Jan Korte, MdB (DIE LINKE) (www.jan-korte.de)

Große Koalition ohne Einsatz für eine freie Gesellschaft

30.01.2014
Redebeitrag von Jan Korte (Die Linke) am 30.01.2014 um 19:31 Uhr (11. Sitzung, TOP 1)

Seit über sechs Monaten bewegt die Ausspähaffäre das Land und die Menschen. Nur die Bundesregierung bewegt sich nicht. Das Festhalten an der Vorratsdatenspeicherung des Kommunikationsverhaltens der Bevölkerung, Populistische Stimmungsmache gegen Ausländer oder die Abwertung des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus machen zudem deutlich, dass progressive Innenpolitik von dieser Großen Koalition nicht zu erwarten ist, so Jan Korte in seiner Rede zur Regierungserklärung von Innenminister Thomas de Maizère zum Bereich der Innenpolitik.

Bei Problemen mit der Videowiedergabe finden Sie das Video auch auf der Webseite des Bundestags:
http://dbtg.tv/fvid/3087139

Jan Korte (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Vorgehen, mit dem Bundeskanzlerin Merkel hier gestern schlimmerweise begonnen hat, nämlich eine Regierungserklärung in Form einer Neujahrsansprache vorzutragen, setzt sich leider auch im Innenressort mit rekordverdächtigen Phrasen fort. Das ist sehr bedauerlich und der Sache, wie ich finde, nicht angemessen.
[Beifall bei der LINKEN]

Seit sechs Monaten bewegt die Ausspähaffäre dieses Land und die Menschen. Diese Bundesregierung bewegt das aber herzlich wenig, wie wir gerade auch feststellen konnten.

Die massenhafte Überwachung gefährdet die Fundamente unserer Demokratie ‑ ob offen oder verdeckt. Wer überwacht wird, ist nicht frei. Das ist keine freie Gesellschaft, und dazu, was Sie konkret tun wollen, haben Sie im Kern nichts gesagt. Das ist der Sache nicht angemessen.
[Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN]

Was tut denn die Bundesregierung? Wo sind die Gipfel im Kanzleramt, die ja insbesondere die Bundeskanzlerin ansonsten jeden Monat durchgeführt hat? Nichts findet statt. Wo sind die Initiativen für eine Neuverhandlung zum Beispiel des Fluggastdatenabkommens oder zu SWIFT auf europäischer Ebene? Fehlanzeige! Wo ist denn Ihre Initiative dafür, die Kooperation der deutschen Geheimdienste mit den US-amerikanischen endlich zumindest einmal offenzulegen, damit man sie korrigieren kann? Auch dazu kam heute nichts. Auch das ist der Dimension dieser Affäre nicht angemessen.
[Beifall bei der LINKEN]
Wie wollen Sie denn die Bevölkerung und auch die Unternehmen ganz konkret vor Spionage schützen? Auch dazu kam nichts.

Die einzige Personalie, die der Bundesregierung in diesem Zusammenhang am Anfang wichtig gewesen ist, nämlich die Neubenennung des Bundesdatenschutzbeauftragten, war ein grandioser politischer Fehlgriff.
[Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Zuruf von der CDU/CSU): Gute Wahl!]
Sie haben Ihre Parteikollegin ernannt, die die Vorratsdatenspeicherung gut findet und jetzt ‑ Änderungen sind ja möglich ‑ viele Wochen Zeit hatte, endlich etwas zu diesen ganzen Vorgängen zu sagen. Fehlanzeige! Wir bräuchten dringend eine kompetente Datenschutzbeauftragte, die in diese Debatten eingreift. Das haben Sie mit dieser Personalentscheidung völlig versemmelt.
[Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]

Aus aktuellem Anlass ‑ auch dazu haben Sie leider gar nichts gesagt ‑: Wo bleibt eigentlich ein kleines Signal der Dankbarkeit und des Respekts an Edward Snowden, der das Ganze in Gang gesetzt und uns überhaupt erst in die Lage versetzt hat, über diese Vorgänge Bescheid zu wissen und diskutieren zu können? Hier kommt nichts. Stattdessen muss er sich auch noch vom Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes in eine zwielichtige Ecke stellen lassen. Zumindest das hätten Sie heute hier einmal geraderücken können, lieber Kollege de Maizière.
[Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN]

Es ist an der Zeit, im Bereich der Innenpolitik und des Datenschutzes alles auf Anfang zu setzen und ein neues Zeitalter von Bürgerrechten und Demokratie einzuläuten. Das tut man am besten vor der eigenen Haustür. Deswegen mache ich Ihnen konkrete Vorschläge, wie man ohne bürokratischen Aufwand und Neujahrsansprachen einfach schnell handeln kann: Verzichten Sie nun endgültig auf die Vorratsdatenspeicherung, die nichts anderes als die Totalprotokollierung des menschlichen Kommunikationsverhaltens ist. Werden Sie in Europa aktiv, und warten Sie nicht erst auf die Entscheidung des EuGH. Beerdigen Sie endlich die Vorratsdatenspeicherung!
[Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]

Ich will etwas in eigener Sache sagen. Es gibt inzwischen einen bemerkenswerten Briefwechsel zwischen meinem Fraktionsvorsitzenden, Ihrem Ministerium und der Bundeskanzlerin. Ich glaube, dass es jetzt wirklich an der Zeit ist, die unsägliche und antidemokratische Beobachtung meiner Abgeordnetenkollegen und meiner Partei durch den Verfassungsschutz ein für allemal endlich zu beenden.
[Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]
Die Zeit dafür ist gekommen: Beenden Sie das!

