Der Ausnahmefall darf nicht zur Regel werden
Jan Korte erinnert in seiner Rede zur Anpassung des Verfassungsschutzgesetzes an die Verlängerung der Terrorismusbekämpfungsgesetze an die Umstände, unter denen die damals »Otto-Katalog« genannten Anti-Terror-Gesetze beschlossen wurde. Zehn Jahre nach dem 11. September 2001 sei aus einer Ausnahme nunmehr die Regel geworden, ohne dass die Gesetze unabhängig auf ihre Verhältnismäßigkeit evaluiert worden seien.
Jan Korte (DIE LINKE):
»Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollegin Piltz, ich habe gerade gedacht, dass Sie einen Anflug von Selbstkritik üben wollten. Das war nicht der Fall. Um bei dem Tortenbild zu bleiben: Die Torte hat Herr Friedrich allein aufgegessen.
[Michael Frieser (CDU/CSU): Das steht ihm auch zu!]
Da ist nicht ein Krümel für Sie übrig geblieben. So sieht es aus!
[Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN]
Wir haben seit 2001 bekanntermaßen unzählige Gesetze zur Terrorismusbekämpfung erlassen es waren damals die sogenannten Otto-Pakete,
[Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Otto-Katalog!]
mit Zustimmung der Grünen; die FDP war damals erfreulicherweise dagegen. Es gibt ein Problem, über das wir heute noch einmal reden sollten.
Es war 2001 eine Klausel zur sogenannten Evaluierung aufgenommen worden. Das Hauptproblem ist, dass in einer bestimmten historischen und weltpolitischen Situation, in einer Notsituation, Gesetze erlassen wurden, die nun, zehn Jahre später, fortbestehen sollen. Übersetzt gesagt: Das Hauptproblem, über das wir reden, ist, dass der Ausnahmefall hier zum Normalfall, zum Regelfall wird. Es ist nicht akzeptabel, dass der Eingriff in Grund- und Freiheitsrechte hier zum Normalfall wird. Die FDP hat in dieser Frage völlig versagt.
[Beifall bei der LINKEN]
Es ist so, dass die Geheimdienste, die bekanntermaßen geheim agieren - deswegen kann man sie intern ja auch nicht kontrollieren - weiter Auskünfte bei Banken, Fluggesellschaften oder Telekommunikationsanbietern einholen können. Alles das sind Kollege Stadler, Sie haben immer zu Recht darauf hingewiesen schwerwiegendste Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte, in den Datenschutz und damit im Kern in den demokratischen Rechtsstaat.
[Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Damit hat Kollege Stadler auch recht gehabt!]
Das ist nach wie vor das Problem, und Sie schreiben es nun fort.
Es ist ganz interessant, was jetzt vorgelegt wurde. Wir haben es natürlich aufmerksam gelesen. Die Befugnisse sollen nun sogar erweitert werden. Es ist klar: Die CDU/CSU ist bei dem, was vorgelegt wurde, gut drauf heute. Minister Friedrich sagt auch noch: Die Dienste können jetzt zentral Flugdaten bei Buchungssystemen abfragen. Das ist eine Verbesserung. Es ist natürlich, im Gegenteil, bürgerrechtlich der totale Horror, wenn man alles zentral abfragen kann. Das ist eine grandiose Verschlechterung und nicht eine Verbesserung, wie Sie behaupten, Frau Piltz.
[Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN]
2001 wurde das Vorhaben, eine Evaluierung durchzuführen, eingeführt. Das war das Einzige, was die Grünen durchbekommen haben. Eine Evaluierung an sich ist erst einmal gar nicht schlecht.
[Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sogar sehr gut!]
Das ist eine gute Idee. Um die richtige Idee der Grünen zu verstehen, muss man sich klarmachen: Was bedeutet Evaluierung? Wir müssen das übersetzen. Evaluierung bedeutet: Man erlässt für einen bestimmten Zeitraum ein Gesetz und überprüft nach einer festgelegten Frist, ob die darin vereinbarten Maßnahmen verhältnismäßig sind und ob sie etwas im Kampf gegen den Terrorismus nützen.
[Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Genau das haben wir getan!]
So weit, so richtig. In diesem einen Punkt sind wir einer Meinung. Ich sehe, dass der Präsident blinkt.
[Präsident Dr. Norbert Lammert:
Jawohl, weil der Kollege Ströbele Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen oder eine Bemerkung machen möchte.]
Jan Korte (DIE LINKE): Er will mich sicherlich unterstützen.
[Heiterkeit Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da bin ich mir nicht so sicher!]
[Präsident Dr. Norbert Lammert: Das warten wir gespannt ab.]
Jan Korte (DIE LINKE):
Gut.
[Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Danke, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. Ich wollte eigentlich schon während der Rede der Kollegin Piltz eine Frage stellen. Sie alle schimpfen auf die rot-grüne Regierung des Jahres 2001. Ich fühle mich persönlich angesprochen,
[Rainer Brüderle (FDP): Zu Recht!]
weil ich bei der Formulierung des »Otto-Katalogs» beteiligt gewesen bin.
[Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Sie haben keine Rolle gespielt, überhaupt keine Rolle gespielt!]
Ja, ja.
Damals sind große Befürchtungen ausgesprochen worden auch ich habe diese Befürchtungen geteilt , etwa dass mit der Bankenabfrage eine Verletzung der Bürgerrechte angerichtet werden kann.
[Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Und in den Postfächern!]
Aber anders als die Große Koalition, die anschließend das Gesetz »korrigiert» hat, haben wir so viele Schranken eingebaut, dass von den im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen nur in einstelliger Zahl Gebrauch gemacht worden ist.
[Stefan Liebich (DIE LINKE): Sie sollen fragen und nicht sich rechtfertigen!]
Sie haben ja gesagt: Das lässt sich alles parlamentarisch nicht kontrollieren. - Auch da fühle ich mich als Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums angesprochen und sage: Das stimmt in diesem Falle so nicht.
Können Sie mir deshalb sagen, in wie vielen Fällen ab 2001, 2002 und 2003 von der Befugnis der Bankenabfrage Gebrauch gemacht worden ist und in wie vielen Fällen sich das geändert hat, nachdem die Große Koalition unsere engen Bedingungen ausgeweitet bzw. aufgeweicht hat? Das wird ja im vorliegenden Gesetzentwurf fortgesetzt. Können Sie die Zahlen auf den Tisch legen? Ich kann sie Ihnen sonst selber nennen. Aber Sie müssten sie eigentlich auch wissen.]
Jan Korte (DIE LINKE):
Herr Kollege Ströbele, eine Bemerkung vorweg: Es gab eine Zeit, da waren Sie ein Linker. Im Herzen sind Sie es, glaube ich, immer noch.
[Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Keine Beleidigung!]
Deswegen ist es auch schwierig für Sie, bei den Grünen zu sein. Es gab eine Zeit, in der Sie besonders laut inzwischen machen Sie das nur noch manchmal die Unkontrollierbarkeit von Geheimdienstbefugnissen kritisiert haben, und zwar zu Recht.
Ich bin kein Mitglied des PKGr. Deswegen kann ich Ihnen die konkreten Zahlen nicht nennen. Das ganze Problem bei den Terrorismusbekämpfungsgesetzen, Herr Kollege Ströbele, ist doch, dass wir keine Zahlen bekommen. Als Beispiel nenne ich die Onlinedurchsuchungen. Wir haben die Bundesregierung 2010 gefragt, wie viele Onlinedurchsuchungen es gegeben hat. Die Auskunft der Bundesregierung 2010 war: Keine einzige. - 2011 haben wir jetzt komme ich direkt auf Ihre Frage noch einmal gefragt nun den Innenminister Friedrich , wie viele Onlinedurchsuchungen durchgeführt wurden. Denn es kann ja sein, dass die Onlinedurchsuchung in der Tat wie Herr Friedrich meint ein Instrument zur Terrorismusbekämpfung ist.
