Dieses Europa ist es nicht!
Erschienen auf www.neues-deutschland.de am 12.7.2015
Ich bin Jahrgang 1977 und in Westdeutschland groß geworden. Ich verband mit Europa durchweg etwas Gutes, Weites und Offenes. Als junger Mensch bin ich mit meinen Freundinnen und Freunden per Interrail durch Europa gereist: Mit wenig Kohle, Rucksack und jeder Menge Neugier auf die vielen, neuen Menschen, Landschaften, Kulturen und Erfahrungen. Geschlafen wurde im Zug oder – am besten – an den Stränden des Mittelmeeres. Besonders gerne war ich in Griechenland. Dabei lernten wir unendlich viele europäische Freundinnen und Freunde kennen. Auch und insbesondere in Griechenland. Und gerade jene Freunde werden aktuell unter direktem Druck Deutschlands um Ihre Zukunft gebracht. Das kotzt mich an.
Heute, im Juli 2015, geht es bei Europa nur noch um das Sparen und das Zurichten eines Landes wie Griechenland nach deutschen, mittlerweile durch und durch ideologischen, neoliberalen Austeritätsdogmen. Schon die deutsche Herrensprache, die den frechen Griechen zeigt, wo der Hammer hängt, ist befremdlich, abstoßend und von solch einer Aggressivität durchtränkt, dass mir dabei anders wird.
Ich habe schon lange nicht mehr so geflucht und Schimpfwörter beim Nachrichtenverfolgen verwandt, wie in den letzten Wochen. Journalisten – besonders im öffentlich-rechtlichen Rundfunk – die bei jedem deutschen Wichtig-popichtig-Politiker Ergebenheitsfragen stellen, lassen gegenüber der linken, griechischen Regierung mal richtig die Sau raus. Da gibt es kein Halten. Der Bayrische Rundfunk berichtet von einem Referendum, also einer demokratischen Volksabstimmung, wie aus einem Bürgerkriegsgebiet. Mehrere Journalisten befragen einen nach dem Lebensstil von Varoufakis und wieviel er verdient hat. Noch nie sind diese auf die Idee zu kommen, das mal die Politikerkaste von Pasok und Nea Demokratika zu fragen, die jahrzehntelang das Land ausgequetscht haben. Hier stimmt etwas nicht mehr.
Und mich lässt es erschaudern, wenn große Medien, Schäuble, Merkel, Gabriel und Schulz gemeinsam, das angebliche Volksempfinden bedienen und befeuern. Wenn wir sehen, was gerade gegen Flüchtlinge in unserer Gesellschaft abgeht, der Hass, die Gewalt und die Verrohung der zivilisatorischen Sitten, dann kann man es nicht so laufen lassen. Es findet offenbar eine Feinderklärung nach Innen (Flüchtlinge und deren Unterstützer) und eine Feinderklärung nach Außen (Griechenland) statt. Beides ist so unendlich gefährlich, gerade und besonders, wenn es von Teilen der Eliten und deren Hofnarren (Gabriel) befeuert wird. Der SPD-Vorsitzende redet von der griechischen Regierung als einer, die teils kommunistisch sei. Das ist so grotesker Unsinn. Er sollte sich mal die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) angucken, dann weiß er was harte Kommunisten sind. Schäuble tritt auf, als ob Europa sein Eigentum wäre. Die Attitüde ist dabei so griesgrämig, leidend, als ob er allein alles in Europa zu stemmen habe. Für mich muss er das nicht machen! Alle zusammen verlangen eigentlich einen de facto-Staatsstreich in Griechenland, weil Ihnen die Regierung nicht passt.
Als älterer, junger Linker macht mir der neue Nationalismus nach innen und außen Angst. Es macht Angst, wie geschichtslos, deutschtümelnd und kalt hier gezockt wird.
Ich bin auch kein Ökonom, aber dass das weitere Sparen in Griechenland ja wohl keine Lösung sein kann, sieht doch jeder, der klar bei Verstand ist und besonders derjenige, der noch Empathie mit denen empfindet, die das Ganze ausbaden müssen. All das Gute, die Idee eines solidarischen Europas wird gerade zerstört.
Ja, offenbar zeigen die Umfragen, dass ca. 75 Prozent der Deutschen den Schäuble-Merkel-Gabriel-Kurs für richtig halten. Die gute Nachricht: Ich freue mich, dass dementsprechend 25 Prozent dagegen sind. Daran müssen wir anknüpfen. Wir müssen diejenigen zusammenbringen, denen bei forscher, deutscher Ansage mulmig wird; bei denen, die von den Ideen eines offenen Europas und ihren europäischen Freundschaften geprägt wurden und den Kontinent nicht den Rechten, Konservativen und Technokraten überlassen wollen; die schlicht Internationalisten sind und grundsätzlich auf der Seite derer stehen, die verarmt sind, die bespuckt werden und gegen die gehetzt wird.
Aus 25 Prozent können auch 30 und 40 Prozent werden. Vielleicht auch eine Mehrheit. Dafür braucht man aber eine klare Haltung. Und ein breites Bündnis von allen die eine Alternative zu Neoliberalismus und Nationalismus wollen. Gewerkschaften, soziale Bewegungen, Künstler, Autoren, Musikerinnen, Intellektuelle, einfach alle, die nicht in einem Pickelhauben-Europa leben wollen, müssen jetzt zusammen aktiv werden. Erkämpfen wir uns Europa zurück, gestalten wir es grundlegend anders.
Und Merkel, Schäuble, Gabriel und Schulz: Euch kann man dabei sicherlich nicht gebrauchen.