DIE LINKE wird niemals zulassen, dass die Schwachen gegen die Allerschwächsten ausgespielt werden
Rede von Jan Korte in der 130. Sitzung des Deutschen Bundestages zur Asylgesetzgebung:
Jan Korte (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gleich zu Beginn ‑ sicherlich zur Freude der CSU ‑ ein Zitat der Bundeskanzlerin:
"Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte kennt keine Obergrenze."
(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): da hat sie recht!)
"Das gilt auch für die Flüchtlinge, die aus der Hölle eines Bürgerkriegs zu uns kommen."
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich tue das selten, aber ich kann der Bundeskanzlerin hier nur recht geben. Asyl und Grundrechte kennen keine Kontingente. Dafür haben Sie meine volle Zustimmung.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich will aber auch sagen: Das ist kein revolutionärer Satz der Bundeskanzlerin. Das ist eigentlich eine humanistische Selbstverständlichkeit und nichts anderes als die Wiedergabe des Grundgesetzes. Das muss man so einordnen.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es ist schon bezeichnend, dass diese Selbstverständlichkeit in den Reihen der CSU zum völligen Austicken führt. Ja, sie ticken völlig aus: Söder, Herrmann, Seehofer. Es gibt kein Halten mehr. Ich will es deutlich sagen ‑ auch an die Adresse der Bundeskanzlerin ‑: In diesem Fall haben Sie die Unterstützung der Linken gegen die Extremisten in Ihren eigenen Reihen. Darauf können Sie sich voll und ganz verlassen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Allerdings steht das vorangestellte Zitat in einem eklatanten Widerspruch zu dem, was Sie ‑ auch Sie, Frau Bundeskanzlerin ‑ heute vorlegen. Die Dauer der Unterbringung in einer Erstaufnahmeeinrichtung für geflüchtete Frauen, Kinder und Familien von drei auf sechs Monate verpflichtend zu erhöhen, ist inakzeptabel. Es sind Menschen, und Menschen haben das Recht, menschenwürdig untergebracht zu werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es soll des Weiteren ein Zurück zu Sachleistungen geben. Das ist nicht nur viel teurer und bürokratischer. Das entmündigt vielmehr Menschen. Wir dürfen nicht vergessen: Es geht um Menschen. Was Sie heute vorgelegt haben, ist daher inakzeptabel.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich will noch etwas erwähnen: Das Kosovo soll ein sicheres Herkunftsland sein. Darf ich kurz daran erinnern, dass wir hier jedes Jahr einen Bundeswehreinsatz im Kosovo beschließen sollen, weil es dort so unsicher ist? Fällt Ihnen irgendetwas auf? Das ist doch unlogisch. Das ist Ideologie und nichts anderes. Das lehnen wir ab.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dann begehen Sie einen offenen Verstoß gegen ein klares Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit Blick auf die Leistungskürzung. Das kann doch nicht sein. Es gibt ein aktuelles Urteil dazu, und Sie gehen einfach darüber hinweg. Auch das ist nicht zu akzeptieren und wird von uns klar abgelehnt.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Kollege Klaus Ernst hat hinsichtlich der Transitzonen eben wunderbar sachlich im Disput mit dem Kollegen Friedrich argumentiert. Was ist das für ein Gerede? Wenn man das wirklich macht, dann schafft man Massenhaftanstalten und dann macht es nach Ihrer Logik nur Sinn, wenn die Grenzen komplett geschlossen und neue Mauern gebaut werden. Das ist das Ende der europäischen Idee, das Ende von Schengen. Helmut Kohl hält es nicht aus, was Sie mit Europa machen, um auch das einmal klar zu sagen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich will meine Kritik gerecht verteilen. Ich würde mir auch von der SPD und Sigmar Gabriel bei all diesen Fragen wenigstens einmal, in einem Punkt eine klare Haltung wünschen.
(Dr. Eva Högl (SPD): Wir haben eine sehr klare Haltung!)
Sagen Sie, wo Sie in dieser Debatte stehen. Wo stehen Sie eigentlich?
