Die bürokratische Organisation des Völkermordes
Zum 80. Jahrestag der "Wannseekonferenz"
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Heute vor 80 Jahren kamen in einer Villa am Großen Wannsee in Berlin fünfzehn hochrangige Vertreter der nationalsozialistischen Reichsregierung und der SS-Behörden zusammen. Die idyllische Lage der Villa, die im Besitz einer Wohltätigkeitsorganisation des SD war, sollte für eine entspannte und glanzvolle Atmosphäre sorgen. Denn die Runde unter dem Vorsitz von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich hatte einiges zu tun: Der begonnene Holocaust und die Vernichtung der als Feinde des Nationalsozialismus betrachteten Minderheiten wie der Juden, der Roma und Sinti oder von sowjetischen Militärangehörigen musste im Detail organisiert werden. Denn die Nazimordspezialisten hatten zwar gleich nach dem Beginn des Vernichtungskriegs im Osten breite Erfahrungen im Massenmord gesammelt, doch das seit Mitte 1941 wütende Morden musste aus Sicht der Nazis systematisiert und koordiniert werden. Auf der „Wannsee-Konferenz“ am 20. Januar 1942 ging es somit im Wesentlichen um die bürokratische und organisatorische Seite des industriellen Massenmords und der „Endlösung der Judenfrage“.
Um die Deportation aller europäischen Juden in die eroberten Gebiete in Osteuropa zu besprechen hatte Heydrich Behördenvertreter und SS-Führer, Staatssekretäre, Vertreter des „Reichssicherheitshauptamtes“ (RSHA), der Sicherheitspolizei und des SD versammelt, die alle für die östlichen Besatzungsgebiete zuständig waren. Ihnen allen war klar, dass mit der Deportation die Vernichtung der Menschen verbunden war. In dem von SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, Heydrichs Referent für „Judenangelegenheiten“ im RSHA, verfassten Besprechungsprotokoll heißt es: „Im Zuge dieser Endlösung der europäischen Juden kommen rund 11 Millionen Juden in Betracht. (…) Im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung wird Europa von Westen nach Osten durchkämmt. (…) Die evakuierten Juden werden zunächst Zug um Zug in sogenannte Durchgangsghettos verbracht, um von dort weiter nach dem Osten transportiert zu werden.“
Nach der Wannseekonferenz verschickte Eichmann einen „Schnellbrief“ an die Staatspolizeistellen, die aufgefordert wurden, alle noch im Reichsgebiet lebenden jüdischen Menschen festzustellen und deren Zahl dem RSHA zu melden. Denn „die in der letzten Zeit in einzelnen Gebieten durchgeführte Evakuierung von Juden nach dem Osten stellen den Beginn der Endlösung der Judenfrage im Altreich, der Ostmark und im Protektorat Böhmen und Mähren dar.“ Die Deportation wurde in „Richtlinien zur technischen Durchführung der Evakuierung von Juden in das Generalgouvernement“ bis ins Kleinste bürokratisch geregelt. Noch nicht einmal zwei Monate später begann ab Mitte März 1942 die industrielle Massenvernichtung im Rahmen der „Aktion Reinhard“, nachdem die Mörder die Betriebsfähigkeit der Vernichtungslager hergestellt hatten. Im Mai 1942 wurde Sobibor zur Hölle, Anfang Juni folgte Auschwitz-Birkenau und Mitte Juli 1942 die Mordstätte Treblinka. Erst das Vorrücken der Roten Armee und die militärische Niederlage gegen die Sowjetunion beendeten 1945 das industrielle Morden, dem allein sechs Millionen europäische Jüdinnen und Juden zum Opfer fielen. Von den 18 Millionen Menschen, die das Naziregime in Lager sperrte, wurden elf Millionen ermordet oder durch Zwangsarbeit vernichtet, darunter mehr als drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene, 500.000 Sinti und Roma, zehntausende Menschen mit Behinderung, politisch Andersdenkende und Homosexuelle. Anlässlich des heutigen Jahrestages gedenken wir den Opfern. Ihr Schicksal ist uns Verpflichtung im Kampf gegen Antisemitismus, Faschismus und Krieg.
