran haben, dass das Parlament als Ganzes seiner Aufgabe nachkommt und wenigstens die Opposition eine Kontrollfunktion übernehmen kann. Was Union und SPD seit einem Jahr versuchen zu etablieren, ist eine Bundesregierung, die sich ein Parlament hält. Nach dem Grundgesetz sollte es aber andersherum sein. Ich kann nur an alle Abgeordneten appellieren, ihre Rechte offensiv wahrzunehmen.

Kann man wirklich alle über einen Leisten schlagen?

Es gibt eine ganze Reihe von Ausnahmen. Ich bin zum Beispiel froh, dass es einen Innenausschussvorsitzenden gibt, der nun in vielen Fragen politisch ganz und gar nicht auf meiner Wellenlänge ist, der aber einen Sinn für die Aufgaben des Parlaments hat und auch in vielen Fällen versucht, die Rechte der Opposition durchzusetzen. Um ihm nicht zu schaden, nenne ich keinen Namen …

Der aktuelle Bundestag ist nicht mehr das Parlament, in dem mal Herbert Wehner oder ein junger Joschka Fischer saßen? Da sollte man sich wenigstens mal das Britische Parlament angucken.

Genau, da geht die Post ab. Da haben der Premier und seine Minister sich den Fragen zu stellen. Mit unseren Fragestunden ist das nicht vergleichbar. Warum nur verspüren so wenige Kolleginnen und Kollegen hierzulande Lust daran, in Debatten klüger zu werden? Aber ich erinnere mich auch an die letzte Wahlperiode und eine exzellente Debatte über das Für und Wider des NPD-Verbots. Sowohl zwischen wie in den Fraktionen wurde engagiert nachgedacht. Doch: Früher war nicht alles besser und Joschka Fischer fehlt mir nun wirklich nicht.

Und dann wurde das NPD-Problem nach Karlsruhe geschoben ...

Aber klagen hilft nicht. Es ist unser Job als Linke, eine harte, klare Oppositionspolitik zu machen. Ohne Wenn und Aber. Dafür sind wir gewählt worden und dazu müssen wir uns Verbündete suchen. Ich erinnere mich gerne daran, wie wir das geschafft haben, als es um die Rehabilitierung der sogenannten Kriegsverräter ging. Damals regierte auch eine Große Koalition.

Wie fesselnd ist Fraktionsdisziplin? Warum springen Abgeordnete nur bei so höchst moralischen Fragen wie der Sterbehilfe über ihren politischen Schatten?

Ich finde es gut, dass eine Fraktion in den Grundlinien geschlossen agiert.

Was bei den Linken ja nicht immer der Fall ist...

Was bei der LINKEN nicht immer der Fall ist. Das macht ja auch den Charme dieser wunderbaren Partei aus ... Na ja. Aber mal im Ernst. Man kann vom Europäischen Parlament lernen. Da gibt es über Fraktionsgrenzen hinaus spannende Bündnisse. Zum Beispiel im Bereich des Datenschutzes. Nun wäre es falsch zu glauben, wir in der Linksfraktion wären Abschottungsfanatiker. Wir bemühen uns auch außerhalb des Parlaments um Verbündete. Beispielsweise im Zusammenhang mit der Snowden-Enthüllung zu NSA-Menschenrechtsverletzungen.

Klar, wer im Parlament beachtet werden will, muss auch das Engagement außerhalb des Parlaments beachten. Hat die LINKE wirklich so viele natürliche Verbündete?

Objektiv sicher. Und bisweilen auch real. Aber ich glaube, zwei Dinge sind wichtig, wenn man den außerparlamentarischen Raum betrachtet. Zum einen neigt die Linke dazu, außerparlamentarische Bewegungen »hochzureden«, obwohl es sie real in dem Umfang gar nicht gibt. Fünf Leute mit einem »Transpi« sind gut, aber noch lange keine Bewegung. Um Enttäuschungen auf beiden Seiten vorzubeugen, müssen wir analysieren, was gibt es dort draußen? Oft wundern wir uns, dass viel passieren müsste – und so wenig passiert.

