Jan Korte, MdB (DIE LINKE) (www.jan-korte.de)

Historische Aufarbeitung der politischen Schaltzentrale der Bundesrepublik

14.06.2016
Jan Korte

von Jan Korte, erschienen auf linksfraktion.de am 14. Juni 2016

Die Frage nach Kontinuitäten und Brüchen zum historischen Faschismus spielte und spielt für die Geschichte der Bundesrepublik seit 1949 eine herausragende Rolle. Die ersten Jahre des westdeutschen Staates waren vor allem durch ein „kommunikatives Beschweigen“ (Hermann Lübbe) dieser Vergangenheit gekennzeichnet und führten zu einer Form der Vergangenheitspolitik in der frühen Bundesrepublik, die eine teilweise Rückkehr der alten Eliten in wichtige Positionen begünstigte und somit geistige und personelle Traditionslinien aus der NS-Zeit fortführte. Norbert Frei hat die Entwicklung dieser frühen Zeit im Umgang mit der NS-Vergangenheit dargestellt.

Nur das beharrliche Aufklärungsinteresse herausragender Persönlichkeiten hat in dieser Zeit dafür gesorgt, dass – auch gegen Mehrheitsinteressen in Eliten und Bevölkerung – wichtige Weichenstellungen erfolgten. Der Frankfurter Auschwitzprozess und die Einrichtung der zentralen Ermittlungsstelle in Ludwigsburg sind wichtige Beispiele dafür.

Erst in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre machte sich auch gesellschaftlich ein stärkeres Bedürfnis nach Auseinandersetzung mit den Verbrechen und der Struktur des deutschen Faschismus bemerkbar. Geschichtspolitische Auseinandersetzungen um die NS-Vergangenheit waren bis zu Beginn der 2000er Jahre zentrale Themen öffentlicher Kontroversen in der Bundesrepublik. Mit dem generationellen Wechsel und dem Abtritt der am NS-Regime beteiligten Erlebnisgeneration aus funktionalen Positionen und nach und nach aus dem öffentlichen Diskurs sind Fragestellungen nach Brüchen und Kontinuitäten auch in politisch sensiblen Bereichen leichter möglich geworden – vor allem deshalb, weil inzwischen auch diese Kontinuitätslinien historisiert werden können und einer weniger starken politischen Skandalisierung unterliegen. Die Studie zur Geschichte des Auswärtigen Amtes hat dennoch gezeigt, dass die Brisanz dieses Themas noch immer vorhanden ist. Die Konjunktur der Aufarbeitung der Geschichte von Ministerien und Einrichtungen des Bundes, wie wir sie seit Beginn der 2000er Jahre erleben, zeigt jedoch, dass diese Brisanz auch von Seiten der Institutionen selber weitaus geringer eingeschätzt wird als noch vor zwei Jahrzehnten.

Mit der Vorlage bzw. Ankündigung entsprechender Studien zu fast allen Ministerien und zu wichtigen Behörden, wie dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Bundeskriminalamt und dem Bundesnachrichtendienst wurden auch bekannte, aber ‚heiße Eisen‘ geschichtspolitischer Kontroversen aufgegriffen. Die Rolle schwer belasteter NS-Täter, die z.B. vom BND eingesetzt wurden, war hier ebenso Thema wie der Anteil von ‚NS-belasteten‘ Personen in den Ämtern generell. Mindestens genauso wichtig ist aber nach wie vor die Frage, inwieweit inhaltliche, ideologische, haltungsmäßige Kontinuitäten über dieses Personal in der politischen Führungsebene der frühen Bundesrepublik tradiert wurden und welche Rückwirkungen es von hier auf die geschichtspolitische Frage der aktiven Aufarbeitung der NS-Vergangenheit gegeben hat.

Zentrale Bedeutung des Kanzleramtes
Ohne Zweifel ist für die Beantwortung dieser Fragen, gerade auch mit Blick auf inhaltliche Kontinuitäten und Einflussnahmen durch die Politik, die politische Schaltzentrale der frühen (und auch der gegenwärtigen) Bundesrepublik von entscheidender Bedeutung. Das Bundeskanzleramt hatte und hat diese zentrale Bedeutung bis heute, und insofern ist es nur logisch, dass sich das Aufklärungsinteresse in diesen Fragen auch und gerade auf dieses Amt richtet. Umso unerklärlicher ist es, dass, anders als die meisten Ministerien, ausgerechnet das Bundeskanzleramt eine solche vergangenheitspolitische Aufarbeitung nicht in die Wege geleitet hat. In dem 2016 vom Institut für Zeitgeschichte und dem Zentrum für Zeitgeschichte durch die Autoren Christian Mentel und Niels Weise erstellten Forschungsbericht „Die zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus. Stand und Perspektiven der Forschung“ wird denn auch die Aufarbeitung der Geschichte des Bundeskanzleramtes als wichtigstes Desiderat der Forschung benannt.

Bereits im November 2014 hat die Fraktion DIE LINKE einen Antrag mit dem Titel „Unabhängige Historikerkommission zur Geschichte des Bundeskanzleramtes einsetzen“ in den Bundestag eingebracht. Nachdem es in der ersten Lesung von Seiten der Abgeordneten von CDU und CSU noch massiven Widerstand gegen eine solche Aufarbeitung gegeben hat, musste auch die Union die einhellige Meinung des Forschungsberichts zweier zentraler Geschichtsinstitute zur Kenntnis nehmen. Noch schlimmer kam es für die Abwehrhaltung der Union in der Anhörung des Kulturausschusses am 1. Juni 2016. Alle sechs Sachverständigen, die von den Fraktionen benannt wurden, waren sich in der prinzipiellen Zustimmung zum LINKEN-Antrag völlig einig. Zwar wurde hier die Frage der konkreten inhaltlichen Ausrichtung und die Art der Ausschreibung eines Forschungsauftrags diskutiert, nicht jedoch mehr die Frage, ob das Bundeskanzleramt als Schaltzentrale der Politik überhaupt gesondert in den Blick genommen werden müsse. Hier war die Position der Sachverständigen einhellig.

Umso verwunderlicher war die abschließende Stellungnahme des zuständigen Abteilungsleiters aus dem Haus der Bundesministerin für Kultur und Medien (BMK), der die bereits auf meine schriftliche Frage an die Bundesregierung gegebene Antwort wiederholte, das BMK wolle eine ressortübergreifende Studie auf den Weg bringen, in der auch das Bundeskanzleramt eine Rolle spiele. Genau darum ging es im Antrag der LINKEN, den anwesenden Abgeordneten und vor allem allen Sachverständigen nicht. Alle Historikerinnen und Historiker hoben vielmehr die zentrale Bedeutung des Bundeskanzleramtes in einer „Kanzlerdemokratie“ hervor, was eine Fokussierung auf das Bundeskanzleramt unabdingbar macht.

DIE LINKE wird in der Umsetzung der Ergebnisse der Anhörung darauf achten, dass dieses eindeutige Ergebnis nicht durch das Bundeskanzleramt selber, in dem die Staatsministerin für Kultur ja angesiedelt ist, verwässert wird.

Festzuhalten bleibt jedoch, dass endlich Bewegung in die Sache gekommen ist und ein weiteres wichtiges Anliegen LINKER Geschichtspolitik im Bundestag gute Chancen auf Umsetzung hat.

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