Jan Korte, MdB (DIE LINKE) (www.jan-korte.de)

NS-Vergangenheit in Bundesministerien aufklären

01.07.2011

Obwohl sämtliche Bundesregierungen seit 1949 die Wichtigkeit eines kritischen Blicks auf die eigene Geschichte betont haben, gibt es bei der Aufarbeitung der NS-Geschichte der Ministerien des Bundes erhebliche Defizite. DIE LINKE fordert, sowohl das Handeln von Ministerien in der NS-Zeit zu untersuchen, als auch personelle Kontinuitäten nach 1945 zu beleuchten und ihren Einfluß auf die demokratische Entwicklung der jungen Bundesrepublik zu bewerten, so Jan Korte in seiner Rede zum Antrag der Linksfraktion, »NS-Vergangenheit in Bundesministerien aufklären»:

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,

die Linksfraktion stellt heute den Antrag, die NS-Vergangenheit aller in Frage kommenden Bundesministerien aufzuarbeiten. Bis heute steht eine kritische Bilanz der personellen und inhaltlichen Kontinuitäten zwischen dem NS-Regime und der Bundesrepublik Deutschland in den meisten Fällen aus. Und dies obwohl die kritische Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit zu den zentralen Lehren aus der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert gehört und der Deutsche Bundestag und sämtliche Bundesregierungen seit 1949 zumindest verbal immer wieder die enorme Bedeutung eines kritischen Blicks auf die eigene Geschichte betont haben. Diese Sicht musste immer wieder erkämpft und durchgesetzt werden.

Mit der Vorstellung der Studie »Das Amt« wurde im letzten Jahr von offizieller Seite eine weitere Etappe in der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit begonnen. Die Aussage von Eckart Conze, einem der Autoren der Studie, das Auswärtige Amt wäre eine »verbrecherische Organisation« gewesen, war für viele in ihrer Deutlichkeit überraschend, gleichwohl aber ein Meilenstein in der geschichtspolitischen Auseinandersetzung. Nicht, dass die Erkenntnis neu gewesen wäre: Schon die Historiker Browning, Döscher und Frei haben teils vor Jahrzehnten den verbrecherischen Charakter der »feinen Herren« des AA untersucht und veröffentlicht. Die Abwehr dieser Erkenntnis und der Unwille, die Verstrickung der damaligen Funktionseliten in den Nationalsozialismus und ihre Wiederkehr in die bundesdeutschen Entscheidungsebenen aufzuarbeiten, haben ihre Wurzeln in den fünfziger Jahren und dauern in Teilen bis heute an. Die Studie zur Nazi-Vergangenheit des Auswärtigen Amtes sorgte allerdings auch deshalb für Aufregung, weil Sie belegte, wie führende NS-Eliten nach dem Krieg weiterbeschäftigt wurden. Und dies massenhaft. So waren 1950/51 rund 42 Prozent der Angehörigen des höheren Dienstes ehemalige NSDAP-Mitglieder. Diese Zahl ist umso bemerkenswerter, weil damit nur kurz nach 1945 im Amt mehr NSDAP-Mitglieder beschäftigt waren, als beispielsweise in den Jahren 1938/39. Und sie erregte Aufsehen, weil klar wurde, dass andere Bundesministerien sich immer noch einer umfassenden Aufarbeitung entziehen. Nur auf einen wichtigen Punkt hätte in der Studie ausführlicher eingegangen werden können, nämlich den Fragen nach inhaltlichen Kontinuitäten: Welchen Einfluss auf die Politik der frühen Bundesrepublik hatte die Anwesenheit so vieler ehemaliger NSDAP-Mitglieder und alter Nazis? Welche ideologischen Kontinuitäten konnten sich schleichend fortsetzen, wo gab es klare Brüche? Und inwieweit wurde dadurch der demokratischen Entwicklung der BRD geschadet? Für die Frühgeschichte der Bundesrepublik wäre es wichtig gewesen, genau solchen Fragen heute nachzugehen.

Die Bundesregierung hat heute keine plausiblen Argumente, analog zur Außenamtsstudie nicht endlich auch die anderen in Frage kommenden Ministerien und Behörden untersuchen zu lassen, wie es DIE LINKE im Bundestag im vorliegenden Antrag fordert. Und erfreulicherweise liegen ja heute auch noch zwei weitere nahezu identische neue Anträge der SPD und der Grünen vor, die das gleiche Ziel verfolgen. Dies ist umso erfreulicher, weil es ja gerade bei der SPD in dieser Frage bis vor gar nicht so langer Zeit auch noch ganz andere Positionen gab.

Nun werden sicherlich wieder einige von der Koalition einwenden, dass doch bereits etliches auf den Weg gebracht und im Grunde unser Antrag längst überholt und unnötig sei. Ja, richtig, bei einigen Ministerien und Behörden tut sich seit 2005 tatsächlich etwas. Wenn man sich aber genauer anguckt, was bisher in Sachen Aufarbeitung der personellen und institutionellen Kontinuitäten passiert ist oder passiert, dann sieht das Ganze schon anders aus. Denn zum Teil steht zwar die Erforschung der Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus auf der Agenda, wie beispielsweise beim Bundesfinanzministerium, wo unter der Leitung von Ulrich Herbert seit dem Sommer 2009 eine hochrangige siebenköpfige Historikerkommission untersucht, welchen Beitrag das Reichsfinanzministerium etwa bei der Ausplünderung der Juden sowie der Finanzierung der Rüstung und des Krieges leistete, welche Handlungsspielräume es dabei gab und wie diese genutzt wurden, aber die Zeit nach 1945 ist bislang nicht Forschungsgegenstand. Und dies nicht, weil die Historiker dies nicht wollten, im Gegenteil.

