Nutzen und Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung bleibt unbewiesen
Die Anhörung zur umstrittenen Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung (VDS) im federführenden Rechtsausschuss des Bundestages am 21.9.2015 brachte nicht viel Neues, dafür allerlei Einblicke in die grundrechtsferne Sichtweise der Befürworter immer neuer Überwachungsgesetze. Dies war allerdings bereits nach der Lektüre der vorab eingereichten Stellungnahmen der fünf von den Koalitionsfraktionen benannten Sachverständigen, darunter zwei Oberstaatsanwälte, ein Bundesrichter und ein BKA-Beamter, zu erwarten gewesen.
So sah Rainer Franosch vom hessischen Justizministerium keinerlei Sicherheitsgefahr in den durch die Vorratsdatenspeicherung aufgetürmten Datenbergen. Geheimdienste wie die NSA würden sich im Übrigen überhaupt nicht für IP-Adressen und Metadaten interessieren, sondern durch Direktzugriff bei den Providern gleich auf die Inhaltsdaten zugreifen. Dass mittlerweile deutlich geworden ist, dass Metadaten aussagekräftiger sind als Inhaltsdaten und gerade NSA, GCHQ und BND deshalb weltweit im großen Stil Metadaten erfassen, ist dem „Experten“ offenbar entgangen. Wichtiger als solche Details war ihm, in seinem Statement zu bemängeln, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht weit genug gehe. So böte er den Behörden nur den Zugriff auf Daten von Internet- und Telefonanbietern, z. B. aber nicht auf Daten von Telemedienanbietern wie Facebook. Auch die Vertreter von BKA, Bundesgerichtshof und deutschem Richterbund stießen ins selbe Horn und forderten allesamt weitergehende Regelungen, längere Speicherfristen und mehr Eingriffsbefugnisse. Gebetsmühlenartig wurde die Behauptung wiederholt, dass die Ermittler ohne IP-Adressen keinerlei Ermittlungsgrundlage hätten und deshalb gegen Internetdelikte chancenlos wären. Wenn überhaupt seien Zufallstreffer möglich.
Die Sachverständigen von Union und SPD bezweifelten außerdem, ob die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, der die EU-Richtlinie zur VDS im letzten Jahr für rechtswidrig erklärt hatte, überhaupt für das aktuelle Gesetzgebungsverfahren relevant sei. Der Augsburger Rechtsprofessor Ferdinand Wollenschläger vertrat gar die Auffassung, die EU-Grundrechte würden nur bei der Umsetzung von Unionsrecht in nationale Gesetzgebung zum Tragen kommen.
Mit "20 Fällen aus der Praxis" versuchte Nikolaus Berger, Richter am Bundesgerichtshof, die Notwendigkeit der VDS zu belegen. Auf Nachfrage von Halina Wawzyniak (DIE LINKE), die dem Bundesrichter vorhielt, dass lediglich drei seiner Fälle überhaupt mit Hilfe von Vorratsdaten zur Anklage gebracht worden seien und dass, nach wie vor, ein über Einzelfälle hinausgehender Beleg für die Erforderlichkeit der VDS fehle, räumten die Ermittler ein, aussagekräftige Statistiken nicht liefern zu können. Heide Sandkuhl vom Deutschen Anwaltverein (DAV) wies zu Recht darauf hin, dass der Gesetzgeber aber genau dies vor einer Verabschiedung des Gesetzes leisten müsse und es eben nicht ausreiche, einfach zu behaupten, dass die Strafverfolgung einer VDS für alle 80 Millionen Bundesbürger bedürfe. Laut einer Studie wirke sie sich nämlich auf die Verbrechensbekämpfung praktisch gar nicht aus und auch seit dem Wegfall der VDS im Jahr 2010 seien keine Sicherheitslücken nachweisbar. Sie wies außerdem darauf hin, dass der Gesetzentwurf – anders als das Bundesjustizministerium behaupte – Auskunftsrechte für Geheimdienste enthält. Staatliche Stellen dürften selbst "Früchte illegaler Datensammlung" verwerten.
Der Anwalt Meinhard Starostik kritisierte in seinem Statement ebenfalls, dass noch immer nicht zweifelsfrei erwiesen wäre, dass die VDS erforderlich sei. Er verwies außerdem auf den Begriff der Überwachungsgesamtrechnung. Diese sei vor dem Hintergrund neuer Überwachungsmaßnahmen wie den sieben Millionen jährlich automatisiert beauskunfteten Bestandsdaten und den Enthüllungen von Snowden neu zu bewerten. Starostik wies ferner darauf hin, dass es außerdem im privaten Bereich noch viele andere Datensammlungen von erheblichem Umfang gebe, auf die der Staat prinzipiell ebenfalls zugreifen könne. Entsprechend seien die Risiken einer Profilbildung enorm gewachsen.
Der Bundesregierung, die den Bundestag ursprünglich in dieser Woche über den Gesetzentwurf abstimmen lassen wollte, hat die EU-Kommission einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie prüft im Rahmen eines bis zum 6. Oktober verlängerten Notifizierungsverfahrens, ob der deutsche Gesetzesentwurf zur VDS mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
DIE LINKE hat mit ihrem Antrag „Auf Vorratsdatenspeicherung verzichten“ ihre prinzipielle Ablehnung einer VDS deutlich gemacht. Sie ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger und grundsätzlich nicht mit der Europäischen Grundrechtecharta vereinbar. Der vorgelegte Gesetzentwurf verstößt in den zentralen Fragen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gegen die Grundrechte.
Die Gutachten der Sachverständigen können auf der Seite des Deutschen Bundestags angesehen werden.