Adieu Bürger- und Freiheitsrechte
Kurzeinschätzung der innen- und rechtspolitischen Punkte des Koalitionsvertrags von Jan Korte auf linksfraktion.de
Seit Monaten verwahrt sich die Unionsfraktion unter Bundesinnenminister Friedrich (CSU) und Kanzleramtschef Pofalla (CDU) einer tiefgehenden, breiten und öffentlichen Aufklärung der NSA- und GCHQ-Abhöraffäre im Deutschen Bundestag. Bislang trat auch die SPD öffentlich mit Forderungen nach Aufklärung und deutlichen Reaktionen gegenüber der US-Administration öffentlich in Erscheinung. Alles Seifenblasen, Nebelkerzen, Wachsfiguren möchte man nach dem Studium des zwischen CDU, CSU und SPD verhandelten Koalitionsvertrages meinen. Denn im vorliegenden Koalitionsvertrag fehlt vor allem eines: ein klares, praktisches Bekenntnis zu den Grundrechten der Bevölkerung.
Dass Union und SPD tatsächlich an der Vorratsdatenspeicherung festhalten wollen, zeigt nicht nur, dass sie kein Problem mit der Überwachung der Bevölkerung haben. Es ist auch fahrlässig: Wer nicht einmal das Kanzlerhandy schützen kann, sollte von massenhaften Datensammlungen lieber die Finger lassen. Was selbst unter einer FDP-Justizministerin – durch den Druck der LINKEN und außerparlamentarischer Proteste – nicht möglich war, soll jetzt mithilfe der Sozialdemokratie möglich werden: die Umkehrung der Unschuldsvermutung und die Kriminalisierung von über 80 Millionen Menschen in Deutschland durch Speicherung und Überwachung ihres privaten Kommunikationsverhaltens. Wenn Union und SPD den Begriff 'Bürgerrechte' mit Leben und Inhalten gefüllt hätten, statt ihn nur in Überschriften ihres Koalitionsvertrags zu verwenden, wäre die Aussetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung das richtige Ziel gewesen. Der beste Datenschutz unter dem Eindruck der aktuellen Überwachungsaffären wäre, die Voraussetzungen zu schaffen, gar keine Daten anfallen zu lassen.
Weitere Erosion von Demokratie und Rechtsstaat
An eine Reform der Geheimdienste oder gar deren stärkere Kontrolle ist nicht gedacht worden. Weder Struktur noch Arbeitsweise oder Aufgabenbereiche werden angetastet oder einer Evaluation unterzogen. Themen wie Spionageabwehr oder Kampf gegen Cyberkriminalität finden keinen wirklichen Eingang in den Koalitionsvertrag. Mehr noch, als Schlussfolgerung aus dem NSU-Terrorismus und dem Abschlussbericht des Bundestagsuntersuchungsausschusses wird ausgerechnet die Zentralstellenfunktion des Bundesamtes für den Verfassungsschutz betont.
Und so verwundert es nicht, dass auch in der Aufarbeitung der deutschen Geschichte, ihrer Behörden, Ministerien und Geheimdienste nicht viel Neues zu erwarten ist. Mehr als eine Bestandsaufnahme des aktuellen Forschungsstandes ist man augenscheinlich nicht bereit zu leisten. Wie die Aufarbeitung der deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945 unter dieser Koalition aussehen wird, verdeutlicht ein Tweet von Erika Steinbach (CDU) nach Veröffentlichung des Papiers. Auf Twitter erklärte sie: "Gedenktag für die deutschen Heimatvertriebenen kommt! War mit der FDP nicht möglich."
Die Verhandlungsführer von SPD, CDU und CSU waren offensichtlich nicht in der Lage, die politischen Lehren aus den Enthüllungen von Edward Snowden, dem Stand der Wissenschaft zur NS-Unrechtsaufarbeitung und den Debatten um die Rehabilitierung sogenannter Kriegsverräter zu lernen. Sie haben sich eben nicht deutlich gegen die weitere Erosion von Rechtstaat und Demokratie gestellt. Das ist besonders im Hinblick auf die SPD bedauerlich. Man kann also nur hoffen, dass die SPD-Basis dem schwarz-roten 'Law-and-Order'-Programm einen Strich durch die Rechnung macht.
Erschienen auf linksfraktion.de, 28. November 2013