Das Internet als Chance begreifen
Halina Wawzyniak, netzpolitische Sprecherin der Fraktion, und Jan Korte, Leiter des Arbeitskreises Demokratie, Recht und Gesellschaftsentwicklung, sprechen im Interview über das als »Neuland« von der Bundesregierung sträflich vernachlässigte Internet, Datenschutz und Bürgerrechte, die Gefährdung der Demokratie durch Überwachung und die Chancen des Internets für freie, geschützte Kommunikation.
Es ist noch nicht lange her, dass Bundeskanzlerin Merkel erklärte, dass dieses ganze Internet Neuland sei - für sie selbst, ihre Regierung und sicher auch für einen nicht unbedeutenden Teil derer, die darüber hinaus politische Entscheidungsträger sind. Jetzt haben wir, ein bisschen wie »Kai aus der Kiste«, mit Alexander Dobrindt einen »Internetminister«, den dazugehörigen Ausschuss und ab dieser Woche sogar einen zweiten, der sich mit einer »Digitalen Agenda« befasst. Hat die Große Koalition einen Sommerkurs in Neuland-Eroberung absolviert?
Halina Wawzyniak: Mit ihrer Aussage, hat sich Bundeskanzlerin Merkel mit Sicherheit keinen Gefallen getan, weil sie zeigt, wie sehr sie das Thema immer noch unterschätzt. Das Internet ist schon seit Jahren im Alltag vieler Menschen angekommen und darunter sind viele Menschen, die ein Leben ohne gar nicht kennen. Dementsprechend fielen dann auch die spöttischen Reaktionen im Netz aus. Aber immerhin hat die Netzpolitik in den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD eine deutlich größere Rolle gespielt als bisher. Das finde ich gut. Ob man allerdings die richtigen Lösungen für die drängenden Fragen hat - zum Beispiel im Bereich des Urheberrechts, im Bereich des Datenschutzes oder im Bereich der Netzneutralität -, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Mit Blick auf die Enthüllungen Edward Snowdens stellt sich »Neuland« derzeit eher als Geheimdienst-Land dar. Alte und neue Bundesregierung haben sich bislang sehr bedeckt gehalten, wenn es darum ging, die Überwachung von Datenströmen im Netz durch Geheimdienste aufzuklären. Wird sich das jetzt ändern? Es soll ja einen NSA-Untersuchungsausschuss geben.
Jan Korte: Wie die Bundesregierung bisher mit der Überwachungsaffäre umgegangen ist, halte ich für einen Skandal im Skandal. Was hat sie eigentlich die ganze Zeit daran gehindert, selbstständig und offensiv an die Aufarbeitung zu gehen? Dazu ist sie nach meinem Verfassungsverständnis verpflichtet, wenn es einen so massiven und demokratiegefährdenden Angriff auf die Grundrechte gibt. Ich hoffe sehr, dass ein Untersuchungsausschuss Licht ins Dunkel bringt. Aber ob das Regierungshandeln der letzten sieben Monate – die Taktik des im Dunkeln Lassens und der Beendigungserklärungen – überhaupt zum Untersuchungsgegenstand wird, ist noch strittig. Die Opposition hat das beantragt, die Koalition blendet es in ihrem Einsetzungsantrag aus.
Sie sagten, dass die Überwachung eine Gefahr für die Demokratie darstellt. Ist das nicht ein bisschen pathetisch?
Jan Korte: Nein. Überwachung hindert Menschen in ihrer freien Meinungsäußerung und sorgt für angepasstes Verhalten - selbst bei Leuten, die meinen, »nichts zu verbergen« zu haben. Eine überwachte Gesellschaft ist nicht frei. Demokratie lebt vom Widerspruch und respektiert das Individuum, während die Politik der flächendeckenden Überwachung in Bürgerinnen und Bürgern vor allem eine potenzielle Gefahr sieht und sie unter Generalverdacht stellt.
In verschiedenen Umfragen der letzten Monate sagten Menschen mehrheitlich, dass sie die Überwachung durch Geheimdienste schlimm finden, sie ihr Kommunikationsverhalten aber nicht ändern würden. Widerlegt das nicht Ihre These?
