Der Tag der Befreiung – mehr als ein Grund zu feiern
erschienen auf www.dielinke-sachsen-anhalt.de am 9.5.2016
In der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 unterzeichneten in Berlin-Karlshorst Vertreter des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht vor den Vertretern der Streitkräfte der Anti-Hitler-Koalition die offizielle Urkunde über die bedingungslose Kapitulation Deutschlands. Es war das offizielle Ende eines verbrecherischen Systems, dessen Weltherrschaftspläne, Herrschaftspraxis und Rassenwahn die menschliche Zivilisation generell in Frage gestellt hatten.
Am 8. und 9. Mai feiern wir deshalb nicht nur das Ende des 2. Weltkrieges und damit der NS-Herrschaft. Wir gedenken ebenso jenen Millionen Menschen, die Opfer faschistischer Gewalt und des Krieges wurden. Und die Bilanz des Zweiten Weltkrieges ist eine Bilanz des Schreckens und des Terrors: Mehr als 60 Millionen Menschen starben bei Kampfhandlungen, durch Repressalien, durch Aushungern, durch Massenvernichtungsaktionen und durch Kriegseinwirkungen. Von den 18 Millionen Menschen, die das Naziregime in Konzentrationslager sperrte, wurden elf Millionen ermordet oder durch Zwangsarbeit vernichtet, darunter zehntausende Menschen mit Behinderung, politisch Andersdenkende und Homosexuelle. Unfassbar ist der industrielle Massenmord an sechs Millionen europäischer Jüdinnen und Juden, die – wie auch Sinti und Roma – dem Rassengenozid zum Opfer fielen.
Im offiziellen Gedenken der Bundesrepublik und somit auch im Rahmen der Entschädigung von NS-Unrecht wurden viele Opfergruppen allerdings Jahrzehnte lang übergangen, ausgeblendet und schlicht vergessen. Die ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen waren bis zum vergangenen Jahr die größte Gruppe der „vergessenen Opfer“. Sie mussten neben den Jüdinnen und Juden unter dem Terror des nationalsozialistischen Deutschland das schlimmste Schicksal erleiden. Von den etwa 5,7 Millionen Rotarmisten, die in die Gewalt der Wehrmacht gerieten, kamen geschätzte 3,3 Millionen, also mehr als die Hälfte um. Sie wurden auf kaum fassbare Weise vernichtet durch Mord, Hunger, Kälte, Krankheit und Arbeit.
Um der Verleugnung und Verdrängung dieses noch immer wenig bekannten Verbrechens des rassistischen Vernichtungskrieges entgegenzuwirken und den wenigen noch lebenden sowjetischen Kriegsgefangenen eine einmalige individuelle Anerkennung für ihr erlittenes Unrecht zukommen zu lassen, hatte DIE LINKE den Antrag ‚Finanzielle Anerkennung von NS-Unrecht für sowjetische Kriegsgefangene‘ (18/3316) in den Bundestag eingebracht. Am 20. Mai 2015 beschloss der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages, dass ehemalige sowjetische Kriegsgefangene endlich eine symbolische finanzielle Anerkennungsleistung erhalten sollen. Seit dem 30. September 2015 können sie nun eine einmalige Leistung in Höhe von 2.500 € beantragen. Nach Auskunft der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der LINKEN waren bis zum 22. Februar 2016 erst knapp 900 Anträge früherer Rotarmisten beim zuständigen Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) eingegangen. Bisher wurde 106 hochbetagten Kriegsgefangenen eine Entschädigung in Höhe von 2.500 Euro bewilligt, über den Großteil der Anträge hatten die Beamten aber noch nicht entschieden. Eine offizielle politische Geste, geschweige denn Entschuldigung der Bundestag sowie der Regierung steht allerdings nach wie vor aus.
Der 75. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni dieses Jahres sollte aus unserer Sicht ein Anlass für die Bundesregierung sein, hier ein öffentliches Zeichen zu setzen. Eine feierlichen Übergabe an einige Antragsteller in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion oder auch hierzulande würde zudem das ganze Antragsverfahren bekannter machen.
DIE LINKE wird auf ein solches öffentliches Zeichen drängen und auch das Thema der Erinnerung an den Vernichtungskrieg Nazideutschlands im Osten weiter in der Diskussion halten. Um dieses Zeichen zu ermöglichen, haben wir daher einen Antrag zur „Anerkennung der sowjetischen Kriegsgefangenen als NS-Opfer“ entworfen, damit der Bundestag das Unrecht an den sowjetischen Kriegsgefangenen mit einer Erklärung anerkennt.
Wir laden alle anderen Fraktionen dazu ein, eine solche gemeinsame Geste des Parlaments anlässlich des 75. Jahrstages des Überfalls auf die Sowjetunion mit auf den Weg zu bringen. Es ist an der Zeit. Und es muss verhindert werden, dass das offizielle Deutschland in politisch angespannten Zeiten, in denen es gerade auf symbolischen Akte ankäme, am 22. Juni nichts anderes als geschichtspolitische Ignoranz demonstriert.