Jan Korte, MdB (DIE LINKE) (www.jan-korte.de)

LINKE kann ablehnendem Beschluss zu Petitionen zur Vorratsdatenspeicherung nicht zustimmen

07.07.2016

Erklärung nach § 30 GO zu Zusatztagesordnungspunkt 3j

der Abgeordneten Jan Korte, Kerstin Kassner, Kersten Steinke und Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung am 07.07.2016 im Bundestag über die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses:

Sammelübersicht 350 zu Petitionen (Strafprozessordnung) Petition 4-17-07-3120-022619 u.a. (Strafprozessordnung)

Zwar besteht hinsichtlich der Aufforderung an die Bundesregierung, sich für eine Aufhebung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) einzusetzen, inzwischen kein Handlungsbedarf mehr, dennoch können wir den ablehnenden Abschluss der Petitionen nicht zustimmen, da die darin geäußerten Kritikpunkte aus unserer Sicht auch nach Aufhebung der EU-Richtlinie aufgrund des Inkrafttreten des neuen Gesetzes zur VDS in Deutschland am 18. Dezember 2015 Bestand haben.

Jede Speicherung und Verarbeitung von personenbezogenen und personenbeziehbaren Daten stellt einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Es ist dabei unerheblich, ob die Speicherung bei staatlichen Stellen oder durch gesetzliche Verpflichtung bei privaten Stellen stattfindet. Um das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu schützen, wurden im Datenschutzrecht wesentliche Grundsätze entwickelt: der Erlaubnisvorbehalt für die Erhebung, Speicherung und Verarbeitung von Daten; Datensparsamkeit und Datenvermeidbarkeit, Zweckbindung erhobener Daten; Erforderlichkeit für den zu erreichenden Zweck; Transparenz darüber, wo welche Daten gespeichert sind.

Durch eine VDS werden diese Grundsätze und damit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Daten werden ohne jeden konkreten Anlass und in großen Massen gespeichert. Nur ein Bruchteil der gespeicherten Daten wird für den Zweck der angestrebten Aufklärung schwerer und schwerster Straftaten abgerufen werden.

Die VDS kann nicht allein aus der Perspektive des Bedarfs der Sicherheitsbehörden an Daten zur Verbrechensaufklärung oder der Gefahrenabwehr betrachtet werden. Der Gesetzgeber steht auch in der Pflicht, die grundrechtlichen und gesellschaftspolitischen Folgen einer solchen Speicherpflicht in den Blick zu nehmen. Verspüren die Bürgerinnen und Bürger angesichts immer neuer Speicherpflichten, erweiterter Zugriffsmöglichkeiten von Behörden auf vorhandene Daten, das massenhafte Ausspähen von Daten durch eigene und fremde Nachrichtendienste, Daten- und Identitätsdiebstahl im Internet eine zunehmende Verunsicherung, so liegt darin auch eine Gefahr für die Demokratie.

Die Befürchtung, wonach die VDS, mit ihrer derart weitreichenden Registrierung sensibler Informationen, Datenmissbrauch und –pannen begünstige, konnte nicht ausgeräumt werden. Gleiches gilt für die prognostizierte Gefahr, dass sich aufgrund der VDS die Bürger beobachtet und kontrolliert fühlen und unter einer Art Generalverdacht stünden. Insbesondere jedoch die Gefahr, dass aufgrund des erheblichen Interesses an den gesammelten Daten die ursprünglich gesetzten Grenzen für die Verwendung der Daten zunehmend aufgeweicht werden, hat sich mittlerweile bestätigt: Bereits wenige Tage vor Inkrafttreten der VDS unternahm die CSU bereits einen ersten Vorstoß zur Ausweitung des Gesetzes. Am 15. Dezember 2015 beschloss die Landesregierung in Bayern ein neues Verfassungsschutzgesetz, das dem Geheimdienst ermöglicht, die bei der VDS gespeicherten Informationen anzuzapfen. Diese Möglichkeit hatte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) im Gesetzgebungsprozess stets öffentlich verneint. Außerdem ist bis zum heutigen Tag nicht erkennbar, geschweige denn in irgendeiner Form empirisch belegt, dass alternative Ermittlungsmethoden signifikante Nachteile für die Strafverfolgung nach sich zögen.

