Jan Korte, MdB (DIE LINKE) (www.jan-korte.de)

Modern: Für einen sozialen Aufbruch. Für entschlossene Friedenspolitik. Handeln aus Überzeugung

18.11.2015

Am Montag und Dienstag fand in Bad Saarow die Klausur der Bundestagsfraktion statt. Die politischen Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten der LINKEN haben die Vorsitzenden der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, in einer Erklärung zusammengefasst:

Die Bundesrepublik Deutschland steht vor einer gesellschaftspolitischen Zeitenwende. Entweder Erneuerung für mehr Gerechtigkeit oder neoliberale Radikalisierung. DIE LINKE im Bundestag will einen sozialen Aufbruch und entschlossene Friedenspolitik.

Unser Gemeinwesen, laut Grundgesetz eine freiheitlich demokratische Grundordnung, wird von einer Koalition regiert, in der Hauen und Stechen, Erpressung und Nötigung an der Tagesordnung sind. Die Zahl der Nichtwähler/innen wächst auch deshalb, weil immer weniger Menschen den Regierenden zutrauen, mit den Herausforderungen der Zeit klar zu kommen.

Es kann nicht so weitergehen wie bisher. Die falschen politischen Weichenstellungen der Vergangenheit, für die in Deutschland CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne die Verantwortung tragen, haben eine Entwicklung eingeleitet, die die Demokratie, den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger, die Idee des geeinten Europa und die Grundwerte einer freiheitlichen Gesellschaft zu zerstören droht. Wir brauchen einen sozialen Neubeginn, eine wirtschaftspolitische Wende, effektiven Klimaschutz und die Rückkehr zu einer deutschen Außenpolitik, die auf Frieden und Diplomatie statt auf Waffenexporte und militärische Abenteuer setzt.

Die aktuelle Große Koalition hat kein Konzept, Deutschlands Zukunft zu gestalten. Sie agiert hilflos, planlos, ziellos. Obwohl der soziale Auftrag des Grundgesetzes allen ein menschenwürdiges Leben garantieren soll, müssen in Deutschland immer mehr Menschen mit Niedriglöhnen und Armutsrenten auskommen, wurden Investitionen und Bildungsausgaben sträflich vernachlässigt, der öffentliche Dienst kleingespart und immer mehr Aufgaben, die in öffentliche Verantwortung gehören, dem Markt übertragen. Probleme wie der Mangel an Lehrern, Finanznot in Städten und Gemeinden und das Fehlen bezahlbaren Wohnraums werden durch die große Zahl der Flüchtlinge verschärft, aber neu sind sie nicht. Seit Jahren schon driftet unsere Gesellschaft auseinander, die Ungleichheit wächst. Den wirtschaftlichen und politischen Eliten ist der Wertekompass abhanden gekommen. Hochprofitable Konzerne nutzen jede legale und halblegale Gelegenheit, die Löhne zu drücken und sich ihrer Verpflichtungen für das Gemeinwesen zu entziehen. Windige Geschäfte, Manipulation und offener Betrug wurden von VW bis zum DFB offenbar als normale Geschäftspraktiken angesehen. Ein Land, in dem die Kinderarmut wächst, während den Reichsten erlaubt wird, ihr Geld in Steueroasen zu bunkern, wird die aktuellen Herausforderungen nicht bewältigen.

Statt an Willy Brandts Credo festzuhalten, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen darf, hat sich auch Deutschland an sogenannten Anti-Terror-Kriegen der USA beteiligt, die hunderttausenden Zivilisten den Tod gebracht, Wut und Hass gesät und in der Konsequenz den internationalen Terrorismus nicht geschwächt sondern gestärkt haben. Deutschland schickt Waffen und Soldaten in alle Welt und unterstützt die Regime-Change-Politik von NATO und USA, die mitverantwortlich dafür ist, dass Millionen Menschen ihre Heimat verloren haben und eine der größten Flüchtlingsbewegungen der jüngeren Geschichte ausgelöst wurde.

Statt fairer Handelsabkommen zur weltweiten Stärkung von Verbraucherschutz und Mitbestimmung werden armen Ländern Freihandelsabkommen diktiert, die ihre lokale Industrie und Landwirtschaft zerstören und die Armut extrem vergrößern. TTIP und CETA würden die Demokratie zugunsten von Profitinteressen ganz beerdigen.

Trotz aller Missstände ist Deutschland im weltweiten Vergleich ein reiches und wirtschaftlich starkes Land. Zu uns kommen Hunderttausende, die vor Krieg, Hunger und Elend flüchten. Viele – oft ehrenamtlich aktive – Helferinnen und Helfer heißen sie willkommen. In den Ländern, Landkreisen und Kommunen wird eine großartige Arbeit geleistet, oft bis zur Erschöpfung. Flüchtlinge und Asylsuchende stoßen jedoch auch auf Vorbehalte, auf nicht zu tolerierenden Hass und Gewalt. Sie aber sind nicht die Schuldigen an der hiesigen sozialen und gesellschaftlichen Misere. Wir wenden uns entschieden dagegen, die Schwächsten gegen die Schwachen auszuspielen. Gerade deshalb muss verhindert werden, dass die Flüchtlingskrise für eine neue Welle von Sozialabbau und Lohndumping missbraucht wird.

