Kein Stück Freiheit freiwillig hergeben
Nach den Terroranschlägen von Paris warnt Jan Korte im Fraktionsmagazin "Clara" Nr. 38 davor, Freiheits- und Bürgerrechte einzuschränken, und wirbt für die offene, solidarische Gesellschaft.
Die Terroranschläge von Paris vom 13. November haben viele Menschen, auch mich, sehr bewegt. Ich war schon mehrfach dort, habe mit Freunden im Café gesessen, gelacht und gefeiert. Das Ziel der Terrororganisation, die einen Tag zuvor in Beirut ein Blutbad angerichtet hatte, war in Frankreich kein nationales Symbol, nicht der Élysée-Palast, der Eiffelturm oder der Louvre. Das Ziel waren Menschen, die in einem aufgeschlossenen Stadtviertel ausgegangen sind, ein Rockkonzert feiern oder einfach Spaß bei einem Fußball-Länderspiel haben wollten. Den Attentätern ging es darum, die Lebensweise einer jungen, weltoffenen und im Zweifel liberalen, auch linken Generation anzugreifen. Sie haben es zielgenau geschafft, die hellen, die positiven, die lebenswerten und aufgeklärten Elemente unserer Gesellschaft anzugreifen.
Wir trauern um die vielen Todesopfer und sind in Gedanken bei den Verletzten und allen Angehörigen. Auch wenn die eigentliche Attacke vorbei zu sein scheint, müssen wir jetzt immer noch dafür sorgen, dass die Terroristen ihre Ziele nicht trotzdem erreichen.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat am Tag nach dem Anschlag erklärt, wir sollten „den Terroristen die Antwort geben, indem wir unsere Werte selbstbewusst leben“. Es dauerte aber nur ein paar Stunden, bis Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) die Angriffe politisch instrumentalisierte, um gegen Geflüchtete zu hetzen. Und wie eigentlich nach jedem Anschlag seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts stellen der jetzige Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und andere das Grundgesetz mit ihrer Forderung, die Bundeswehr im Innern einsetzen zu dürfen, infrage. Bei CDU und CSU regiert offenbar die Angst. Doch wenn die verbreitete Angst dazu führt, dass sich die Gesellschaft ihrer Freiheiten selbst beraubt, haben die Terroristen gewonnen. Gerade jetzt ist die Politik, auch die der Union, gefragt, Mut und Entschiedenheit statt Angst zu zeigen.
Das Gegenmodell zum Terror ist nicht der Krieg, es ist nicht der Generalverdacht und auch nicht der Überwachungsstaat. Und es ist auch nicht damit getan, von der Verteidigung der Demokratie zu reden, wenn wir sie nicht leben. Demokratie ist Alltagsarbeit.
Das Gegenmodell zum Terror ist eine solidarische, offene, gleichberechtigte Gesellschaft, in der die Rechte jeder und jedes Einzelnen im Vordergrund stehen. In der die einen ihrer Religion nachgehen können und andere ohne Religion leben dürfen. In der niemand, ob jung oder alt, in Vorstadtghettos und „abgehängten“ Stadtvierteln vergessen wird. In der das Leben im Diesseits in vollen Zügen genossen wird, Kritik und abweichende Haltungen als Bereicherung des öffentlichen und freien Dialogs gesehen werden. In der das gute Leben der einen nicht auf Kosten von anderen geführt wird. Und in der Sicherheit nicht an gesammelten Gigabytes gemessen wird, sondern am alltäglichen Nutzen einer ansprechbaren, gut motivierten und ausgestatteten Polizei, die sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch deren Rechte schützt.
Es gibt weder „den Islam“ noch „den Westen“ oder eine Unvereinbarkeit von beiden. Genauso wenig gibt es die eine Antwort auf religiös begründete Gewalt. Kein Einknicken vor Terror bedeutet aber – das steht fest –, von der Demokratie, den Bürgerrechten, der Freiheit und der Menschlichkeit kein Stück freiwillig herzugeben. Bei allen Zumutungen des kapitalistischen Systems – diese Errungenschaften sollten wir bis aufs Letzte verteidigen. In die Offensive zu gehen bedeutet, an diesem Gegenentwurf beharrlich und mit Überzeugung zu arbeiten.