Anti-Terror-Datei-Gesetz: »Wieder ein Fall für das Bundesverfassungsgericht«
Jan Korte, stellvertretender Vorsitzender und Leiter des Arbeitskreises Demokratie, Recht und Gesellschaftsentwicklung der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, im Interview mit linksfraktion.de über die Novelle des Anti-Terror-Datei-Gesetzes
Am 22. September findet im Innenausschuss des Bundestages eine Sachverständigenanhörung zur Novelle des Anti-Terror-Datei-Gesetzes statt. Aber erklären Sie uns bitte zunächst, was die sogenannte Anti-Terror-Datei ist?
Jan Korte: Das Ende 2006 von der schwarz-roten Koalition beschlossene Anti-Terror-Datei-Gesetz (ATDG) erlaubt die Speicherung sowohl von polizeilich ermittelten Fakten zu terrorverdächtigen Personen als auch von Geheimdiensten eingegebenen Vermutungen und Annahmen zu Personen, in einer Datei. Wir haben die Anti-Terror-Datei schon von Beginn an als willkürliche Verdachtsspeicherdatei kritisiert, die gegen das Trennungsgebot, das heißt die Trennung von Geheimdiensten und Polizei verstößt und Menschen stigmatisiert, die sich legal, aber "auffällig" verhalten haben oder zu den "falschen" Leuten Kontakt haben. Das Bundesverfassungsgericht hat 2013 massive Nachbesserungen gefordert, die auch für die inzwischen ins Leben gerufene Rechtsextremismusdatei gelten müssen. Der Bundesregierung wurde großzügig hierfür bis 2014 eine Frist gesetzt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat nun einen Entwurf vorgelegt, der aus unserer Sicht dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nicht gerecht wird und sogar noch problematischere Regelungen als die Vorversion enthält.
Auch die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete und jetzige Bundesdatenschutzbeauftragte, Andrea Voßhoff, hat die von der Großen Koalition geplanten Änderungen der Anti-Terror-Datei kritisiert.
Völlig zu Recht. Die Bundesdatenschutzbeauftragte hat am vorgelegten Entwurf des Bundesinnenministers unter anderem kritisiert, dass der Kreis der gespeicherten Personen nicht, den Vorgaben des Verfassungsgerichts entsprechend, eng definiert wurde und dass Daten miteinander verknüpft werden können, das Instrument also nicht nur als reine Hinweisdatei funktioniert. Wie auch wir in der Vergangenheit, kritisiert sie den dem Gesetzentwurf zugrunde liegenden Evaluierungsbericht zum ATDG, der lediglich die Praxistauglichkeit, nicht aber die grundrechtlichen Folgen der Maßnahme untersucht hat, also komplett am Ziel vorbeigegangen ist. Interessant, sogar bezeichnend, ist, dass das BMI die Datenschutzbeauftragte nicht einmal als Sachverständige hören will. Wir teilen die Detailkritik der Bundesdatenschutzbeauftragten, aber sagen darüber hinaus, dass der Gesetzentwurf längst nicht alle Vorschläge und Vorgaben des Verfassungsgerichtsurteils umgesetzt hat. Unsere grundlegende Ablehnung der Anti-Terror-Datei und der ihr nachgebauten Rechtsextremismusdatei bleibt also aktuell. Wir dürfen uns politisch nicht am rechtsstaatlichen Minimum und an den extremen Außengrenzen unserer Verfassung orientieren, sondern sollten das demokratiefördernde Optimum anstreben.
Welche Erwartungen haben Sie an die Anhörung?
Nach unseren Erfahrungen ist zu erwarten, dass ein Teil der Experten wichtige Anregungen für Änderungs- oder Entschließungsanträge weit über die Anti-Terror-Datei hinaus geben wird. Die werden wir dann auf ihre Brauchbarkeit für eigene Initiativen prüfen. Die Erfahrung lehrt aber auch, dass der Bundesregierung Expertenmeinungen manchmal herzlich egal sind – ich erinnere nur an die Ausführungen des ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier im NSA-Untersuchungsausschuss. Er und andere Sachverständige hatten die Auslandsaufklärung des Bundesnachrichtendienstes von Telekommunikationsverbindungen als rechtswidrig bezeichnet. In der ANTWORT auf unsere Frage, welche Konsequenzen die Bundesregierung daraus zieht, hat sie, ohne es in irgendeiner Weise zu belegen, einfach das Gegenteil behauptet. Sie hat sich mit der Kritik offenbar überhaupt nicht auseinandergesetzt.
Am Entwurf des Anti-Terror-Datei-Gesetzes wird sich also nichts ändern?
In der vorliegenden Form ist die Neuregelung des ATDG wieder ein Fall für das Bundesverfassungsgericht – wir werden auch weiterhin fordern, auf die Anti-Terror-Datei zu verzichten – die Reaktionen auf die Stellungnahme der Bundesdatenschutzbeauftragten aus der Koalition, die jedes Problembewusstsein vermissen lassen, machen da aber nicht viel Hoffnung.
Union und SPD erwecken ohnehin nicht den Eindruck, als würden sie bei den Themen Datenschutz, Geheimdienste, Bürger- und Freiheitsrechte irgendetwas ändern.
Leider ändern Union und SPD ja schon was, nur nicht zum Guten. Die Ausbauprogramme der deutschen Geheimdienste zum Beispiel sind ja keine Peanuts. Der Bundesregierung ist es bisher immer wieder gelungen, die US-Dienste und ihre Schweinereien in den Vordergrund zu schieben – die Kooperation der deutschen Dienste und deren unbedingten Willen, ihre Überwachungskapazitäten auszubauen und der NSA immer ähnlicher zu werden, aber aus der öffentlichen Diskussion herauszuhalten. Für Union und SPD beschränkt sich das Problembewusstsein auf Merkel als Opfer einer Handyattacke oder Siemens als Ziel von Industriespionage. Dabei stehen vor einer Richtungsentscheidung: Akzeptieren wir ein Überwachungswettrüsten oder wollen wir unsere Bürgerrechte für heute sichern und für morgen ertüchtigen? Ich wäre sehr für letzteres. Wir werden uns im Parlament weiter dafür einsetzen und hoffen sehr, dass viele andere Menschen uns in diesem Kampf um die Bürgerrechte unterstützen.
Erschienen auf linksfraktion.de, 19. September 2014