[Michael Frieser (CDU/CSU): Zum Thema zurück!]
Das Problem ist, Herr Ströbele, dass die Bundesregierung uns 2011 geantwortet hat: Das können wir Ihnen aus Geheimhaltungsgründen nicht sagen. Das ist doch das ganze Problem. Sie sollten sich dafür aussprechen, dass alles, was in dem PKGr was außer Ihnen und den Mitgliedern keiner weiß, weil es nicht öffentlich ist besprochen wird, öffentlich gemacht werden muss. Dafür sollten wir gemeinsam streiten.
[Beifall bei der LINKEN]
Ich will an das Thema Terrorismusbekämpfungsgesetz 2001 anknüpfen, um zum Thema Evaluierung zu kommen. Es ist in einer bestimmten Situation verabschiedet worden. Es wurde vereinbart, dass man es evaluiert, was auch stattfand. Aber jetzt kommt der Hammer: Das Terrorismusbekämpfungsgesetz wird vom Bundesinnenministerium evaluiert!
[Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Das stimmt doch gar nicht!]
Das ist eine ganz tolle Idee. Heraus kam, dass alle Maßnahmen absolut notwendig sind und erweitert werden sollten. So funktioniert Evaluierung nicht. Das lehnt Die Linke grundsätzlich ab. Da müssen unabhängige Personen aus der Mitte des Parlamentes ran. Das wäre angemessen.
[Beifall bei der LINKEN]
Ich komme zu meinem nächsten Punkt, dem großen Sieg der FDP.
[Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Postfächer!]
Frau Piltz hat darauf hingewiesen: Jetzt entfallen einige Maßnahmen, die damals beschlossen worden sind. So weit, so richtig. Wir wollen ja sachlich diskutieren. Liebe Kollegin Piltz, liebe FDP, es ist natürlich sehr wohlfeil, zu sagen, dass das, was ohnehin nie angewandt wird, entfällt. Das Problem, das wir haben, ist doch das, was ständig angewandt wird, nicht die Streichung von Regelungen, die eh nicht angewandt werden. Was ist das denn für ein toller Erfolg? Das ist überhaupt kein Erfolg.
[Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN]
Ich möchte daran erinnern das haben wir auch gerade in einem Zwiegespräch mit dem Kollegen Ströbele festgestellt, dass Geheimdienste kaum zu kontrollieren sind. Trotzdem geht es so weiter: Geheimdienste dürfen überall Daten abfragen. Damit wird der Rechtsstaat ausgehöhlt. Es stellt sich auch die Frage, was mit diesen Daten eigentlich passiert. Was bedeutet das für diejenigen, die zu Unrecht in die Mühlen dieses Überwachungsapparates gekommen sind? Das zu klären, ist doch wichtig. Deswegen sagt die Linke ganz klar: Statt diese »Notstandsgesetze» fortzuschreiben, wäre doch die richtige Antwort der Gesellschaft und des Bundestags auf die Bedrohung, die es sicherlich gibt: mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Solidarität und vor allem mehr demokratischer Rechtsstaat. Das wäre die richtige Antwort. Das bekommen Sie in dieser Koalition mit dieser Truppe aber nicht hin, was ich sehr bedaure. Das muss ich leider zur Kenntnis nehmen.
[Beifall bei der LINKEN]
Wenn wir schon bei der Evaluierung, also bei der Überprüfbarkeit von Politik und von Gesetzen sind, will ich im Zusammenhang mit dem internationalen Terrorismus, über den wir diskutieren, auch dazu etwas sagen. Schön wäre es, wenn die Bundesregierung und der gesamte Bundestag evaluieren würden, was die Beteiligung Deutschlands an diesem sinnlosen Krieg in Afghanistan für die Sicherheit in diesem Land bedeutet. Das wäre eine notwendige Evaluation; das wäre richtig. Ziehen Sie die Bundeswehr aus Afghanistan ab! Das wäre eine konkrete Verbesserung der Sicherheit.
