Gesellschaft, Bundeswehr und eine gemeinsame Sprache der Erinnerung
Zeitgemäßes Erinnern: Hörempfehlung zum Volkstrauertag
Kürzlich diskutierte ich in der Veranstaltung der Wehrbeauftragten und des Deutschen Kulturrates mit Katrin Budde (Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien), Dr. Eva Högl (Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages), Wolfgang Schneiderhan (Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge) und Olaf Zimmermann (Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates) über die Frage, inwieweit die von Kanzler Scholz ausgerufene "Zeitenwende" auch das Verhältnis der Bürger*innen zur Bundeswehr und ihrer Vergangenheit verändert.
Die Debatten um "Weltpolitikfähigkeit" (Kramp Karrenbauer 2020), "Kriegstüchtigkeit", "Mentalitätswechsel" (Pistorius), "Siegesfähigkeit" (Union), die Wiedereinführung der Wehrpflicht (Pistorius) sowie über einen Veteranentag (Union, Ampel) ordnen sich in die seit einigen Jahren verstärkt betriebene innere Mobilmachung ein. Ausgehend von der Analyse, dass wir in einer „post-heroischen“ Gesellschaft leben würden, die nicht kriegsfähig sei, wird allerorten Alarm geschrien, getrommelt und schon fast von allen Parteien - bis auf DIE LINKE - im Gleichschritt marschiert.
Heribert Prantl hat neulich in der Süddeutschen Zeitung treffend festgestellt:
„Kriegstüchtigkeit ist etwas anderes als Verteidigungstüchtigkeit. (…) Das Wort Krieg programmiert das Hirn anders als das Wort Verteidigung. Das Wort Kriegstüchtigkeit aktiviert und optimiert alte Denk- und Verhaltensmuster, es führt zu einem positiven Bild vom Krieg, es bricht der ständigen Aufrüstung Bahn und behauptet, das sei ‚tüchtig‘“.
Genau darum geht es. Um die bevorstehenden Kriege, bei denen es eben nicht mehr nur um Verteidigung gehen soll, siegreich bestreiten zu können, muss aus Sicht der Bundesregierung und der Bundeswehrführung ein Mentalitätswechsel die Gesellschaft verändern. Teil der ideologischen Aufrüstung, die den aktuellen Rüstungsrekordetat von 85,5 Mrd. Euro flankiert, ist einerseits das Festhalten an alten Militaristen wie Hindenburg oder Rommel als Vorbildern für die Bundeswehr. Andererseits sollen aber auch neue "Helden" populär gemacht werden und den zukünftigen getöteten oder verstümmelten Soldat*innen der Einsatz für die Nation mit Orden, Denkmälern und Feiertagen schmackhaft gemacht werden.
Diese Form der Zeitenwende ist weder mit unserem Verständnis einer aufgeklärten demokratischen Parlamentsarmee, noch mit dem Friedensgebot unserer Verfassung zu vereinbaren. Im Grundgesetz heißt es: „Handlungen, die geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig und unter Strafe zu stellen.“ Und weiter: „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit das Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.“
Willy Brandt hat einmal (auch mit Blick auf die zwei von Deutschland angezettelten Weltkriege mit Millionen Toten) gesagt: „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.“ Recht hatte er. Deshalb muss dieses Land nicht kriegstüchtig, sondern friedenstüchtig werden. Wir brauchen mehr Diplomat*innen und keine Soldat*innen, die für angebliche "deutsche Interessen" auf den Schlachtfeldern der Zukunft verrecken. Und wenn Held*innen gesucht werden, dann kann man die jederzeit unter den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, so wie z.B. Krankenschwestern oder Kita-Erzieherinnen, die sich jeden Tag für unser Gemeinwesen krumm machen, finden. Die im Remilitarisierungswettbewerb insbesondere von SPD, Union und AfD angegriffenen "post-heroischen Einstellungen" in der Gesellschaft müssen gestärkt und nicht geschwächt werden. Die Kultur (-politik) kann und muss dafür ihren Beitrag leisten.
Links
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rbb inforadio: „Gesellschaft und Bundeswehr – auf der Suche nach einer gemeinsamen Sprache der Erinnerung“, 19.11.2023.