(Beifall bei der LINKEN)
Eine Anmerkung auch zu den Grünen. In Hessen und in Baden-Württemberg - das waren die Schlüsselländer - gab es die Chance, das Vorhaben der Koalition zu verhindern. Die wurde leider nicht ergriffen. Ich freue mich im Übrigen, dass Thüringen und Brandenburg dem in dieser Form am Freitag im Bundesrat nicht zustimmen werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich will noch einmal die Bundeskanzlerin zitieren - das ist heute schon mehrfach geschehen -, und zwar ihren Satz: Wir schaffen das. - Die entscheidende Frage ist: Was wollen wir schaffen? Diese Frage müssen wir diskutieren und beantworten. Eigentlich bietet die Situation, in der wir jetzt sind, die große Chance für eine soziale, weltoffene und demokratische Modernisierung der Bundesrepublik, für eine Öffnung der Bundesrepublik und für eine wirkliche Integrationspolitik.
Erstens. Die Kommunen waren vor der Ankunft der Flüchtlinge völlig unterfinanziert, sie sind es jetzt genauso. Neu und gut für alle wäre es, in dieser Zeit endlich die Finanzierung der Länder, des Bundes und der Kommunen neu zu regeln, damit die Misere ein Ende hat. Das wäre gut für alle.
(Beifall bei der LINKEN)
Zweitens. Der soziale Wohnungsbau wurde vor der Ankunft der Flüchtlinge kurz und klein frikassiert. In elf Jahren wurden 1 Million Sozialwohnungen abgebaut. Neu und gut für alle wäre es, jetzt massiv in den sozialen Wohnungsbau zu investieren.
(Beifall bei der LINKEN)
Drittens. Es gäbe jetzt die große Chance, endlich das Bildungssystem in diesem Land zu reformieren und mit dieser Kleinstaaterei Schluss zu machen. Neu und gut für alle wäre ein Topbildungssystem in der ganzen Bundesrepublik. Das ist die richtige Antwort, die wir geben müssen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Viertens. Egal ob Flüchtling oder Nichtflüchtling, natürlich brauchen wir eine Reregulierung des Arbeitsmarkts. Neu und gut für alle, ob für Inländer, Ausländer oder Flüchtling, wäre ein Verbot der Leiharbeit - das steht an -, wären ein vernünftiger Lohn und ein Mindestlohn von 10 Euro für alle, ohne jegliche Ausnahme. Das wären die richtigen Antworten, die man jetzt geben müsste.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich will noch kurz etwas zum Flüchtlingssoli anmerken, den es angeblich geben müsse, wie es durch die Gazetten geisterte, was im Zweifel von der CSU - ich weiß es aber nicht - kam. Dazu will ich sagen: Wenn jemand einen Flüchtlingssoli zahlen sollte, dann ist das die deutsche Rüstungsindustrie. Die sollte zahlen, und das Geld sollte direkt an den UNHCR überwiesen werden. Das wäre richtig.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich habe einige Punkte aufgezählt, die aufzeigen, was man kurzfristig machen könnte. Dazu gehört auch - das ist kurzfristig machbar - ein Verbot von Rüstungsexporten; das ist die richtige Antwort.
(Beifall bei der LINKEN)
All das könnte man tun. Diese kleinen Punkte, die eine soziale, weltoffene Modernisierung in diesem Land darstellen könnten, würden übrigens dazu führen, dass am Ende aus dem ganzen Krisengerede ein großer Aufbruch, sozial, demokratisch, weltoffen, entstehen könnte. An dessen Ende könnte eine massive Steigerung der Lebensqualität durch eine angekurbelte Binnenkonjunktur und Solidarität stehen. Was wir jetzt brauchen, ist nicht das, was Sie vorgelegt haben. Was wir jetzt brauchen, ist eine neue Ära der Solidarität, der Mitmenschlichkeit, eine klare Haltung gegen Rassismus. Es gibt auch eine Gefahr aus der Mitte. Namens der Linken sage ich: Die Linke wird niemals zulassen, dass die Schwachen gegen die Allerschwächsten ausgespielt werden. Dagegen werden wir aufstehen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)