Dem präventiven Sicherheitsstaat entgegentreten
Von Jan Korte, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, erschienen auf linksfraktion.de am 30. Juni 2016
Der Bundestag hat in der vergangenen Woche ein weiteres Anti-Terror-Paket im Schnellverfahren durchgewinkt und dabei einige Wünsche der Sicherheitsorgane erfüllt. Ein genauerer Blick in den Gesetzentwurf zeigt aber, dass wesentliche Änderungen mit Terrorismus höchstens am Rande zu tun haben.
Da wird die Bundespolizei ermächtigt, verdeckte Ermittler auch im Bereich der Gefahrenabwehr einzusetzen, also bevor Straftaten geschehen. Das zielt auf die Bekämpfung von „Schleusern“ und damit direkt gegen schutzsuchende Flüchtlinge. Denn durch die EU-Abschottung haben sie nun mal keine andere Möglichkeit, als mit Hilfe von anderen ins Land zu kommen. Eine weitere Regelung betrifft tatsächlich uns alle: Anbieter von prepaid-Telefonkarten sollen verpflichtet werden, die Identität ihrer Kunden zu prüfen. Ein sinnloses Unterfangen, wie beispielsweise die Anschläge in Frankreich trotz des dort geltenden Identifizierungszwangs belegt haben. In vielen EU-Mitgliedsstaaten können SIM-Karten außerdem weiterhin vollkommen anonym erworben und in Deutschland eingesetzt werden. Straftäter könnten nach wie vor auch von Strohmännern registrierte Karten nutzen. Ein Ausweiszwang läuft gegen organisierte Kriminalität leer, schadet aber unbescholtenen Bürgern umso mehr. Denn Opfer von Straftaten sind oftmals auf die Möglichkeit anonymer Strafanzeigen und auf vertrauliche Beratung und Selbsthilfe angewiesen. Auch für Presseinformanten ist Anonymität essenziell. Mit seinem „Anti-Terror-Paket“ hat sich der Innenminister jetzt außerdem die Erlaubnis geholt, selbst 14-Jährige zu überwachen: Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf künftig unter erleichterten Bedingungen auch Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren bespitzeln. Nicht zuletzt soll der internationale Datenaustausch erleichtert werden, auch mit Staaten in denen der individuelle Rechtsschutz nicht vorhanden ist. In vielen EU-Mitgliedsländern werden diejenigen, deren Telefonate mitgehört und deren Mails mitgelesen wurden, nicht einmal benachrichtigt.
Antiterror-Pakete haben international Konjunktur
Auch in anderen Staaten wird bei der Massenüberwachung massiv aufgerüstet:
In Polen darf beispielsweise der Inlandsgeheimdienst ABW auf eigene Entscheidung und mit Genehmigung des Generalstaatsanwalts hin Webseiten für vier Monate blockieren, die nach seiner Ansicht die nationale Sicherheit gefährden. Ebenfalls ohne richterliche Genehmigung dürfen die Geheimdienste nun auf alle staatlichen Datenbanken zugreifen und die Polizei kann in einem Krisenfall die gesamte Kommunikation vom Telefonnetz bis zum Internet abschalten, ein Novum für einen westlichen Rechtsstaat. Ferner kann das Demonstrationsrecht bereits eingeschränkt werden, wenn eine niedrige Terrorwarnung verhängt wurde. Auch die russische Regierung zieht die Zügel im Kampf gegen Oppositionelle schärfer an. Die Duma hat im April einen Gesetzentwurf verabschiedet, der u. a. das Alter für diejenigen, die für Terroranschläge oder Geiselnahmen bestraft werden können von 16 auf 14 Jahre herabsetzt. Drastisch ist auch die geplante dreijährige Vorratsdatenspeicherung, bei der sogar die Kommunikationsinhalte von den Telekommunikationsunternehmen ein halbes Jahr vorrätig gehalten und die Krypto-Schlüssel außerdem den Sicherheitsbehörden übergeben werden müssen.
Die Argumente in Polen und Russland für diese Grundrechtseinschnitte sind dieselben, die Politikerinnen und Politiker hier zur Begründung ihrer umstrittenen Gesetze vorlegen. Auch wenn die Überwachung und die Eingriffe in den Rechtsstaat noch geringer ausfallen, ist es verstörend, wie leichtfertig die schwarz-rote Bundesregierung und Bundestagsmehrheit demokratische Gepflogenheiten aufgeben, wenn die Begründung der „Anti-Terror-Kampf“ ist. So ist auch das jüngste Gesetz in zwei Wochen durch den Bundestag gepeitscht worden. Und um die Diskussion darüber noch flacher zu halten, bestellten die Regierungsfraktionen zur Anhörung im Innenausschuss als „unabhängige Experten“ die Spitzen von Bundespolizei, Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt. Keine Überraschung: Sie begrüßten den Gesetzentwurf, der vier Tage später mit Koalitionsmehrheit beschlossen wurde, wogegen die Bundesdatenschutzbeauftragte sowie die von LINKEN und Grünen geladenen Experten den Entwurf sogar als verfassungswidrig bezeichneten.
Es gibt keinen Grund zu glauben, die Bundesrepublik sei in irgendeiner Form resistent gegen Angriffe auf Demokratie und Rechtsstaat. Die jetzt beschlossenen Grundrechtseingriffe im Dienste des Anti-Terror-Kampfes sprechen nicht dafür, dass „unser freies Leben stärker als jeder Terror“ sei, wie es Kanzlerin Merkel im November 2015 sagte. Wer die Demokratie verteidigen will, muss zum einen akzeptieren, dass es in einer freien Gesellschaft keine hundertprozentige Sicherheit gibt, und zum anderen vor allem demokratisch und rechtsstaatlich handeln. Wer an verantwortlicher Stelle sitzt, zum Beispiel als Chef des Innenministeriums, sollte sich in diesem Sinne seiner Vorbildfunktion bewusst sein. DIE LINKE wird nicht aufgeben, in der Gesellschaft und im Bundestag für mehr Demokratie zu werben und die CDU/CSU und SPD an ihre Verantwortung zu erinnern.