Nichts reinwaschen, sondern erklären
Rede von Jan Korte zur Eröffnung der 1. Wolfener Filmtage am 14.11.2012
Jan Korte MdB [Es gilt das gesprochene Wort]:
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Filmfreunde,
ich bin sehr froh, dass ich heute hier zu Ihnen sprechen darf. Besonders freue ich mich darüber, als Bundestagsabgeordneter für die Region solch eine hochkarätige Veranstaltung eröffnen zu dürfen. Die 1. Wolfener Filmtage beschäftigen sich mit einem eminent wichtigen und mehr denn je aktuellen Thema: Nämlich mit dem historischen Weg Deutschlands in die Nazizeit und den dahin führenden gesellschaftspolitischen Weichenstellungen. Es war eben nicht einfach eine Katastrophe, sondern es war ein Prozess, der geschichtliche und gesellschaftliche Ursachen hatte.
Sie werden in den nächsten fünf Tagen herausragende, spannende Filme zu sehen bekommen, die davon zeugen, wie man bewusst und kritisch mit der deutschen Geschichte umgehen kann und damit gerade nicht im medialen Nebelschleier landet, mit dem uns zum Beispiel in einigen Beiträgen Guido Knopp beglückt.
Die Filmtage nehmen ernst, was seinerzeit auf der Agenda der aufklärerischen Filmkunst stand: Nicht reinwaschen, sondern erklären! Nichts schönreden, wo deutliche Fakten darzustellen sind! Und dabei aufzeigen, wie es eigentlich dazu kommen konnte, dass Millionen Deutsche den Weg in die Barbarei eben nicht verhindert haben und welche Kräfte und Entwicklungen dafür verantwortlich waren, Europa und die Welt in einen bis dahin unbekannten Vernichtungskrieg zu stürzen.
Der bekannte Filmkritiker Siegfried Kracauer betrachtete den Film als »Spiegel der bestehenden Gesellschaft». Daher kann der Film in diesem Kontext Geschichte rekonstruieren.
In diesem Sinne sind die auf den 1. Wolfener Filmtagen präsentierten Filme allesamt Glücksfälle des historisch und gesellschaftlich verantwortungsvollen Films, die versuchen, historische Genauigkeit mit erzählerischer Stringenz und ästhetischer Meisterschaft zu verbinden. Gleichzeitig – und dies halte ich für entscheidend – ist an den Filmen die Zeitbedingtheit der Diskussionsverläufe zu erkennen, woraus sich zum Beispiel begründen und ablesen lässt, warum »Der Untertan» als Film 1951 einen aktuellen Epilog hat, der auf die Zerstörungen des Krieges verweist oder wieso »Abschied» von 1968 große Schwierigkeiten hatte, eine angemessene Rezeption zu bekommen, sind doch in ihm pazifistische und rebellische Töne gleichermaßen vorhanden, die auch und besonders ihre Kritik an den damaligen gesellschaftlichen Entwicklungen deutlich machen.
Dass man die Herausbildung und Festigung des Nationalsozialismus eben nicht aus sich selbst heraus erklären kann, sondern nur unter Einbeziehung der Kontinuität deutscher Geschichte mit ihrer Langlebigkeit rückschrittlicher Traditionen, hierarchischen Denkens, von Standesdünkel und Konzepten der Ausgrenzung – das beweisen alle Filme auf je spezifische Weise: In der Vergiftung multikulturellen Zusammenlebens durch nationale Überheblichkeit (»Levins Mühle»), durch blinde Machtvergötterung (»Der Untertan»), durch bürgerliche Kriegsbegeisterung (»Abschied»), durch Verfemung und Ermordung Andersdenkender (»Rosa Luxemburg») und schließlich durch Anpassung aus Karrieregründen als Symbol für ein Massenphänomen am Ende Weimarer Republik (»Mephisto»).
Ich wünsche Ihnen allen spannungsreiche und anregende Filmbesuche in dieser Reihe, die insgesamt vier Filme aus der DDR und zwei aus der Bundesrepublik für Sie bereithalten. Lassen Sie mich mit zwei Bemerkungen enden, einer persönlichen und einer politischen:
Erstens: Der Film »Rosa Luxemburg» von Margarethe von Trotta hat mich als junger Mensch sehr bewegt und aufgewühlt. Er hat übrigens auch das gesellschaftliche Klima der Bundesrepublik verändert – und eben auch mich selber. Mein politischer Ziehvater – wenn man das so ausdrücken will – Lothar Bisky, der ehemalige Rektor der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg hat mir einiges über die Rolle des Films im Allgemeinen und die Filme der DEFA im Speziellen berichtet. Dafür brennt er übrigens noch immer sehr. Sein Student Andreas Dresen, den hier ja jeder kennt, ist gerade Laienrichter am Brandenburger Verfassungsgericht geworden. Damit wird an dieser Stelle sinnbildlich und doch sehr praktisch die politische Rolle des Films für die gesellschaftliche Entwicklung deutlich gemacht. Eine gute Sache, wie ich finde.
Zweitens: Die 1. Wolfener Filmtage sind eben auch politisch wichtig und aktuell. Sie sind als Ausdruck zu verstehen, sich Nationalismus, Militarismus und Menschenverachtung immer wieder entgegenzustellen.
Tun wir also gemeinsam alles dafür, den aufrechten Gang zu leben. Und engagieren wir uns gemeinsam gegen das elendige Untertanentum auf allen Ebenen.
Vielen Dank und ein herzliches Glück auf!