[Beifall bei der LINKEN]
Ich will natürlich nicht nur kritisieren, was Aufgabe der Opposition ist, sondern ich will auch zwei konstruktive Vorschläge machen,
[Zuruf von der CDU/CSU: Ganz was Neues!]
von denen ich hoffe, dass Sie sie aufnehmen werden. Einigen wir uns darauf, dass die Evaluierung an sich eine sinnvolle Idee ist. Dann sollten wir uns aus der Mitte des Parlaments zusammentun. Der Bundestagspräsident kritisiert zu Recht des Öfteren die Tendenz der Entmachtung des Parlaments. Also stärken wir das Parlament! Machen wir eine wirkliche Evaluierung, und zwar zusammen mit Abgeordneten aller Fraktionen! Machen wir eine Evaluierung all dieser großen Grundrechtseingriffe mit Datenschützern, mit Bürgerrechtlern und mit vielen anderen! Schauen wir einmal, was das eigentlich gebracht hat, und schauen wir vor allem, inwieweit der demokratische Rechtsstaat davon betroffen ist und ob die Verhältnismäßigkeit gewahrt worden ist. Das wäre eine wirkliche Evaluierung solcher Gesetze.
[Beifall bei der LINKEN]
Abschließend muss ich die FDP wirklich loben. Sie haben lange gezögert; das war richtig. Jede Verzögerung, die dieses Gesetz hinausschiebt, ist eine gute Verzögerung. Ich hoffe, Sie machen das weiter so. Wir würden Ihnen dabei helfen. Sie sind aber damals mit dem Versprechen einer Umkehr in der Innen- und Sicherheitspolitik gewählt worden. Das tun Sie leider nicht. Sie haben auch in diesem Bereich völlig versagt. Eines will ich schon noch sagen: Ihr Deal, der zu dem geführt hat, was heute vorliegt, ist nun wirklich die bürgerrechtliche Bankrotterklärung der Freien Demokraten in diesem Land. Für Ihre Steuerpolitik, die an Irrsinnigkeit kaum zu überbieten ist, opfern Sie bürgerrechtlichen Positionen, die Sie lange Zeit vertreten haben. Das kritisieren wir aufs Schärfste, weil das wirklich schade ist. Von Ihnen ist inhaltlich kaum noch etwas übrig geblieben. Das können wir heute ganz eindeutig feststellen.
[Beifall bei der LINKEN]
Heute kann man einen Strich darunter ziehen und sagen: Ob Schily, Schäuble oder Friedrich, es ist alles dasselbe in der Innenpolitik. Es gibt überhaupt keine Unterschiede. Es gibt überhaupt kein Ringen in diesen Konstellationen, wie eine Innenpolitik anders aussehen könnte. Je mehr Sie sich aufregen, umso besser bin ich drauf, weil das zeigt, dass wir mit unserer Kritik richtig liegen.
[Beifall bei der LINKEN]
Wir brauchen eine Umkehr, mit der die Grund- und Freiheitsrechte wieder in den Mittelpunkt gestellt werden. Eines will ich dann doch noch einmal zum Schluss sagen: Die Grund- und Freiheitsrechte, die Trennung von Geheimdiensten und Polizei, der demokratische Rechtsstaat und vieles andere sind nicht vom Himmel gefallen, sondern sie sind in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten übrigens unter großen Opfern erkämpft worden. Deswegen geht man damit nicht so leichtfertig um.
Liebe Kollegin Lambrecht, der SPD würde ich Folgendes empfehlen: Die FDP ist schon eingeknickt. Sie brauchen sich jetzt nicht auch noch anzubiedern, unbedingt beim Grundrechteabbau mitmachen zu wollen. Sie sind in der Opposition; da können Sie ausnahmsweise wieder für die Grundrechte sein. Die Linke ist das in der Regierung und in der Opposition. Das ist der Unterschied zwischen uns.«
[Beifall bei der LINKEN]