„565 von einst fünf Millionen“
Deutschland will symbolische Wiedergutmachung gegenüber Rotarmisten leisten
Von René Heilig
Rund fünf Millionen sowjetische Soldaten gerieten während des Zweiten Weltkrieges in deutsche Kriegsgefangenschaft. Historiker schätzen, dass 3,3 Millionen von ihnen ums Leben kamen. Man ließ sie verhungern, verdursten, erfrieren, presste das Leben durch Zwangsarbeit aus ihnen heraus oder brachte sie direkt um.
Seit Jahren setzte sich vor allem die Linksfraktion im Bundestag dafür ein, dass den letzten Überlebenden der Barbarei etwas Gerechtigkeit wiederfährt. Das Parlament beschloss Ende September 2015, ehemalige gefangene Rotarmisten könnten einen Antrag stellen und eine einmalige Anerkennungsleistung in Höhe von 2500 Euro erhalten.
Zuständig für die Bearbeitung der Anträge ist das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV). Bislang, so informierte die Bundesregierung nun, gingen 1356 Anträge ein. 565 seien positiv beschieden, 61 aus verschiedenen Gründen abgelehnt worden. 285 der formell gültigen Anträge hat das Bundesamt noch nicht abschließend bearbeitet. Die Buchführung des BADV scheint penibel genau. Aus Russland kamen bislang fast 700 Anträge, aus der Ukraine gut 300, es folgen Armenien, Belarus, Georgien, Aserbaidschan, Kasachstan, aus Deutschland wurden sechs und aus Kirgistan und Usbekistan je fünf Anträge gestellt.
Fünf Millionen Kriegsgefangene, 565 positiv entschiedene Anträge - man mag über das Verhältnis nicht nachdenken. Insgesamt, so schätzen Experten, könnten noch 4000 Angehörige verschiedenster damals in der Sowjetunion zusammengeschlossener Völkerschaften Anträge stellen. Doch die Bundesregierung sieht sich »angesichts der positiven Entwicklung der Antragszahlen« in ihrer Auffassung bestätigt, »dass die bisher von ihr getroffenen Maßnahmen zur Information des betreffenden Personenkreises umfassend und ausreichend sind«. Weshalb man das Geld für kostenpflichtige Anzeigen spart. Medien in russischer Sprache hätten das Thema aufgegriffen und es gebe sogar örtliche Behörden, die Informationen über die Anerkennungsleistungen auf ihre Internetseiten gestellt haben. Kurzum, aus Regierungssicht gibt es keine Probleme - abgesehen von jenen mit der »Postzustellung und der Auszahlung der Leistung auf der Krim«.
So gering schätzt der Vizechef der Linksfraktion Jan Korte die Probleme nicht ein. Sicher ist er, dass »die von uns angestoßene Entscheidung zur symbolischen Anerkennungsleistung richtig war«. Dass sie viel zu spät kommt, sei ebenso klar. »Aber noch ist nicht mal die Hälfte der möglichen Anspruchsberechtigten erfasst. Die Bearbeitung der Anträge - sie dauert bis zu vier Monate - koste zudem wichtige Zeit, die die Menschen nicht haben. Wesentlich kritischer sieht Korte die Tatsache, «dass der Bundestag es bis heute nicht fertiggebracht hat, in einer gemeinsamen Erklärung aller Fraktionen das Leid der sowjetischen Kriegsgefangenen offiziell anzuerkennen». Der 75. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion im Juni wäre Gelegenheit dafür gewesen. Seine Fraktion habe dazu auch einen Antrag eingebracht und alle anderen zum Mittun eingeladen. Die Grünen zogen mit, allein: «Die Koalitionsfraktionen haben es nicht einmal für nötig befunden, auf diese Initiative zu reagieren.»
Korte und seinen Genossen geht es nun darum, die Erinnerung an den deutschen Vernichtungskrieg in Osteuropa nicht verblassen zu lassen. Die LINKE unterstützt eine Initiative für eine zentrale Erinnerungsstätte und will einen entsprechenden Antrag in den Bundestag einbringen.
„565 von einst fünf Millionen“ (neues deutschland vom 18.07.2016)