NS-Unrecht für sowjetische Kriegsgefangene anerkennen
Von den etwa 5,7 Millionen Rotarmisten, die in die Gewalt der Wehrmacht gerieten, kamen geschätzte 3,3 Millionen in deutscher Kriegsgefangenschaft um. Sie wurden auf kaum fassbare Weise durch Mord, Hunger, Kälte, Krankheit und Arbeit vernichtet. DIE LINKE fordert, den wenigen Überlebenden ehemaligen Kriegsgefangenen eine einmalige individuelle Anerkennung für ihr erlittenes Unrecht zukommen zu lassen. Das ist das Mindeste, was die Bundesrepublik 70 Jahre nach Ende des rassistischen Vernichtungskrieges tun kann, so Jan Korte in seiner Rede zum Antrag der LINKEN "Finanzielle Anerkennung von NS-Unrecht für sowjetische Kriegsgefangene".
Jan Korte (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor kurzem haben wir hier der 6 Millionen Opfer der Schoah gedacht, des Zivilisationsbruches Auschwitz. Dieses Gedenken kam nicht einfach so, sondern auch das musste erkämpft werden, etwa durch Menschen wie Fritz Bauer. Das darf nie vergessen werden.
Heute geht es um eine de facto vergessene Opfergruppe: Es geht um 6 Millionen sowjetische Kriegsgefangene. Von diesen 6 Millionen starben 3,3 Millionen unter der Verantwortung der Wehrmacht durch Hunger, Krankheiten, Kälte, Zwangsarbeit oder massenweise Erschießung. Aus Anlass des 70. Jahrestages gilt es im Übrigen auch und in besonderer Weise, den 27 Millionen toten Menschen der Sowjetunion, übrigens mit und ohne Uniform, im Allgemeinen und den 3,3 Millionen toten sowjetischen Kriegsgefangenen im Speziellen zu danken und ihre Opfer für die Befreiung Europas zu würdigen.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der Vernichtungskrieg Nazideutschlands gegen die Sowjetunion wurde durch die verbrecherischen Kommissarbefehle, durch die Richtlinien des OKW von Anfang an in einer so bestialischen Art und Weise geführt wie noch kein Krieg zuvor auf der Welt. Daher wurde in dieser Logik im Vernichtungskrieg gegen den jüdischen Bolschewismus, wie es hieß, auch den sowjetischen Kriegsgefangenen ihr international geschützter Status verwehrt. Kurz, alle völkerrechtlichen und vor allem zivilisatorischen Mindeststandards, die sich die Völker der Erde gegeben haben, wurden durch die deutsche Kriegsführung suspendiert.
70 Jahre danach ist es nun an der Zeit, dieser vergessenen Opfergruppe zu gedenken und den gerade einmal noch rund 4 000 Überlebenden zumindest eine kleine Entschädigung zukommen zulassen. Wann, wenn nicht jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen?
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es stellt sich natürlich die Frage: Warum eigentlich erst jetzt? Es gibt natürlich historische und politische Gründe, warum den sowjetischen Kriegsgefangenen ihre Würde nicht gegeben wurde, warum sie nicht entschädigt wurden. Es gab zum einen in der alten Bundesrepublik einen quasi staatsreligiösen Antikommunismus, in dessen Klima der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion geradezu als legitim in weiten Teilen der Gesellschaft angesehen wurde. Es waren natürlich die Legende und die Lüge von der sauberen Wehrmacht, die dieses Gedenken verhinderte. Im Übrigen gab es vor 20 Jahren - auch das ist gerade ein Jubiläum - die wichtige, für unsere Gesellschaft notwendige Wehrmachtsausstellung. Auch daran sollten wir heute erinnern. Ihren Machern sollten wir für diesen großen Akt der Aufklärung noch einmal danken.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nachkriegsdeutschland war logischerweise und bekanntermaßen - das ist eigentlich unumstritten - geprägt von der Abwehr der Schuld und der „Unfähigkeit zu trauern“, wie es die Mitscherlichs dargelegt haben. Ein weiterer Grund, warum dieser Opfergruppe auch in Osteuropa und in der Sowjetunion nicht gedacht wurde, war, dass sie unter Stalin als Verräter und Kollaborateure gegolten haben; auch deswegen ist diese Opfergruppe so in Vergessenheit geraten.
Heute ist es nunmehr an der Zeit, eine Entschädigung auf den Weg zu bringen und in der Diskussion um das Ganze insgesamt über ein Konzept für die NS-Opfer in Osteuropa nachzudenken, also zu überlegen, wie wir ihrer besser und angemessener gedenken können. Versuchen wir nach so vielen Jahren wenigstens, ein winzig kleines Stück der von Ralph Giordano treffend als „zweite Schuld“ charakterisierten Politik Nachkriegsdeutschlands abzutragen: Entschädigen wir die noch wenigen lebenden sowjetischen Kriegsgefangenen. Es sind wirklich nicht mehr viele. Im Übrigen haben wir kaum noch Zeit dafür. Wir müssen uns beeilen. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu den heute vorliegenden Anträgen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)