Jan Korte, MdB (DIE LINKE) (www.jan-korte.de)

Bei der NS-Aufarbeitung kommt man nicht um die exekutive Schaltzentrale herum

20.10.2014

linksfraktion.de sprach mit Jan Korte, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, über die braune Vergangenheit in Bundesbehörden und -ministerien und über den Antrag, eine Historikerkommission für das Kanzleramt einzusetzen

In den letzten Jahren hat es eine Reihe von Projekten zur Aufarbeitung der NS-Geschichte in Ministerien und Institutionen des Bundes gegeben. Ist dabei denn tatsächlich Neues herausgekommen?

Jan Korte: Ja tatsächlich, in den letzten Jahren hat es vor allem durch den politischen Druck von Journalisten, Historikern und einer kritischen Öffentlichkeit eine breitere Initiative zur Aufarbeitung der NS-Bezüge in Ministerien und Behörden gegeben. Sehr wichtig waren hier insbesondere die Arbeiten zur Geschichte des Auswärtigen Amtes und zur braunen Vergangenheit des Bundeskriminalamtes. Zum Teil spektakuläre Tatsachen förderte aber auch die Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes zutage. So wurde erst kürzlich bekannt, dass sich bereits 1950 eine Geheimarmee ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS und der Wehrmacht im Umfeld der Organisation Gehlen - des Vorläufers des BND - gründete, von der auch das Kanzleramt frühzeitig Kenntnis gehabt hat und die vor allem in den außenpolitischen Plänen von Adenauer und Globke eine Rolle spielten. Aber auch die Zwischenergebnisse zur Frage der historischen Bedeutung der massiven innenpolitischen Präsenz des BND in den Gründungsdekaden der Bundesrepublik sind bemerkenswert. Man wusste zwar schon durch den Guillaume-Untersuchungsausschuss von 1974, dass BND-Chef Gehlen eine umfangreiche Sonderkartei über hunderte Personen der westdeutschen Innenpolitik anfertigen ließ. Welchen Umfang die verfassungswidrige Inlandsaufklärung des BND hatte und welchen Zielen sie diente, blieb der Öffentlichkeit aber bislang weitgehend verborgen.

DIE LINKE bringt jetzt einen Antrag ins Plenum ein, mit dem eine Historikerkommission zur Rolle des Bundeskanzleramtes bei der personellen und inhaltlichen Aufarbeitung der NS-Geschichte durch die Bundesregierung eingesetzt werden soll. Warum soll das Bundeskanzleramt in den Blick genommen werden, das ja gar keinen direkten Vorläufer in der NS-Zeit hat?

Bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit stößt man fast zwangsläufig immer wieder auf die Frage, inwieweit das Bundeskanzleramt von den einzelnen Vorgängen Kenntnis hatte beziehungsweise diese veranlasste. Die vorgesetzte Behörde des BND ist ja auch direkt das Kanzleramt und nicht das Bundesinnenministerium. Die Bewertung personeller Kontinuitäten in einzelnen Ministerien oder Institutionen, das Wissen um die Einbindung von Personen, die an NS-Verbrechen beteiligt waren, bei BND, BKA oder Verfassungsschutz, der Umgang mit der Suche nach NS-Verbrechern – all das spiegelt sich nicht zuletzt in den Akten des Bundeskanzleramtes wider. Wenn man also eine vollständige Aufarbeitung der personellen und inhaltlichen Verbindungslinien bundesdeutscher Regierungspolitik nach 1949 will, dann kommt man um eine Aufarbeitung der Rolle der exekutiven Schaltzentrale einfach nicht herum.

Muss man also davon ausgehen, dass das Kanzleramt über all die skandalösen Geschichten von Eichmann bis Barbie Bescheid wusste?

Ja, davon muss man eigentlich ausgehen. Natürlich kann es durchaus sein, dass nicht alles bekannt war und sich bestimmte Strukturen insbesondere in den Sicherheitsbehörden verselbständigt hatten. Aber im Kern war das Kanzleramt sicher nicht nur informiert, sondern oftmals auch Initiator und selbstverständlich für die Richtungsentscheidungen und das Treiben der Dienste politisch verantwortlich.

Wie sieht denn die Aktenlage aus. Sind tatsächlich alle diese Akten noch im Kanzleramt vorhanden und wie kann sichergestellt werden, dass die Wissenschaftler tatsächlich alles zu Gesicht bekommen?

Ob tatsächlich noch alle Akten vorhanden sind, ist extrem unwahrscheinlich. Anzunehmen ist eher, dass mittlerweile Vieles geschreddert und vernichtet wurde. Und ob einer zukünftigen Historikerkommission tatsächlich alle Akten zur Verfügung gestellt würden, kann niemand von außerhalb sagen. Die Erfahrungen der bisherigen Kommissionen sind nach meiner Einschätzung recht unterschiedlich. Einige Historiker loben die Behörden für ihre Kooperation, andere üben hingegen Kritik und mahnen regelmäßig vollen Aktenzugang an. Die Akten werden ja in der Regel von Behörden- oder Geheimdienstmitarbeitern gesichtet und dann vorsortiert an die Wissenschaftler weitergegeben. Beim BND kamen vor einiger Zeit auch schon Fälle umfangreicher Aktenvernichtungen ans Licht.

Sie sind seit vielen Jahren auch parlamentarisch sehr aktiv beim Thema der NS-Erinnerung. Hat sich da aus Ihrer Sicht etwas im Umgang mit dem Thema verändert? Mein Eindruck ist: keine aggressive Abwehr mehr, dafür aber gleichgültiges Desinteresse. Liege ich da falsch?

Nein, das sehe ich ähnlich. Sowohl die Zeit der aggressiven Abwehr, als auch der Ohrfeigen und extrem empörten Öffentlichkeit ist weitestgehend vorbei und eher einer desinteressierten Lethargie gewichen. Das liegt natürlich daran, dass kaum noch Täter oder Opfer leben. Die Art von Vergangenheitsbewältigung der Bundesregierung kostet im Prinzip nichts mehr. Und die Institutionen glauben, sich jetzt ohne großes Aufsehen ein für alle Mal von ihrer braunen Vergangenheit befreien zu können. Manches ist aber wohl so krass, dass die Angst vor der Enthüllung dazu führt, dass weiterhin gemauert wird. Im Fall des Kanzleramtes steht gerade für die Union offenbar nach wie vor sehr viel auf dem Spiel. Unerträglich sind auch weiterhin die auf der Totalitarismustheorie basierenden ständigen Versuche einer Relativierung der NS-Verbrechen durch eine wissenschaftlich nicht ansatzweise haltbare Gleichsetzung von NS- und DDR-Diktatur. Dass sich unsere Arbeit und beharrlicher öffentlicher Druck auf dem nach wie vor hart umkämpften Feld der Geschichtspolitik aber lohnen, hat nicht zuletzt 2009 die Rehabilitierung der so genannten Kriegsverräter gezeigt. DIE LINKE wird deshalb auch weiterhin unbequeme Fragen stellen und konsequent für die Erinnerung an die NS-Vergangenheit und die Anerkennung, Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer des Faschismus eintreten.

Erschienen auf linksfraktion.de, 20. Oktober 2014

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