Kanzleramt mauert bei NS-Aufarbeitung
Dass die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Ministerien und Behörden der Bundesrepublik auch 69 Jahre nach dem Ende des NS-Faschismus in Deutschland nicht abgeschlossen ist, liegt in erster Linie am lange (und zum Teil bis heute) fehlenden politischen Willen. Dies zeigt einmal mehr auch Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage "Historische Aufarbeitung der Akten im Bundeskanzleramt" (Download s. unten) von Jan Korte.
Erst in den letzten Jahren hat es aufgrund öffentlichen Drucks eine breitere Initiative zur Aufarbeitung der NS-Bezüge in einer Reihe von Ministerien und Behörden des Bundes gegeben, die zum Teil spektakuläre Ergebnisse zu Tage gefördert haben. So wurde beispielsweise kürzlich im Rahmen der Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes (BND) bekannt, dass sich bereits 1950 eine geheime Armee unter maßgeblicher Beteiligung ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS und der Wehrmacht im Umfeld der Organisation Gehlen und damit des Vorläufers des BND gründete, von der auch das Kanzleramt frühzeitig Kenntnis gehabt hat. Da man auch in anderen Zusammenhängen der Geschichtsaufarbeitung, so zum Beispiel bei der Beschäftigung hochrangiger NS-Täter durch den BND, immer wieder auf die Frage stößt, inwieweit das Bundeskanzleramt, von den einzelnen Vorgängen Kenntnis hatte oder diese veranlasste, stellt sich die Frage, wieso es bislang für die Regierungszentrale keine Aufarbeitung seiner historischen Rolle gibt. Denn wenn man eine vollständige Aufarbeitung der personellen und inhaltlichen Verbindungslinien bundesdeutscher Regierungspolitik nach 1949 will, dann kommt man um eine Aufarbeitung der Rolle des Kanzleramts nicht herum.
Die Bundesregierung sieht dies jedoch völlig anders und keine Notwendigkeit, die eigene Geschichte nach 1945 von einer Historikerkommission aufarbeiten zu lassen. Dies sei Aufgabe der Forschung und Historiker könnten ja "im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften die Aktenbestände beim Bundesarchiv zu Forschungszwecken einsehen". Eine eigene Kommission brauche es da nicht. Das ist jedoch eine billige Ausrede, die verschleiern soll, dass es seitens der Regierung kein Interesse gibt, das Kanzleramt in den Blick zu nehmen. Aus Sicht der LINKEN kann nicht angehen, dass alle untergeordneten Ministerien und Behörden nach und nach ihre Geschichte aufarbeiten, aber das Kanzleramt, also die exekutive Schaltzentrale, sich bis heute einer kritischen Reflektion, entgegen allen Lippenbekenntnissen, verweigert. Der Verweis auf das Bundesarchiv und die Freiheit der Forschung ist nichts anderes als scheinheilig. Ginge es dem Kanzleramt wirklich um eine kritische Aufarbeitung, dann würde es sich selbst aktiv um eine solche unabhängige wissenschaftliche Expertise bemühen. Die Bundesregierung ist in der Pflicht ihre Blockadehaltung endlich aufzugeben.
Über die Anfrage ist ein Artikel in der Berliner tageszeitung erschienen:
"Kanzleramt blickt nicht zurück" die tageszeitung vom 30.7.2014