Elektronische Gesundheitskarte: Viele Risiken, hohe Kosten, kein Nutzen
Die Berliner Zeitung meldet, dass einmal mehr ein schlechtes Licht auf die elektronische Gesundheitskarte in Punkto Datensicherheit fällt. Demnach sei bei einer Überprüfung eine eklatante Sicherheitslücke in der Software der Kartenlesegeräte entdeckt worden. Laut Berliner Zeitung hätten Angreifer die Lücke nutzen können, um die PIN-Nummern zu entwenden, die Ärzte und Patienten eingeben müssen, wenn sie dereinst bestimmte Funktionen der Karte nutzen wollen. Sie hätten damit Zugriff auf sensible Patientendaten bekommen. Dies gehe aus einer Beschlussvorlage für die Gesellschafter der Betreibergesellschaft Gematik hervor.
Zur aktuellen Situation sind in den letzten Tagen einige Artikel, auch mit Bezug auf die Kleine Anfrage der LINKEN erschienen, von denen wir hier einige dokumentieren:
»Elektronische Gesundheitskarte: Regierung bleibt bei Kostenprognose von 2009″ (heise.de vom 20.05.2011)
»Ärzte fordern erneut Stopp der elektronischen Gesundheitskarte« (heise.de vom 25.05.2011)
»E-Card: Die Selbstverwaltung ist am Zug« (Ärzte Zeitung vom 27.05.2011)
»Gesundheitskarte mit Datenleck« (Berliner Zeitung vom 27.05.2011)
»Elektronische Gesundheitskarte sorgt weiter für Zündstoff« (heise.de vom 27.05.2011)
Unterdessen hat sich die FDP vollkommen von ihrer einst kritischen Position zur eGK verabschiedet. Während für den Fall einer bürgerlichen Bundesregierung von der FDP-Fraktion vor der Bundestagswahl noch der Stopp der eGK angekündigt wurde und sie beispielsweise im Jahr 2008 noch eindeutig vor einer Einführung warnte und in einem entsprechenden Antrag die Einführung der eGK strikt ablehnte, bis sichergestellt sei, dass unter anderem
- »eine aktuelle Bewertung unter Einbeziehung der bisher gewonnenen Erkenntnisse ein positives Nutzen-Kosten-Verhältnis ergibt;«
- »aus dem Gebrauch der elektronischen Gesundheitskarte kein erhöhter bürokratischer Aufwand resultiert, insbesondere auch beim Einlesen der Karte in Arztpraxen, Apotheken usw. sowie bei der Anwendung der PIN-Nummer;«
- »eine eingehende Prüfung durch unabhängige Sachverständige dahingehend stattfindet, ob moderne alternative Speicherungsmöglichkeiten, wie z. B. die Speicherung auf der Gesundheitskarte selbst oder auf so genannten USB-Sticks, praktikabler und sinnvoller sind als eine Speicherung auf zentralen Servern«,
ist davon heute im FDP-geführten Bundesministerium für Gesundheit keine Rede mehr.In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Linksfraktion zum aktuellen Entwicklungsstand der elektronischen Gesundheitskarte schiebt sie die Verantwortung auf die Organisationen der Selbstverwaltung ab und flüchtet sich darin, angeblich nicht zuständig zu sein.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linksfraktion ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert:
1. Die FDP hatte in ihrem Antrag (Drucksache 16/11245) noch 2008 die Einführung der eGK abgelehnt. Insbesondere müsse »eine aktuelle Bewertung unter Einbeziehung der bisher gewonnenen Erkenntnisse ein positives Nutzen-Kosten-Verhältnis« ergeben und die »technischen Konzepte durch unabhängige Gutachter im Hinblick auf die Sicherheit der Daten« überprüft werden. Im Rahmen der Kleinen Anfrage kann festgestellt werden, dass die Bundesregierung zu dieser Kosten-Nutzen-Bewertung keinerlei Angaben machen kann (Frage 17, 18, 19). Sie hat, anders als gefordert, auch keine Gutachten zum Nutzen-Kosten-Verhältnis erstellen lassen, sondern verweist auf das zwei Jahre alte, nicht konsentierte Gutachten von Booz und Company (Frage 1). In die Bestandsaufnahme wurden keine unabhängigen Gutachter einbezogen, sondern diese wurde von der gematik selbst durchgeführt und durch das BMG moderiert (Frage 5). Umso erstaunlicher ist, dass es keine Angaben zum Ergebnis gibt. Es ist davon auszugehen, dass beim angedachten verminderten Leistungsumfang keinerlei Effizienzgewinne zu verzeichnen sind und sich die eGK damit als eklatanter Kostenbringer im Gesundheitswesen erweist.
2. Die Kosten der Einführung wurden für das Jahr 2009 noch mit 665 Millionen Euro jährlich angegeben (Drs. 16/11411). Im Jahr 2011 ist die Bundesregierung trotz Bestandsaufnahme nicht mehr in der Lage, die Kosten für die Einführung der Karte und der Telematikinfrastruktur anzugeben (Frage 15 und 16). Die genannte Studie von Booz and Company sieht die Kosten der Einführung jedoch bei bis zu 5,4 Milliarden Euro. Da die Regierung auf dieses verweist, sind offensichtlich die bisherigen Regierungsangaben (1,4 Milliarden) hinfällig.
