Die Vorratsdatenspeicherung ist rechtlich tot. Jetzt muss sie endlich auch politisch beerdigt werden!
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat den ewiggestrigen Überwachungsapologeten die rote Karte gezeigt und die Richtlinie 2006/24/EG vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten insgesamt und für von Anfang an ungültig erklärt. Die Richter stellen fest, dass der Unionsgesetzgeber die Grenzen überschritten habe, die er zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten (Art. 7, 8 und 52 Abs. 1 der EU-Grundrechtecharta) hätte zwingend einhalten müssen. Für die Mitgliedsstaaten ist somit die Pflicht entfallen eine Vorratsdatenspeicherung national umzusetzen.
Stattdessen sind sie ab sofort verpflichtet, bestehende nationale Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung an das EuGH-Urteil anzupassen. Einige Mitgliedsstaaten haben bereits damit begonnen. In Schweden haben Provider angekündigt, nicht länger zu speichern. In Österreich und Ungarn stehen Gerichtsentscheidungen über die Zukunft der nationalen Gesetze an. Finnland will sein Gesetz dem Urteil anpassen und die entsprechenden Regelungen streichen. Und in der Slowakei hat das Verfassungsgericht das nationale Gesetz suspendiert.
Vorratsdatenspeicherung helfen nicht bei Verbrechensaufklärung
Doch es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht sicherheitspolitische Hardliner mit absurden Metaphern oder hanebüchenen Unterstellungen die Wiedereinführung dieser Überwachungsmethode fordern. Beispielsweise bestand Bundesinnenminister de Maizière kürzlich auf die verdachtslose Vorratsspeicherung aller unserer Verbindungs-, Bewegungs- und Internetzugangsdaten mit den Worten: „Alle Fachleute ... halten eine Vorratsdatenspeicherung zum Zwecke der Aufklärung schwerer Straftaten für geboten und erforderlich". Es bleibt zwar völlig rätselhaft, auf welche „Fachleute“ sich der Innenminister bezieht. Fakt ist, dass auch viele Experten, beispielsweise die Neue Richtervereinigung, die europäische Richtervereinigung MEDEL, der Deutsche Anwaltverein, der ehemalige Präsident des europäischen Polizeiverbands EUROCOP Heinz Kiefer und das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht eine wahllose Ansammlung all unserer Kommunikationsdaten als ineffizientes und exzessives Mittel der Strafverfolgung ablehnen. Zum tatsächlichen Nutzen – oder eben Nicht-Nutzen – existiert eine Studie des Max-Planck-Instituts, die auf Zahlenmaterial des BKA beruht: Demnach verbesserte sich mit der Vorratsdatenspeicherung die durchschnittliche Aufklärungsquote lediglich im Promillebereich, nämlich um 0,006 Prozent. Und nicht einmal das konnte ursächlich der Vorratsdatenspeicherung zugeschrieben werden.
Bürgerinnen und Bürger lehnen Vorratsdatenspeicherung ab
Und so sieht es auch schon seit Jahren die Bevölkerung: Eine repräsentative Meinungsumfrage von Emnid hat kürzlich ergeben, dass rund 80 Prozent der Bundesbürger eine Sammlung ihrer Verbindungs- und Standortdaten ohne jeden Verdacht und Anlass ablehnen.
All das ficht jedoch die hysterischen Überwachungs-Propagandisten in Union, SPD und den Polizei-Gewerkschaften, die seit Jahren unermüdlich daran arbeiten, der Öffentlichkeit, den Medien und der Politik einzureden, dass Vorratsdatenspeicherungen unverzichtbar seien, in keinter Weise an.
All denen sei hier klar und deutlich und ein für alle Mal gesagt:
Die Vorratsdatenspeicherung ist tot. Und das muss sie auch bleiben.
Schon das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil so hohe Hürden für eine eventuelle Neuregelung aufgestellt, dass Juristen sich ergebnislos den Kopf zerbrachen, wie eine Umsetzung überhaupt möglich sein soll, die einer erneuten Klage standhalten kann. Ein Beispiel dafür sind die Vorschriften zur Datensicherheit, die spätestens nach Enthüllungen der permanenten Hacker-Angriffe der Geheimdienste als unerfüllbar gelten müssen.
Der EuGH ist in seinem Urteil darüber noch hinausgegangen und hat weitere Grenzen gesetzt. Unter anderem kritisieren die Richter die Anlasslosigkeit – und damit den Kern der Massenüberwachung:
„Sie gilt also auch für Personen, bei denen keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte. Zudem sieht sie keinerlei Ausnahme vor, so dass sie auch für Personen gilt, deren Kommunikationsvorgänge nach den nationalen Rechtsvorschriften dem Berufsgeheimnis unterliegen.“
Kurz und prägnant bringt der britische Jura-Professor Steve Peers das Urteil auf den Punkt: „Der EUGH verbietet Massenüberwachung“.
Freiheitsrechte der Bevölkerung instand setzen
Nach dem vernichtenden Urteil ist es überfällig die Vorratsdatenspeicherung nun endgültig zu beerdigen. Das Ganze stinkt schon viel zu lange zum Himmel. Die Aufforderung des Gerichts, die fundamentalen Freiheitsrechte der Bevölkerung zu achten, darf nicht länger von den Regierungen und Sicherheitsbehörden ignoriert werden. Was angesichts der immer neuen Enthüllungen über die Überwachungs- und Kontrollpraktiken staatlicher Stellen dringend nötig ist, wäre eine umfassende Wiedereinsetzung der Grundrechte im Sicherheitsbereich.
Europa bewegt sich nach vorn. Da sollte endlich auch die Bundesregierung damit aufhören, sicherheitspolitische Leichen wieder beleben zu wollen.
linksfraktion.de, 9. Mail 2014