Zum zweiten haben wir ja die höchst unerfreuliche Tendenz, dass sich Protest in diesem Land zur Zeit rechts artikuliert, nicht fortschrittlich und aufklärerisch. Es wird nicht gegen »die da oben« demonstriert. Es geht vielmehr gegen »die da unten«. Gegen die Schwachen, gegen Menschen, die bei uns Schutz suchen. Das ist natürlich gerade für die LINKE eine große Herausforderung. Die müssen wir annehmen, da müssen wir gegenhalten. Diese Tendenz hätte uns als Partei und Fraktion schon früher und etwas mehr auffallen müssen.

Noch ein völlig anderes Beispiel. Der Hamburger Volksentscheid für mehr Gerechtigkeit im Bildungssystem, für den wir uns stark gemacht haben. Es passierte folgendes: Ein völlig enthemmtes oberes Bürgertum fuhr den Ellenbogen aus und sagte, was mit euch Kids dort ganz unten ist in den abgehängten Stadtteilen, das ist uns im Kern egal. Wir verteidigen unsere Privilegien mit allen Mitteln. Dann kam der Volksentscheid. Die Gegner gewannen. Warum? Weil die, für die wir die Abstimmung initiiert hatten, zu einem erheblichen Teil gar nicht zur Wahl gingen. Bürgernahe Arbeit, die Verteidigung von Bürgerinteressen ist eine Herausforderung, die wir annehmen müssen. Letztendlich führt kein Weg daran vorbei, sich intensiv um das »kleinteilige Zeug« vor Ort zu kümmern. Das ist mühselig, aber das ist, finde ich, ohne Alternative, wenn man wirklich und dauerhaft etwas zum Besseren wenden will. Wenn wir als Linke zukunftsfähig sein wollen, müssen wir die Demokratisierung der Demokratie vorantreiben.

Doch die Meinungshoheit lässt sich für die Regierung viel einfacher über Presseerklärungen herstellen. Die werden dann 1:1 in der »Tagesschau« verlesen ...

Ich würde mir auch öfter den Konjunktiv wünschen. Und mehr noch: Seit jüngstem werden von manchen Ministerien Antworten auf unsere Kleine Anfragen um die Ecke herum und vorab genehmen Journalisten zugeschoben. Man will uns Abgeordneten einfach den Interpretationsrahmen beschneiden. Mir geht das richtig auf den Senkel!

Und dann gibt es noch Drohungen mit dem Staatsanwalt. Das Kanzleramt verschickte so eine an den NSU-Ausschuss. Wie absurd ist das?

Da wird die Beschneidung der Parlamentsrechte auf die Spitze getrieben. Es geht um nichts anderes als um Einschüchterung. Das darf sich das Parlament in Gänze nicht bieten lassen.

Ab und zu mal ein klares Wort vom Bundestagspräsidenten wäre sicher nicht verkehrt?

Ja, aber der ist ja in letzter Zeit mehr damit beschäftigt, antikommunistische »Kultur-Highlights« im Plenum zu inszenieren.

Es gibt noch eine Sitzungswoche vor der großen Besinnlichkeit. Wird sich der Bundestag noch mit diesen widerlichen Aufmärschen »zum Schutz des Abendlandes« befassen?

Das wäre in der Tat dringlich! Die Staatsspitze – Merkel, Gauck und andere – sollten ein deutliches Stoppsignal gegen solche Volksverhetzung setzen. Und richtig, auch das Parlament muss sich seiner Verantwortung stellen und deutlich machen, dass wir als reiches Land nicht herumzujammern brauchen, sondern Menschen helfen, die in Not sind und unseren Schutz brauchen.

Erschienen in neues deutschland vom 12.12.2014: »Bürger ohne Bock auf diesen Bundestag«

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