In der am 21. September 2015 zu der Thematik im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags durchgeführten Öffentlichen Anhörung mussten auch die von der Koalition benannten Sachverständigen einräumen, aussagekräftige Statistiken nicht liefern zu können. Heide Sandkuhl vom Deutschen Anwaltverein (DAV) wies zu Recht darauf hin, dass der Gesetzgeber aber genau dies vor einer Verabschiedung des Gesetzes leisten müsse und es eben nicht ausreiche, einfach zu behaupten, dass die Strafverfolgung einer VDS für alle 80 Millionen Bundesbürger bedürfe. Laut einer Studie wirke sie sich nämlich auf die Verbrechensbekämpfung praktisch gar nicht aus und auch seit dem Wegfall der VDS im Jahr 2010 seien keine Sicherheitslücken nachweisbar. Sie wies außerdem darauf hin, dass der Gesetzentwurf – anders als das Bundesjustizministerium behaupte – Auskunftsrechte für Geheimdienste enthält. Staatliche Stellen dürften selbst „Früchte illegaler Datensammlung“ verwerten.

Der Anwalt Meinhard Starostik kritisierte in seinem Statement ebenfalls, dass noch immer nicht zweifelsfrei erwiesen wäre, dass die VDS erforderlich sei. Er verwies außerdem auf den Begriff der Überwachungsgesamtrechnung. Diese sei vor dem Hintergrund neuer Überwachungsmaßnahmen wie den sieben Millionen jährlich automatisiert beauskunfteten Bestandsdaten und den Enthüllungen von Snowden neu zu bewerten. Starostik wies ferner darauf hin, dass es außerdem im privaten Bereich noch viele andere Datensammlungen von erheblichem Umfang gebe, auf die der Staat prinzipiell ebenfalls zugreifen könne. Entsprechend seien die Risiken einer Profilbildung enorm gewachsen.

Als problematisch erweist sich auch, dass sich die Bundesregierung im Gesetzgebungsprozess im Detail keinerlei Gedanken zur konkreten Umsetzung des Gesetzes in punkto Datensicherheit gemacht hatte und lediglich darauf verwies, dass die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Bundesnetzagentur) entsprechende Verfahren „nach dem Stand der Technik“ im Benehmen mit dem BSI und der Bundesdatenschutzbeauftragten festlegen werde. Der kürzlich von der Bundesagentur vorgelegte Entwurf zum „Katalog von technischen Vorkehrungen und sonstigen Maßnahmen“, der die Anforderungen an die im vergangenen Jahr beschlossene Vorratsdatenspeicherung nun konkretisiert und deren Vorschriften spätestens am 1. Juli 2017 von den Providern umgesetzt sein müssen, könnte für viele betroffene Unternehmen den finanziellen Ruin bedeuten. Denn für eine entsprechende technische Umsetzung müssten zunächst vollkommen neue Systeme entwickelt werden. Zudem haben sich Hersteller bereits dahingehend geäußert, dass sie vorerst keine entsprechenden neuen Systeme entwickeln werden – weil noch nicht sicher ist, ob die Vorratsdatenspeicherung dieses Mal vor Gerichten Bestand hat.

DIE LINKE hat mit ihrem Antrag „Auf Vorratsdatenspeicherung verzichten“ ihre prinzipielle Ablehnung einer VDS deutlich gemacht. Sie ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger und grundsätzlich nicht mit der Europäischen Grundrechtecharta vereinbar. Das ‘Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten’ verstößt aus unserer Sicht in den zentralen Fragen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gegen die Grundrechte.

Die Petitionen, von denen die größte von 64.704 Mitzeichnern unterstützt wurde, wären ein guter Anlass gewesen, das hinter der VDS stehende Sicherheitskonzept der Massenüberwachung zu überdenken, im Bundestag breit über eine bürgerrechtliche Kehrtwende in der Innenpolitik zu debattieren und das von weiten Teilen der Bevölkerung als nicht verfassungskonform eingeschätzte Gesetz vor entsprechenden Urteilen in Karlsruhe und Luxemburg zurückzunehmen. Der negative Abschluss aller Petitionen stellt somit eine vertane Chance dar.

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