Jan Korte: Bevor die Überwachung durch die Geheimdienste ein Thema war, war es die Datensammelei von Unternehmen. Viele haben ihr Kommunikationsverhalten bereits angepasst oder sich damit abgefunden, dass das Internet überhaupt nicht so frei ist, wie stets behauptet wird. Und knapp die Hälfte hat ja angegeben, sich durch PRISM und Co. in den persönlichen Rechten eingeschränkt zu fühlen. Ich glaube, dass viele ihr Verhalten ändern würden, wenn sie wüssten, wie. Leider haben sich die Innenminister der letzten Bundesregierungen jahrelang darauf eingeschossen, das Internet zum Kontrollinstrument zu machen: Online-Durchsuchungen, Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner sind nur einige Stichpunkte. Das Internet als Chance zu begreifen und am Schutz privater Kommunikation und persönlicher Daten zu arbeiten, hat man sträflich vernachlässigt.
Dennoch will die Koalition die Vorratsdatenspeicherung von Kommunikationsdaten einführen. Welche Chancen bestehen, dies gegen die 80-Prozent-Mehrheit der Regierung im Bundestag zu verhindern?
Halina Wawzyniak: Gegen eine derart große Mehrheit hat man natürlich wenig Chancen, die Vorratsdatenspeicherung – oder irgendetwas anderes – zu verhindern. Natürlich werden wir dennoch gehörig Druck aufbauen und bauen auch darauf, dass wir dabei Unterstützung von außerparlamentarischen Initiativen bekommen. Und wir warten natürlich gespannt darauf, was der Europäische Gerichtshof in Sachen Vorratsdatenspeicherung entscheidet. Allerdings machen die Ausführungen des Generalanwalts wenig Hoffnung darauf, dass der EuGH die Vorratsdatenspeicherung generell kippt.
Die Deutsche Telekom als Netzbetreiberin hat vieles in der Hand - unter anderem, wer was mit welcher Geschwindigkeit über ihr Netz übertragen kann. Im vergangenen Jahr hatte sie angekündigt, die Internetverbindung ihrer Kunden nach Übertragung eines bestimmten Datenvolumens zu drosseln. Ausgenommen von der Volumenbeschränkung sind ihre eigenen Produkte. Ist das ein Wettbewerbsproblem? Oder eins der Meinungsfreiheit?
Halina Wawzyniak: Die Telekom konnte diese Ankündigung ja nur machen, weil es noch immer keine gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität gibt. Nur eine gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität kann das Internet, so wie wir es kennen, sichern. Würden Volumenbeschränkungen Schule machen, würden wir ein Zwei-Klassen-Internet bekommen. Die einen bekommen die Basis-Funktionen, die anderen, die es sich leisten können, den vollen Umfang. Hier zeigt sich, dass es vor allem ein soziales Problem ist. Denn die Leidtragenden sind Menschen mit geringem Einkommen, Familien und kleine Anbieter, die es sich nicht leisten können, sich bei ihren Anbietern eine Vorzugsbehandlung zu kaufen.
Halina Wawzyniak, Sie werden für DIE LINKE dem Ausschuss »Digitale Agenda« angehören - eine Chance, etwas zu ändern?
Halina Wawzyniak: Zunächst einmal begrüße ich die Einrichtung des Ausschusses "Digitale Agenda". Ob er etwas verändern kann, wird sich aber erst noch zeigen. Wichtig ist, dass er nicht nur eine Spielwiese für die Netzpolitikerinnen und Netzpolitiker der unterschiedlichen Fraktionen wird, sondern dass er tatsächlich mitentscheiden kann. Das kann er beispielsweise, wenn er in netzpolitischen Themen federführend ist. Wir werden als LINKE sehr genau darauf achten, dass der Ausschuss nicht zu einer Laberrunde verkommt und die wichtigen netzpolitischen Entscheidungen dort getroffen werden und nicht in anderen Ausschüssen.
Erschienen auf linksfraktion.de, 11. Februar 2014