»Gier nach Kontendaten«
Seit dem 1. April 2005 ist es Behörden wie den Sozial-, Zoll- und Finanzämtern oder auch den Arbeitsagenturen und der Polizei möglich, Kontostammdaten von Bürgerinnen und Bürgern über das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) oder die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) abzurufen. Da die ‘Neue Osnabrücker Zeitung’ am 12. Januar 2012 von einer drastischen Zunahme der behördlichen Kontenabfragen berichtete, richtete Jan Korte eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung, um Auskunft über dass Ausmaß und die Zweckmäßigkeit dieser geheimen Überwachungsmaßnahme zu erhalten.
Die nun vorliegende Antwort belegt, dass die zur Einführung vorgetragene Behauptung der damaligen rot-grünen Bundesregierung, die Methode sei zur Bekämpfung von Terrorismus und Organisierter Kriminalität unabdingbar und nur für diese Ausnahmestraftatbestände gedacht, nicht länger haltbar ist. Denn während für Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz und Militärischen Abschirmdienst zur Terrorbekämpfung »bislang noch keine Kontenabrufe durchgeführt« wurden, haben BaFin und BZSt massenhaft Abfragen für Polizei, Finanz- und Sozialämter mit dem Ziel Steuerbetrug und Sozialleistungsmissbrauch auf die Spur zu kommen durchgeführt. Im vergangenen Jahr wurden so durch das BaFin 116.908mal die Daten von insgesamt 1.050.726 Konten weitergeleitet. Das BZSt griff im gleichen Zeitraum 62 333 mal auf Privatkonten zu. Das Ausmaß der Schnüffelei, die automatisiert und heimlich erfolgt, hat in den letzten 6 Jahren dramatisch zugenommen:
Die Anzahl der von der BaFin abgerufenen Konten hat sich nach Angaben der Bundesregierung von seit 2005 mehr als verdoppelt, beim BZSt wuchs die Zahl der Kontenabrufe im gleichen Zeitraum sogar um rund 700 Prozent! Die Behauptung der Regierung, die gesetzlichen Vorschriften würden verhindern, dass die automatisierte Kontenabfrage zu einem Routineinstrument gerät, ist vor diesem Hintergrund lächerlich. Das was 2005 als Ausnahmeinstrument zur Terrorbekämpfung eingeführt wurde, entpuppt sich 2012 als Alltagsüberwachungsmaßnahme zig Tausender Girokontoinhaber.
Ab 2013 wird sich dieser bürgerrechtlich extrem bedenkliche Trend noch verschärfen, da weitere Behörden oder Personengruppen (Gerichtsvollzieher) in den Kreis der Abfrageberechtigten aufgenommen werden. Es ist unfassbar, dass staatliche Stellen offenbar schon bei einem leisen Anfangsverdacht die Konten der Bürgerinnen und Bürger abfragen und dann auch ungeprüft an alle Daten kommen.
Obwohl die Bundesregierung in der Antwort angibt, ihr lägen »keine statistischen Informationen darüber vor, welche und wie viele Straftaten bislang durch automatisierte Kontenabrufe aufgedeckt wurden«, behauptet sie, dass die Abfragen »hilfreich« waren und »in erheblicher Weise zur Sicherstellung von Vermögenswerten beigetragen haben«.
Der Kontrollwut der Behörden muss schnellstmöglich ein Riegel vorgeschoben werden. Jan Korte fordert daher eine sofortige Evaluierung der Kontenabfragen im Hinblick auf ihre Verhältnismäßigkeit und den tatsächlichen Nutzen. Solange niemand eindeutig belegen kann, dass die Befugnisse korrekt angewendet und unbedingt gebraucht werden, müssen sie für die Behörden umgehend deutlich beschränkt oder gänzlich aufgehoben werden.
Über die Antwort der Bundesregierung berichteten Heute auch einige Medien:
»Staat überprüft immer mehr Bürger« (MZ vom 22.2.2012)
»Gier nach Kontendaten« (neues deutschland vom 23.2.2012)