Notstandsmaßnahmen nach Gutdünken verhindern
Jan Korte
Zehn Tage lang haben in Hamburg Gebiete existiert, in denen Bürgerrechte nur eingeschränkt galten. Vom 4. Januar bis heute konnten Bürgerinnen und Bürger – ob Anwohner oder Touristen – in einem Gebiet zwischen Altona Nord und den Landungsbrücken ohne Anlass von der Polizei kontrolliert und durchsucht werden. Am Donnerstag wurde das Gebiet verkleinert und zeitlich eingeschränkt, dennoch waren bis zur heutigen Beendigung der Maßnahme tausende Bewohnerinnen und Bewohner von Grundrechtseinschränkungen betroffen. Der von der Hamburger Polizei und dem SPD-geführten Senat gestartete Versuchsballon, wie weit man mit einer harten Law-and-Order-Politik gehen kann, hatte ganz reale Auswirkungen.
In Teilen Altonas und St. Paulis hieß es tagelang, bloß nicht "auffallen". Denn wurde man, warum auch immer, von der Polizei für einen potentiellen Gewalttäter gehalten, konnte das mindestens einen Zeitverlust auf dem Weg zur Arbeit bedeuten. Oder auch den Verlust einer mitgeführten Klobürste, die, als potentielle Schlagwaffe polizeilich beschlagnahmt, mittlerweile zum Symbol des Protests gegen die Maßnahme geworden ist. Aber auch Aufenthaltsverbote wurden auf Verdacht ausgesprochen. Ohne richterliche Entscheidung wurden auf Grundlage des Polizeigesetzes in Teilen nicht nur die Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt, sondern auch das Recht auf Privatsphäre und die Bewegungsfreiheit.
Machtdemonstration der Einsatzkräfte
Zur Begründung wurden gewalttätige Auseinandersetzungen im Nachgang der Demonstration für den Erhalt des Kulturzentrums Rote Flora kurz vor Weihnachten genannt. Über die Darstellung der Ereignisse, mit denen die Einrichtung des "Gefahrengebiets" begründet wurde, wird gestritten, ebenso wie über den Verlauf der Ereignisse bei der Demonstration selbst: Während die Veranstalter beklagen, die angemeldete Demonstration sei polizeilich nicht gewollt und daher gezielt verhindert worden, führt die Polizei Gewalttaten von Seiten der Demonstranten als Begründung für einen massiven Polizeieinsatz an. Dass es aber überhaupt zu einer derartigen Eskalation des Konflikts um die Rote Flora gekommen ist, liegt an der politischen Unfähigkeit derer, die nun die Einsatzkräfte für ihre Machtdemonstration in den Himmel loben.
Den Auseinandersetzungen liegt ein politischer Konflikt zugrunde, der politisch gelöst werden muss. Die Gewalt muss ein Ende haben. Ein Zeichen souveräner Politik wäre es, auch unter schwierigen Bedingungen Rechtsstaatlichkeit zu wahren und Gesprächsbereitschaft zu signalisieren, statt zur Eskalation von Konflikten beizutragen.
Notstandsmaßnahmen, an die das Hamburger Verfahren erinnert, zählen nicht gerade zu den demokratischen Glanzlichtern unserer Geschichte. Ein Polizeigesetz, welches die Exekutive dazu berechtigt, in ganzen Stadtteilen die Bürgerrechte einzuschränken, kann nicht im Sinne des Grundgesetzes sein. Ein gesundes Verhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit ist ein wesentliches Element des demokratischen Rechtsstaats. Wegen einzelner, wenn auch schwerwiegender, Vorfälle die Bürgerrechte tausender Bewohnerinnen und Bewohner auf unbestimmte Zeit einzuschränken, ist unverhältnismäßig.
Überfällige Änderung des Hamburger Polizeigesetzes steht an
Dennoch hatte Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz bekannt gegeben, die SPD stünde für Recht und Ordnung und an den repressiven Maßnahmen werde man festhalten. Die SPD betreibt ihre Law-and-Order-Politik auf dem Rücken der Bürgerrechte und – nicht zu vergessen – auch auf dem Rücken der Polizei. Dabei zeigen Stuttgart 21, Gorleben und nicht zuletzt jüngste Ereignisse auf internationaler Ebene, dass der massenhafte Einsatz von Polizeieinsatzkräften in erster Linie direkter Indikator politischen Versagens ist.
Nicht nur deshalb wird es höchste Zeit für den sozialdemokratischen Senat, den Weg zurück zur Politik zu finden: Es reicht nicht aus, die Gefahrengebiete wieder aufzuheben. Die Rechtsstaatlichkeit muss langfristig gesichert werden. Eine Debatte um die überfällige Änderung des Hamburger Polizeigesetzes steht an. Neuerliche Notstandsmaßnahmen nach Gutdünken der Polizei gilt es zukünftig zu verhindern. Außerdem müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Vorkommnisse und Übergriffe im Rahmen der Demonstration für die Rote Flora aufzuklären. Vor allem aber muss sich der Senat den Diskussionen stellen, die dringend geführt werden müssen: Sowohl der um die Zukunft des Kulturzentrums Rote Flora als auch der um den Stellenwert der Freiheit in der "Freien und Hansestadt" Hamburg. Hierzu sind alle demokratischen Kräfte, in und außerhalb der Bürgerschaft aufgerufen.
linksfraktion.de, 13. Januar 2014