LINKE muss Bürgerrechtsdiskurs bestimmen
Die Erwartungen an DIE LINKE sind mit der Großen Koalition gewachsen
In der deutschen Politik wie auch in der politischen Berichterstattung stehen außen- und sozialpolitische Themen meist im Fokus. Dies ist historisch und auch aktuell-politisch begründbar. Andere Inhalte geraten darüber oft ins Hintertreffen. 100 Tage Innen- und Rechtspolitik der Großen Koalition aber haben es geschafft, diese Gesetzmäßigkeit gleich mehrfach zu durchbrechen. Mehrere innenpolitische Skandale, gemeinschaftliches Mauern von Geheimdiensten, Bundeskanzleramt und Bundesinnenministerium haben nach nicht einmal drei Monaten Koalitionskooperation zwischen Union und SPD ein ziemlich spitz-felsiges Brachland in der Innen-und Rechtspolitik hinterlassen.
Erster Akt
Nach der NSA-Spähaffäre, die seit Sommer 2013 viele nicht nur hierzulande umtreibt, ist vor wenigen Wochen - auf Druck von LINKEN und Grünen - im Bundestag der erste parlamentarische Untersuchungsausschuss in der 18. Legislaturperiode eingesetzt worden. Dieser soll klären, was deutsche Dienste wussten - oder eben nicht wussten -, warum die NSA-Affäre im Sommer vom damaligen Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) eiligst „für beendet“ erklärt wurde und wie deutsche Geheimdienste auf dem lukrativen Markt der Informationsbeschaffung und –verwertung genau partizipieren. Dass sie letzteres tun, ist längst kein Geheimnis mehr!
Vergangenes Wochenende überraschte dann noch ein Amtsleiter, BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen, die Mitglieder des NSA-Untersuchungsausschusses mit der Ankündigung, nicht alles an Informationen zum NSA-Komplex um der deutschen Sicherheit Willen Preis geben zu wollen. Flankierend wurde ein Gutachten der Bundesregierung lanciert, dass „negative Auswirkungen auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen“ im Falle einer Befragung des Whistleblowers Edward Snowden fürchten lässt. In einer herangezogenen Stellungnahme einer amerikanischen Rechtsanwaltskanzlei wird sogar vor strafrechtlichen Schritten der USA gegen Ausschussmitglieder bei einer Befragung Snowdens „gewarnt“. Überraschend – auch weil der Untersuchungsauftrag des NSA-Ausschusses mit den Stimmen aller Mitglieder des Bundestages gefasst wurde, folglich also das gesamte deutsche Parlament - der Logik des Gutachtens folgend - im Falle einer Snowdenbefragung auf „Verrat von Dienstgeheimnissen“ angeklagt werden müsste.
Zweiter Akt
Nur wenige Wochen nach dem Auffliegen der NSA-Aktivitäten in Deutschland und Europa führten erneut ungeklärte Kommunikationsvorgänge in Kanzler- und Bundeskriminalamt, sowie eine arrogante Nichtauskunftspolitik der Bundesregierung gegenüber dem zuständigen Bundestagsinnenausschuss zu der neuerlichen wie berechtigen Forderung der Oppositionsparteien nach Einsetzung eines zweiten parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Dieser, soviel scheint bereits jetzt sicher, wird in den kommenden Tagen beschlossen werden und sich mit in der Causa „Edathy“ auseinanderzusetzen haben. Ein erstes Opfer der neuen Partnerschaft zwischen CDU/CSU und SPD ist mit Ex-Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich auch bereits zu beklagen. Der CSU-Hardliner musste seinen Hut ob des Vorgangs „Edathy vs. BKA“ und der vermeintlichen Weitergabe von Ermittlungsinformationen nehmen. Pikantes Nebendetail: Trotz des bisherigen Aussetzens der Vorratsdatenspeicherung in der Bundesrepublik, scheinen im Bundestag munter E-Mail- und Internetkommunikationsdaten, sowie deren Inhalte aus Abgeordnetenbüros und den Fraktionen für mindestens drei Monate vorgehalten zu werden. Diese Vermutung lässt sich zumindest aus dem vorläufigen Abschlussbericht der Hannoveraner Staatsanwaltschaft gegen Ex-MdB Edathy ableiten, dessen Kommunikationsdaten bis November 2013 rückwirkend gesichert und gesichtet werden konnten.
Wir halten fest: 100 Tage GroKo macht gleich zwei parlamentarische Untersuchungsausschüsse und ein Ministerrücktritt. Vergleichbares wird man nur schwer in den Archiven des deutschen Parlamentarismus finden. Doch damit nicht genug.
Dritter Akt und Schluss?