Auf keinen Fall dürfen jetzt diejenigen noch mehr Aufwind erhalten, die die barbarischen Terroranschläge von Paris instrumentalisieren, um ihre Hetze gegen Flüchtlinge voranzutreiben. Die Menschen, die zu uns kommen, fliehen selbst vor Terror, Krieg und Gewalt. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie jetzt unter Generalverdacht gestellt werden.

Die Bundesrepublik Deutschland muss ihren Beitrag leisten, dass die Würde der Menschen unantastbar ist. Aller Menschen. Überall. Das Bild des dreijährigen Aylan Kurdi aus der nordsyrischen Stadt Kobane ging um die Welt. Das tote Kind am Strand von Bodrum wurde zum Sinnbild einer menschenverachtenden Politik. Mit einer solchen Politik wird sich Die Linke niemals abfinden!

Wir wollen mit allen zusammenarbeiten, denen Gerechtigkeit, Demokratie und Frieden am Herzen liegen, die gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aufstehen. Die Aufgaben sind nicht von heute auf morgen zu bewältigen, aber heute muss damit begonnen werden.

Wir halten es für erforderlich, folgende Maßnahmen sofort zu ergreifen:

  • Ein Bundes-Zukunfts-Programm in Höhe von 25 Milliarden Euro aufzulegen, mit dem Bildung, Gesundheit, Pflege und andere soziale Dienstleistungen sowie öffentliche Infrastruktur für alle ausgebaut, Arbeitsplätze geschaffen und die Kommunen finanziell unterstützt werden. Der Staat muss wieder handlungsfähig werden.
  • Die Mittel des Bundes für aktive Arbeitsmarktpolitik von derzeit 3,9 Milliarden Euro auf 5,6 Mrd. € zu erhöhen. Es muss zusätzlich mehr Geld für Personal in der Arbeitsvermittlung und Leistungsgewährung zur Verfügung gestellt werden.
  • Ab sofort in Deutschland jährlich mindestens 200.000 Sozialwohnungen zu bauen. Dafür sind die Kompensationszahlungen an die Länder auf mindesten 1,5 Mrd. Euro pro Jahr aufzustocken.
  • Die Regelsätze der Grundsicherung auf 500 Euro pro Monat zu erhöhen, die Sanktionen sind abzuschaffen. Die Grundsicherung ist mittelfristig durch eine bedarfsdeckende sanktionsfreie Mindestsicherung zu ersetzen.
  • Das Kooperationsverbot in der Bildungspolitik aufzuheben, damit auch der Bund direkt in die schulische Bildung sowie in die Ausbildungen von Lehrenden und Erziehenden investieren und gemeinsam mit den Ländern die Substanz des Bildungssystems erhalten und verbessern kann.
  • Die Vermögenssteuer als Millionärssteuer wieder einzuführen, Kapitalerträge höher zu besteuern und die Erbschaftssteuer zu reformieren.
  • Eine Sonderabgabe der deutschen Rüstungsindustrie zu erheben, um die Kosten der Integration mitzufinanzieren.
  • Jegliche Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete sowie an in militärische Konflikte involvierte Staaten zu stoppen.
  • Ein Flüchtlingsaufnahmegesetz zu verabschieden, das bundesweit einheitliche Standards und Verfahren vorgibt. Kernelement muss die Übernahme aller Unterbringungs- und Versorgungskosten durch den Bund für die Dauer des Asylverfahrens und für eine Übergangszeit nach einer Anerkennung sein.
  • Effektive Maßnahmen zur Beschleunigung der Asylverfahren zu ergreifen und Integration von Beginn an zu gewährleisten, statt Flüchtlinge zu entrechten und auf Abschreckung zu setzen.
  • Asylsuchenden schnell Zugang zu Sprachkursen zu ermöglichen und Schritte zur frühzeitigen und gezielten Eingliederung in Arbeit aufzuschließen.
  • Die Bundesregierung muss sich im Rahmen der Europäischen Union einsetzen:
    • ​für die sofortige Erhöhung der finanziellen Beiträge der EU-Mitgliedsstaaten für die Flüchtlingshilfe der Vereinten Nationen;
    • für eine grundlegende Änderung der Dublin-Verordnung zugunsten einer solidarischen europäischen Flüchtlingspolitik; Länder, die sich der Flüchtlingsaufnahme komplett verweigern, sollten auch nicht mehr uneingeschränkt Zugriff auf die Finanzierungsfonds der EU haben;
    • für die Schaffung legaler und sicherer Einreisewege. Als notwendigen Zwischenschritt erachten wir den Ausbau einer effektiven und zivilen Seenotrettung im Mittelmeer.

erschienen auf linksfraktion.de, 16. November 2015

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