Was aber wurde aus den Mördern?
Von den 15 Organisatoren des Holocaust überlebten neun den Krieg. Heydrich starb 1942 an den Folgen eines Attentats, Roland Freisler bei einem Luftangriff 1945 in Berlin und Gestapo-Chef Heinrich Müller vermutlich ebenfalls bei den Kämpfen um die „Reichshauptstadt“. Rudolf Lange, der Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in Lettland und Alfred Meyer, Stellvertreter des Ministers im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete, nahmen sich kurz vor Kriegsende das Leben. Martin Luther, Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt, starb kurz nach der Kapitulation in sowjetischer Haft. Eberhard Schöngarth, der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD im Generalgouvernement im besetzten Polen, und Josef Bühler, Staatssekretär der Regierung des Generalgouvernements und Stellvertreter des Generalgouverneurs, wurden von den Alliierten verurteilt und hingerichtet. Erich Neumann, der als Staatssekretär in Görings Behörde für den Vierjahresplan an der Konferenz teilnahm, wurde nach Kriegsende interniert,1948 entlassen und starb 1951 in Garmisch-Partenkirchen. Auch Friedrich Wilhelm Kritzinger, Ministerialdirektor in der Reichskanzlei und bei Kriegsende Mitglied der letzten „Reichsregierung“ unter Admiral Dönitz, wurde von den Amerikanern interniert, 1946 aber krankheitsbedingt entlassen. Er starb 1947 in Nürnberg. Adolf Eichmann lebte nach Kriegsende zunächst unter falschem Namen in der Lüneburger Heide und flüchtete dann nach Südamerika. Nachdem ihn 1960 der Mossad aus Argentinien entführt hatte, wurde er in Israel vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und 1962 hingerichtet. Otto Hofmann, der Leiter des RSHA, hingegen wurde zwar 1948 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen von einem US-Militärgericht zu 25 Jahren Haft verurteilt, bereits 1954 aber begnadigt und lebte danach völlig unbehelligt als kaufmännischer Angestellter bis zu seinem Tod 1982. Noch krasser Gerhard Klopfer, der als Ministerialdirektor in der Parteikanzlei an der Wannseekonferenz teilnahm. Er wurde zwar 1946 von den Amerikanern interniert, aber nicht angeklagt und nach seiner Haftentlassung 1949 durch eine Hauptspruchkammer als „minderbelastet“ eingestuft. Auch Wilhelm Stuckart, Staatssekretär im Reichsinnenministerium und zum Kriegsende wie Kritzinger Mitglied der „Reichsregierung“ unter Dönitz, wurde 1947 im Wilhelmstraßen-Prozess zu drei Jahren, zehn Monaten und 20 Tagen Haft verurteilt, bereits 1950 jedoch von einem Entnazifizierungsausschuss in Hannover als „Mitläufer“ eingestuft, so dass er kurz darauf als niedersächsischer Landesvorsitzender des rechtsextremen „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ und bis zu ihrem Verbot 1952 auch in der NSDAP-Nachfolgepartei SRP Karriere machte. Am deutlichsten wird der Umgang mit NS-Tätern in der frühen Bundesrepublik allerdings im Fall Georg Leibbrandt, dem Leiter der Hauptabteilung Politik im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete. Nachdem er 1949 aus dem »Automatischen Arrest« entlassen und ein Verfahren gegen ihn wegen Mordes 1950 eingestellt worden war, stand seiner Nachkriegskarriere im Adenauerdeutschland nichts mehr im Weg. 1955 setzte ihn der Bundeskanzler als Berater bei der Rückführung der deutschen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion ein und danach leitete Leibbrandt das Bonner Büro der Salzgitter-AG, den früheren Reichswerken Hermann Göring. 1982 starb er hochangesehen und unbehelligt in Bonn.