Nach dem Tod des Neonazis und ehemaligen BfV-V-Mannes „Corelli“ im April 2014, kommen erneut Fragen zum NSU-Komplex auf. Die Terrorbande des NSU hatte bereits in der auslaufenden 17. Legislaturperiode einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Bundestag und weitere in verschiedenen Landtagen nötig werden lassen. Dennoch bleiben, wie auch im Zuge der gerichtlichen Auseinandersetzung in München, viele Fragen unbeantwortet. Nicht unwahrscheinlich erscheint nach dem Tod von „Corelli“ sowie ungeklärter Fragen u.a. im Hinblick auf die deutsche KKK-Szene eine Fortsetzung des NSU-Untersuchungsausschusses in dieser Legislaturperiode im Bundestag.
Die im gemeinsamen Abschlussbericht des NSU-Ausschusses verabredeten Reformvorhaben für eine durchdringendere, transparentere und demokratischere Kontrolle der Geheimdienste – auch über das dafür zuständige Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) hinaus – vergilben zeitgleich weiter vor sich hin. Anstatt der parlamentarischen Opposition mehr (Einsichts- und Kontroll)Rechte zu gewähren, verschanzten sich Union und SPD in den letzten Monaten hinter ihrer übergroßen Mehrheit im Bundestag. Diese sollte – so der Testballon – z.B. dazu genutzt werden, ein altes und längst ad acta gelegtes Lieblingsprojekt von Ex-Innenminister Schäuble (CDU) wiederzubeleben: Die Änderung des Art. 35 GG zum Einsatz der Bundeswehr im Innern. Auch wenn der Vorstoß eiligst wieder zurückgezogen wurde, der Weg der GroKo in Sachen Law & Order scheint offensichtlich.
DIE LINKE als größte Oppositionspartei im Deutschen Bundestag hat zweifelsohne einen großen Anteil an der Einsetzung der beiden aktuellen Untersuchungsausschüsse, an der Arbeit im NSU-Ausschuss in der 17. Legislatur und daran, dass immer wieder Fragen in Sachen Bürgerrechts- und Datenschutz auf der Tagesordnung erscheinen. Mit der Skandalisierung der inhaltsleeren Informationspolitiken von Kanzleramt, Geheimdiensten und Bundesinnenministerium hat sie sich als aktive Streiterin für Bürgerrechte präsentiert.
Will DIE LINKE kontinuierlich auf diesem Politikfeld als glaubwürdige Bürgerrechtspartei gelten, muss sie sowohl nach innen als auch nach außen Weichen stellen. Sie muss den Kampf um soziale Grundrechte erweitern und deutlicher in den Fokus rücken, was sie selbst seit Jahren postuliert: die sozialen und die freiheitlichen Grundrechte als zwei Seiten einer Medaille zu behandeln. Die Verteidigung der einen, unter Zuhilfenahme und Ausweitung der anderen macht eben den Mehrwert einer demokratisch-sozialistischen Partei, bspw. auch gegenüber den Grünen in der Opposition und erst recht gegenüber der Großen Koalition aus. Kurzum: DIE LINKE muss das eine tun, ohne das andere zu lassen.
Sie darf nicht an dem Punkt der Skandalisierung von offenkundigen Fehlentwicklungen in der bundesdeutschen und europäischen Gesellschaft in Sachen Bürgerrechte stehen bleiben. Sie muss Aufklärung fordern und leisten, also auch eigenständige Alternativen entwickeln. Dass es an politischen Alternativkonzepten hier nicht mangelt, ist nachweisbar. Der Nachweis aber, dass sich die gesamte Partei, angesichts der desolaten Innen- und Bürgerrechtspolitik der sogenannten GroKo, ihrer Rolle auch bewusst ist, steht noch aus.
Auch strategisch ist das Streiten für Bürgerrechte und Demokratisierung, sowie Öffnung der Gesellschaft für DIE LINKE interessant. All die Fragen, wie es der LINKEN gelingen kann, als Partei in neue gesellschaftliche Milieus vorzudringen und sich auch hier als DIE OPPOSITION zu positionieren, lassen sich auch und gerade in der Innen- und Rechtspolitik stellen und beantworten. Eine aufgeklärte und aufklärende Bürgerrechtspolitik, gerade nach den Erfahrungen mit den Verschärfungen der Sicherheitsgesetze nach 2001, muss über die bloße, wenngleich richtige, Parole hinaus gehen. Dieses Politikfeld ist nicht Spielwiese einiger weniger FachpolitikerInnen im Bund und in den Ländern. Nein, im Gegenteil: Der Kampf für Demokratie, Aufklärung, Transparenz und für den Abriss des Geheimdienstgebäudes ist konstitutiv für demokratische Sozialisten.
Jan Korte, (MdB) ist stellv. Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Bundestag
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Dominic Heilig, Koordinator des Innenarbeitskreises der Bundestagsfraktion und Mitglied des Parteivorstandes
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Jan Korte und Dominic Heilig