3. Weiterhin müsse laut FDP-Antrag sicher gestellt werden, dass »aus dem Gebrauch der elektronischen Gesundheitskarte kein erhöhter bürokratischer Aufwand resultiert, insbesondere auch beim Einlesen der Karte in Arztpraxen, Apotheken usw. sowie bei der Anwendung der PIN-Nummer.« Genau diese Probleme hatten die Tests in den Regionen ergeben. Als Reaktion werden nun vor allem Funktionen wie das elektronische Rezept und die Patientenakte auf Eis gelegt. Die PIN-Eingabe, notwendig zur Aufrechterhaltung der strengen Datenschutzauflagen, bleibt jedoch. Der Aufwand wird mit der »schnelleren und qualitativ besseren Verfügbarkeit von für die Behandlung notwendiger medizinischer Daten« begründet (Frage 2). Diese wird es jedoch auf absehbare Zeit nicht geben.
4. Zunächst soll es nun nur den Stammdatenabgleich und die Notfalldaten geben (Frage 3). Damit kann die Karte nicht viel mehr als die bisherige Versichertenkarte. Erst später soll die adressierte Online-Kommunikation (Arzt-zu-Arzt) und eine elektronische Fallakte (als Mehrwertdienst) angegangen werden, wenn diese die neuen Testverfahren bestanden haben. Ein medizinischer Mehrwert für Patienten ist damit nicht zu erkennen, es stehen lediglich verwaltungstechnische Abläufe im Vordergrund (Frage 10). Der Notfalldatensatz hat bisher seine Tauglichkeit in Tests nicht nachweisen können. Er wird derzeit neu konzipiert, unter anderem weicht die PIN-Eingabe bei der Erstellung einer schriftlichen Einwilligung (sic!).
5. Laut FDP-Antrag von 2008 sollte eine »eingehende Prüfung durch unabhängige Sachverständige dahingehend stattfinden, ob moderne alternative Speicherungsmöglichkeiten, wie z. B. die Speicherung auf der Gesundheitskarte selbst oder auf so genannten USB-Sticks, praktikabler und sinnvoller sind als eine Speicherung auf zentralen Servern.« Diese Untersuchung als »ergänzende Alternative zur dezentralen, serverbasierten Speicherung« (Frage 3) hat 2009 durch die gematik und ein von ihr beauftragtes Institut stattgefunden und empfiehlt eine Weiterverfolgung dieser Option (siehe entsprechende Studie). Die Bundesregierung hat nun in die Verordnung zu den Testmaßnahmen dezentrale Speicher aufgenommen. Diese sollen nun »technikoffen« getestet werden, ohne jedoch die Onlineanbindung der Telematik zu ersetzen.
6. Die für die Onlineanbindung der eGK notwendigen schnellen Internetverbindungen weisen große Lücken auf (Frage 14). Zunächst muss konstatiert werden, dass eine 1Mbit-Leitung im Downstream und 128 kb im Upstream für verschlüsselte Kommunikation mit größeren Datenmengen wie Röntgenbildern etc. nicht ausreicht. Zudem weisen insbesondere die ostdeutschen Bundesländer eklatante Lücken selbst bei diesen langsamen Anschlüssen auf (siehe Drs. 17/5588). Eine Onlineanbindung der eGK wird damit für viele Praxen in ländlichen Räumen auf absehbare Zeit nicht möglich sein. Interessant ist vor diesem Hintergrund, dass die Bundesregierung den Ausbau der eGK u.a. mit der Verbesserung der Versorgung im ländlichen Raum begründet (Frage 31).
7. Im Rahmen der neuen Verordnung über Testmaßnahmen für die Einführung der eGK sind die 10.000er und 100.000er Feldtests als Einteilung abgeschafft worden. Mit der Straffung des Aufgabenspektrums innerhalb der Selbstverwaltung sind auch die Testverfahren selbst in die Hände der Selbstverwaltung und der gematik gelegt worden. Es ist unklar, wie die Funktionen mit dem eigentlichen Mehrwert getestet und eingeführt werden sollen. Trotzdem treibt die Bundesregierung den Roll-out voran.
8. Die FDP hat ihre kritische Position dahingehend aufgegeben, dass sie die von ihr vertretenen Lobbygruppen getauscht hat. Hatte sie zu Oppositionszeiten Ärzte und Apotheker im Blick, die die Gesundheitskarte und den damit verbundenen bürokratischen Aufwand mehrheitlich ablehnen, vertritt sie nun eher die Interessen der IT-Branche. Diese hatte die im Koalitionsvertrag vereinbarte Bestandsaufnahme des Projekts scharf kritisiert und einen schnellen Roll-Out der Karten gefordert. Dem ist Minister Rösler mit dem mit dem GKV-Finanzierungsgesetz nachgekommen und drückt dem Gesundheitswesen ein System auf, dessen Nutzen immer schlechter belegbar ist.