Verfassungsschutz in Fußball-Fanszenen
Am 21.7.2014 berichtete das Magazin Der Spiegel, dass ein renommierter Kölner Fanforscher seit rund 20 Jahren für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) arbeiten soll. Der Politologe habe in den neunziger Jahren im Bereich Rechtsextremismus beim BfV gearbeitet („Fanforscher arbeitet für Nachrichtendienst“. Der Spiegel-Online vom 20.7.2014) und sei dort unter anderem mit der Führung des V-Manns und Neonazis Michael See, dessen Akte beim Bundesamt für Verfassungsschutz wenige Tage nach Auffliegen des NSU-Terrortrios im November 2011 geschreddert wurde, betraut gewesen, wie es die Autoren Stefan Aust und Dirk Laabs in ihrem 2014 erschienenen Buch „Heimatschutz“ beschreiben.
Seit 2011 hat der mutmaßliche Mitarbeiter des BfV diverse Bücher zu Fußball- und Fankultur veröffentlicht und sich in der Fanszene einen guten Ruf erarbeitet, war an diversen wissenschaftlichen Projekten zur Fanforschung beteiligt und ist einer der Mitbegründer des Institut für Fankultur an der Universität Würzburg sowie von www.fankultur.com, einer Internetplattform, die Fußballfans zum Verfassen von Blogs einlädt. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund bekannter Anwerbeversuche von Verfassungsschutzbehörden der Länder in der Ultra-Szene hat sich uns die Frage gestellt, ob sich das Bundesamt für Verfassungsschutz auf diesem Weg Informationen über Organisationsstrukturen von Fußballfans, insbesondere von organisierten Ultras, beschafft. In Fanblogs macht sich diesbezüglich Verunsicherung breit. Auch in den Hochschuleinrichtungen, die mit dem Fanforscher zusammengearbeitet haben, fragt man sich, ob die Zusammenarbeit genutzt wurde, um an Daten heranzukommen oder gar die Forschung zu beeinflussen.
Zusammen mit der Fraktion DIE LINKE im Bundestag habe ich bei der Bundesregierung nachgefragt: Ob der Wissenschaftler tatsächlich für das Bundesamt für Verfassungsschutz arbeitet. Ob diese Arbeit im Zusammenhang mit seiner Fanforschung steht, oder ob das BfV dadurch Informationen über die organisierte Fußball-Fanszene gesammelt hat. Ich hätte es begrüßt, wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort die Möglichkeit ergriffen hätte, klarzustellen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz keine wissenschaftlichen Einrichtungen abschöpft oder heimlich beeinflusst. Oder dass sie wenigstens klargestellt hätte, dass das (bundesweite) Beobachten der Fußball-Fanszene nicht zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes zählt. Leider hat sie diese Gelegenheit nicht wahrgenommen.
Stattdessen beantwortet sie unsere Fragen erst gar nicht und bemüht verschiedene Argumente, weshalb diese Informationen der Geheimhaltung unterliegen. Wie in etlichen Fällen in letzter Zeit ist hier von der Bundesregierung nichts an Aufklärung über den Fall zu erwarten – egal wieviel Verunsicherung der Verfassungsschutz mal wieder gestiftet hat. Wenn beispielsweise ein Beschäftigter des Bundesamts für Verfassungsschutz einen Fanblog gründet und die Bundesregierung nicht öffentlich sagen will, ob der Inlandsgeheimdienst darüber Informationen über Autoren und Nutzer abschöpft, öffnet sie der Spekulation Tür und Tor. Dasselbe gilt für die Nichtbeantwortung der Frage, ob BfV-Mitarbeiter in wissenschaftlichen Einrichtungen operativ tätig sind.
Wenn es tatsächlich eine Verbindung der Forschungstätigkeit mit dem Beschäftigungsverhältnis beim Bundesamt für Verfassungsschutz gibt, wird auch die betreffende Person nichts darüber sagen dürfen. Je größer das Schweigen ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass dem Bundesamt für Verfassungsschutz alle Mittel und Wege recht sind, um an Informationen zu gelangen. Der Geheimdienst, den Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg-Maaßen gerne als „Dienstleister für Demokratie“ bewirbt, beweist mal wieder, dass er auch richtige Bärendienste im Leistungsangebot hat.
In diesem Fall riskiert die Bundesregierung den völligen Bruch mit der Fanszene, die sämtliche ihrer Vorbehalte gegenüber staatlichen Institutionen bestätigt sehen wird. Und sie diskreditiert und erschwert die wissenschaftliche Arbeit derer, denen tatsächlich an der Erforschung der Fußballfankultur, ihrer Szenen, Potentiale und Konfliktfelder gelegen ist.
Unter anderem mit Bezug auf unsere Kleine Anfrage sind einige Beiträge dazu erschienen:
"Wer ist Martin Thein" Beitrag auf 3sat Kulturzeit vom 23.9.2014
"Enger Kontakt" Beitrag von WDR - Sport Inside vom 22.9.2014