Da Sie das Thema Integration zumindest kurz angesprochen haben, will auch ich dazu etwas sagen. Gestern hat der Kollege Oppermann sinngemäß gesagt, dass es hier in diesem Bundestag europakritische, europafeindliche und populistische Kräfte geben würde. Komischerweise meinte er damit meine Fraktion, meine Partei, aber nicht die neuen Freunde von der CSU. Ihre unsägliche Kampagne gegen Menschen aus Rumänien und Bulgarien ist europafeindlich, bedient die übelsten Ressentiments und zerstört das solidarische Zusammenleben in diesem Land. Sie sind das Problem, nicht meine Fraktion!
[Beifall bei der LINKEN - Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU]

In diesem Zusammenhang will ich Ihnen noch einmal sachlich in Erinnerung rufen, was Ihre Regierung auf eine Kleine Anfrage der Linken bzw. meiner Kollegin Jelpke geantwortet hat: Seit 2010 kamen rund 400 000 Menschen aus den besagten Ländern Rumänien und Bulgarien nach Deutschland. Von diesen 400 000 Menschen sind 38 000 auf soziale Hilfestellungen angewiesen. Von diesen 38 000 Menschen sind 30 Prozent Aufstocker.

Das heißt - man kann ja rechnen -, dass die Menschen, die hierher gekommen sind, viel mehr in unsere sozialen Sicherungssysteme einzahlen, als sie aus ihnen herausbekommen. Das müssen Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen und deswegen dieses Spiel mit dem Feuer beenden. Dazu hätten Sie heute etwas sagen müssen, Herr Innenminister.
[Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]

Selbst wenn die Zahlen anders wären - auch das will ich sagen -, brauchen diese Menschen im Zweifel Hilfe. Bei den Christen nennt man das Nächstenliebe. Ich möchte von internationaler Solidarität sprechen. Sie sind die Brunnenvergifter, und die SPD koaliert mit diesen Brunnenvergiftern. Deswegen brauchen wir in dieser Frage keine Nachhilfe von Ihnen.
[Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD]

Es wird Sie vielleicht überraschen, aber ich möchte eine kleine Anmerkung zur FDP machen,
[Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was?]
mit der mich politisch immer wenig verbunden hat. Allerdings spricht für die FDP ein Twitter-Eintrag der erfreulicherweise anwesenden Kollegin Steinbach von der CDU/CSU. In Ihrem Twitter-Eintrag konnte man lesen. Zitat: "Koalitionsvertrag: Gedenktag für die deutschen Heimatvertriebenen kommt! War mit der FDP nicht möglich!" Ende des Twitter-Eintrags. Ich finde es sehr wichtig, dass wir hier bestimmte Formen von Gedenken und Aufarbeitung finden. Aber mit dieser Entscheidung - das geht vor allem an die Adresse der SPD - wird dieser Gedenktag symbolisch auf eine Stufe mit dem am 27. Januar gestellt, den wir in dieser Woche begangen haben, und die Geschichte aus ihrem Kontext gerissen. Dass die SPD bei ihrer Geschichte so etwas mittragen kann, ist für mich unbegreiflich. Da hatte die FDP, die dies verhindert hat, mehr Rückgrat, um das hier klar zu sagen.
[Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN]

Zum Schluss. Ich glaube, dass die Große Koalition in der Innenpolitik für große Fehlentwicklungen steht. Es gibt noch viele andere Punkte, zu denen ich noch etwas hätte sagen können. Leider hat die Opposition bedeutend zu wenig Redezeit, Sie haben bedeutend zu viel Redezeit.
[Beifall des Abg. Jörn Wunderlich (DIE LINKE)]

Ich glaube, dass die Hoffnung auf eine fortschrittliche und progressive Innenpolitik noch nie so begründet gering gewesen ist, wie dies zu Beginn dieser Wahlperiode der Fall ist. Wir würden uns, Herr Minister, über positive Überraschungen selbstverständlich freuen - wie auch immer. Aber ich glaube, dass das nicht eintreten wird. Deswegen wird auch in dieser Frage von Freiheit und Gerechtigkeit die Linke die Arbeit übernehmen müssen, da Sie es nicht wollen oder dazu nicht in der Lage sind.
[Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Das ist gut!]

Vielen Dank.

[Beifall bei der LINKEN - Michael Brand (CDU/CSU): So eine Neujahrsansprache! - Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU]

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