Oder nehmen sie das Bau- und Verkehrsministerium. Dort ließ zwar der damalige SPD-Minister Wolfgang Tiefensee vor einigen Jahren von zwei Historikern die »antijüdische Politik des Reichsverkehrsministeriums zwischen 1933 und 1945″ untersuchen, wer von den Verantwortlichen aber später auch im Bundesverkehrsministerium Politik machen konnte, wurde sicherheitshalber nicht untersucht. Hier besteht dringender Nachholbedarf und ich bin gespannt, inwieweit Minister Ramsauer dem nachkommen wird.

Oder nehmen sie das Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Dort wurde die ebenfalls 2005 in Auftrag gegebene Studie, die vor allem das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft behandelt, dem in der nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Ideologie eine zentrale Rolle zukam, lange unter Verschluss gehalten. Und dies obwohl die Studie gar nicht untersuchte, wie viele Nazis nach dem Krieg im neuen Bundesministerium weiterarbeiteten. Jetzt ist seit einigen Wochen zwar die Studie öffentlich, aber die Liste jener 62 Mitarbeiter mit möglicher Nazi-Vergangenheit, von denen im Ministerium fünf wegen ihrer Vergangenheit als »nicht ehrwürdig« eingestuft wurden, fehlt weiterhin. Das sich hier Ministerin Aigner hinter Datenschutzgründen versteckt, ist mehr als peinlich.

Auch das Innenministerium hat bis heute unter keiner Bundesregierung den Versuch unternommen, die eigene Geschichte kritisch aufzuarbeiten. Während zwar das BKA eine Historikerkommission beauftragt hat seine braunen Wurzeln zu untersuchen und neuerdings ja erfreulicherweise endlich auch der BND und der Verfassungsschutz Anstalten machen Ähnliches auf den Weg zu bringen, wird beim Nachfolger des Reichsinnenministeriums weiter gemauert.

Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit fällt übrigens nicht nur der konservativen Seite dieses Hauses schwer. Es hat zum Beispiel eine gefühlte Ewigkeit gedauert, bis auch die SPD-Fraktion sich in der letzten Legislaturperiode dazu durchgerungen hat, die Rehabilitierung der sogenannten Kriegsverräter mitzutragen. Umso schöner, dass die SPD sich heute mit einem eigenen Antrag für die Aufarbeitung der personellen und institutionellen Kontinuitäten und Brüche in Ministerien und Behörden der frühen Nachkriegszeit hinsichtlich ihrer NS-Vorgängerinstitutionen einsetzt.

Um eine neue Debatte um die Vergangenheitspolitik anzustoßen hat meine Fraktion in dieser Legislaturperiode bereits eine ganze Reihe weiterer Anträge und Anfragen in das Parlament eingebracht. So haben wir beispielsweise gefordert, endlich den Widerstand und die unzähligen Opfer des kommunistischen Widerstandes anzuerkennen und den Ausschluss von Kommunistinnen und Kommunisten von den Entschädigungsleistungen für ihre erlittenen Qualen in den Konzentrationslagern in den fünfziger Jahren als Unrecht anzuerkennen. Ein anderer Antrag, dem sich dann inhaltlich auch die Grünen mit ihrem Antrag »Verantwortlichkeit der Bundesregierung für den Umgang des Bundesnachrichtendienstes mit den Fällen Klaus Barbie und Adolf Eichmann« anschlossen, fordert die Aufarbeitung der Geschichte des BND und die Offenlegung der Akten zum Fall Eichmann. In einer großen Anfrage, für deren Beantwortung sich die Bundesregierung nun insgesamt fast 11 Monate Zeit nehmen möchte, wird insgesamt die Frage des Umgangs mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik gestellt. Was wir aber insgesamt brauchen, ist eine viel systematischere Beschäftigung mit dem Thema. Nötig ist endlich ein Gesamtkonzept zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Bundesministerien und -behörden - mit nachvollziehbaren Kriterien, klaren Aufträgen zum weiteren Umgang mit dem Thema, einem uneingeschränkten Zugang zu den Akten und Dokumenten und einer ausreichenden finanziellen Ausstattung. Die Bundesregierung und der für Erinnerungskultur zuständige Kulturstaatsminister Neumann sind hier eigentlich schon lange in der Pflicht, ein solches Konzept vorzulegen. Aber da sie es ja alleine offensichtlich nicht hinbekommen, soll ihnen unser Antrag nun dabei helfen.

Die aktuelle Debatte zeigt, dass Geschichte nach wie vor ein umkämpftes Feld ist. Trotz vieler Rückschritte und Niederlagen müssen dabei aber nicht zwangsläufig die Apologeten und Geschichtsrelativierer die Oberhand gewinnen. Es gab immer wieder Durchbrüche für eine kritische Geschichtsauffassung. Und obwohl natürlich die alten Eliten das politische Klima der Bundesrepublik bis in die achtziger Jahre maßgeblich geprägt haben, so taten dies eben aber auch linke Wissenschaftler, Initiativen, Gewerkschaften und in einem nicht zu vernachlässigenden Teil ein geschichtsbewusstes Bürgertum sowie kritische Medien.

Ich bin mir sicher, dass wir heute andere Zeiten und auch andere gesellschaftliche Mehrheiten haben als noch in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Klar ist aber auch eines: Geschichtspolitischen Fortschritt gibt es immer nur durch breiten gesellschaftlichen Druck.

Vielen Dank.

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