"Für Antisemitismus gibt es keine Entschuldigung"
Interview mit Jan Korte auf www.linksfraktion.de
Der Vorstand der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe, dem Sie angehören, hat sich in der vergangenen Woche besorgt über den Ausbruch antisemitischer Gewalt- und Straftaten, insbesondere auf Demonstrationen, geäußert. Europaweit und auf Deutschlands Straßen kam es bei Gaza-Solidaritätsdemonstrationen zur Relativierung und Leugnung des Holocausts, zu antisemitischen Sprechchören bis hin zu Gewaltausbrüchen gegen vermeintlich pro-israelische Demonstranten und vermeintlich jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger. Worauf beruht das Hasspotential, das jetzt so offen zutage tritt?
Ich glaube dieser Hass hat verschiedene Ursachen, von denen der Nahost-Konflikt an sich eine untergeordnete Rolle spielt. Sowohl in Deutschland, als auch in Frankreich und anderswo entlädt sich der Frust von Jugendlichen, die sich – zu Recht, wie ich meine – von der Gesellschaft liegen gelassen fühlen. Manche Kolumnisten machen es sich derzeit zu leicht, die Hassparolen mit „Integrationsdefiziten“ zu erklären – zumindest wenn sie die Schuld dafür den Jugendlichen mit Migrationshintergrund in die Schuhe schieben. Weder die Hassparolen, noch die zunehmende Armut, noch die Kürzungen bei Bildung und sozialer Jugendarbeit dürfen wir akzeptieren. Das beste Rezept gegen Antisemitismus und Rassismus bleibt Bildung und Aufklärung. Zum anderen gibt es schlicht in allen gesellschaftlichen Schichten viele Antisemiten, die offenbar gerade alle Hemmungen verlieren und meinen, auf den Putz hauen zu können. Ein Forschungsprojekt der Berliner TU hat erst kürzlich auf eine Flut antisemitischer Äußerungen in sozialen Netzwerken oder in Schreiben an jüdische und israelische Einrichtungen in der Bundesrepublik hingewiesen. Für Antisemitismus gibt es keine Entschuldigung und dagegen muss unmissverständlich Stellung genommen werden, das ist unsere gesellschaftliche Aufgabe und erst recht Aufgabe der LINKEN. Auch, dass bei Demos direkt vor Polizeikräften der Hitlergruß gezeigt wird, ohne dass darauf reagiert wird, darf auch nicht wieder vorkommen.
In Syrien, der Ukraine und im Irak - überall in der Welt - sterben bei kriegerischen Aussetzungen täglich hunderte Menschen, ohne dass sich die Anteilnahme beispielsweise in Deutschland in großen Demonstrationen manifestiert.
Das ist richtig. Und die Liste ließe sich mit Mali, den zentralafrikanischen Staaten, Syrien, Somalia, dem Irak und vielen anderen Konflikten mit hunderttausenden Toten fortsetzen. Das Leid der Zivilbevölkerung, die vielen unschuldigen Toten in diesen Konflikten, auch in Gaza und Israel, macht mich traurig und fassungslos. So richtig es deshalb ist, für den Frieden zu demonstrieren, so richtig ist auch die Frage, warum eigentlich erst Israel an einem Konflikt beteiligt sein muss, damit Menschen auf die Straße gehen oder wie wild Pamphlete und Presseerklärungen verfassen. In Teilen der Linken, ganz bewusst klein geschrieben, ist dieser zwanghafte Reflex besonders ausgeprägt, begleitet oft von einer kritiklosen Solidarisierung mit der Gegenseite. Damit müssen wir uns als Partei dringend auseinandersetzen, es analysieren und die richtigen Schlüsse ziehen um – nicht nur in Bezug zum Existenzrecht dieses Staates, der durch den Holocaust zur Notwendigkeit wurde, sondern auch in Bezug auf unsere friedens- und entwicklungspolitischen Positionen – unser Parteiprogramm auch in Wort und Tat umzusetzen.
Ihnen wird vorgehalten, sich mit den Abgeordneten der anderen Bundestagsparteien gegen Linke zusammengetan zu haben. Was sagen Sie dazu?
Das ist dermaßen grotesker Unsinn, dass man dazu eigentlich nichts sagen sollte. Dennoch: Wir haben als deutsch-israelische Parlamentariergruppe die antisemitischen Ausschreitungen, Angriffe und Parolen verurteilt, die sich im Rahmen der Demonstrationen gegen den israelischen Militäreinsatz in der Bundesrepublik und anderswo ereignet haben. Wer sich an diesen Ausschreitungen beteiligt hat und sich von unserer Erklärung angegriffen fühlt, tut dies zu Recht – denn mit solchen Leuten verbindet mich nichts.
Hat die Diskussion über die antisemitischen Vorfälle die eigentliche Botschaft der Friedensdemonstrationen überlagert?
Man darf da nicht Ursache und Wirkung verwechseln: Bedauerlicherweise haben die Ausschreitungen und die Hassparolen dazu beigetragen, dass das Anliegen, auf die Leiden der Zivilbevölkerung im Gazastreifen und in Israel hinzuweisen und die Forderung nach Frieden diskreditiert wurden. Und das muss man natürlich diskutieren, um daraus auch für die Zukunft zu lernen. Diejenigen, die antisemitische Ausfälle verharmlosen und Antisemiten auf Demos oder sonst wo akzeptieren, weil sie sich nicht von ihnen distanzieren, fallen der Friedensbewegung in den Rücken. Wer Vergleiche der israelischen Streitkräfte mit der Wehrmacht kommentarlos hinnimmt oder zivile Opfer einseitig dem israelischen „Aggressor“ zuschreibt, ohne den Raketenbeschuss auch nur zu erwähnen, den die Hamas systematisch seit langer Zeit durchführt, schadet dem berechtigten Protest gegen den Militäreinsatz. Ich glaube es ist ein breiter Konsens in der LINKEN, dass wir uns nicht an Bündnissen mit Antidemokraten beteiligen, die mit den Grundideen der Linken, mit Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit oder Emanzipation nichts zu tun haben. Und dass wir uns in jedem Friedensaufruf unsererseits, in jedem Redebeitrag zum sehr kritikwürdigen israelischen Militäreinsatz ohne Wenn und Aber vom Terror und den antiemanzipatorischen Zielen der Hamas deutlich distanzieren. Noch ein letzter Punkt zur Aussage, man könne keine „Israel-Kritik“ formulieren, ohne dem Vorwurf des Antisemitismus ausgesetzt zu sein: Israel wird tagtäglich kritisiert, von innen wie von außen. Es gibt dort eine Opposition, die so frei ist wie hier. Es gibt Meinungsfreiheit, soziale Proteste, kritische Stimmen zum Besatzungsrecht in den palästinensischen Autonomiegebieten oder Widerstand gegen zunehmenden Einfluss der radikal-religiösen in der israelischen Gesellschaft. Alle ohne Rückgriff auf antisemitische Stereotype. Damit beschäftige ich mich im Übrigen auch in der Parlamentariergruppe, wenn ich als Mitglied einer Oppositionsfraktion im Bundestag nicht gerade notwendige Kritik an den Regierungen von Deutschland, den USA, Russland, Ukraine oder welchem Land auch immer betreibe. Solidarisch bin ich mit den Linken in der Region - leider gibt es davon viel zu wenig zur Zeit.