Ökosysteme schützen, Artenvielfalt erhalten
DIE LINKE fordert in ihrem Antrag »Ökosysteme schützen, Artenvielfalt erhalten - Kormoranmanagement einführen«, ein bundesweites Kormoranmanagement als ersten Schritt zu einem europaweiten Management. Neben der Gewässerverbauung und Gewässerverschmutzung hat der große Kormoranbestand erhebliche Folgen für die Artenvielfalt in den Gewässern und auf die Fischerei. Dem Fischartenschutz darf kein geringerer Stellenwert eingeräumt werden als dem Vogelschutz.
Hier dokumentieren wir die zu Protokoll gegebene Rede von Jan Korte zu dem Antrag. Einen Protokollauszug mit den Reden der VertreterInnen aller Parteien dokumentieren wir hier (PDF)
Jan Korte MdB:
»Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,
seitdem der Kormoran vor über 40 Jahren durch die Europäische Vogelschutzdirektive unter Schutz gestellt wurde ist dessen Population in Europa und in der Bundesrepublik extrem stark gewachsen. Dass es gelungen ist, eine fast ausgestorbene Art wieder heimisch zu machen ist ein Erfolg für den Artenschutz. Das verdient Anerkennung und es macht Mut für andere Schutz- und Wiederansiedlungsmaßnahmen.
Wenn wir allerdings eine Tierart besonders schützen, müssen wir auch die Folgen im Blick haben, die ein gewachsener Bestand dieser Art auf andere Tierarten hat. Und wir müssen Konsequenzen ziehen um negative Folgen kontrollieren zu können. Deshalb stellen wir heute hier im Bundestag den Ihnen vorliegenden Antrag.
Die Kormoranpopulation ist in manchen Regionen so stark gewachsen, dass sie mittlerweile ein Risiko für den Bestand von Fischarten in natürlichen und künstlichen Gewässern darstellt. Um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Selbstverständlich sind Kormorane nicht der Grund, weshalb es in den bundesdeutschen Gewässern nicht mehr so viele Fische gibt wie vor hundert Jahren, das hat der Mensch mit der Verunreinigung, Verbauung und Kanalisierung von Gewässern schon selber geschafft. Das hier etwas passieren muss hat heute selbst die Union verstanden. Trotzdem werden immer noch Projekte realisiert, die sich auf die Fischpopulation und die Durchgängigkeit von Gewässern negativ auswirken, wie das von den Grünen mitgetragene Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg. Neben den begrüßenswerten Maßnahmen zu Renaturierung von Gewässern oder zur Verbesserung von Wasserkraftanlagen darf eine nachhaltige Strategie zum Erhalt und zur Wiederansiedlung von Fischarten die Regulierung des Kormoranbestandes nicht ausschließen.
Seit Jahren häufen sich die Beschwerden von Fischern und Anglern, denen die Bejagung ihrer Gewässer durch Kormorane erhebliche Verluste bereitet. Dass die Fischentnahme durch Kormorane zu erheblichen ökonomischen Einbußen für Teichwirte führt, bestreitet übrigens selbst der Naturschutzbund NABU nicht.
Ich möchte einmal zwei Beispiele anführen: Vor zwanzig Jahren rechneten Teichwirte im letzten Aufzuchtjahr für Karpfen mit Verlusten von ca. fünf bis zehn Prozent. Nach einer Erhebung des Landesfischereiverbandes Brandenburg liegen die Verluste im letzten Aufzuchtjahr mittlerweile bei fast dreißig Prozent. Die Teichwirtinnen und -wirte in Brandenburg mussten dieser Erhebung nach - zusätzlich zu den natürlichen Verlusten bei der Aufzucht - im Jahr 2009 außerordentliche Verluste von über einer Million Euro verbuchen. Und das bei einem Gesamtjahresumsatz von 3,6 Millionen Euro. Sie können sich ausrechnen, dass Teichwirte bei dem resultierenden Einkommen darüber nachdenken müssen, ihr Unternehmen aufzugeben. Wenn in der Folge die Teiche verlanden, verlieren etliche Tierarten ihren Lebensraum.
Ein zweites Beispiel in einer anderen Region: In einem Abschnitt der Nagold, einem Fluss in Baden-Württemberg, wurden Anfang der neunziger Jahre regelmäßig zwischen 160 und 240 Äschen gefangen. Das hat der Landesfischereiverband Baden-Württemberg dokumentiert. Nachdem im Winter 1996/1997 ca. 400 Kormorane dort überwinterten sank der jährliche Ertrag auf unter 25 Äschen und er ist bis 2008 auf diesem Niveau geblieben. Für Fließgewässer - die für überwinternde Kormorane oftmals das letzte Jagdrevier darstellen, weil sie nicht zufrieren - gibt es etliche dieser Fälle, fast alle Fischarten betreffend. Der Artenerhalt an diesen Gewässern ist zum Teil nur noch den Besatzmaßnahmen der Fischereiberechtigten zu verdanken, den kommerziellen Fischern oder den Anglervereinen. Die verspüren nach dem vierten Kormoranbesuch aber verständlicherweise keine Lust mehr, nur noch Kormoranfutter in die Flüsse zu kippen, dafür ist auch kein Geld da.
Für die kommerzielle Binnen- und Küstenfischerei und auch für die Anglerverbände, deren Mitglieder in ehrenamtlicher Arbeit ihre Gewässer pflegen und damit einen aktiven Beitrag zum Naturschutz leisten, ist der unkontrollierte Kormoranbestand ein Problem, das die Politik nicht vernachlässigen darf. Wir dürfen die wirtschaftliche Bedeutung der kommerziellen und Freizeitfischerei nicht ignorieren, die in strukturschwachen Regionen Arbeitsplätze sowohl in der Fischereiwirtschaft selbst als auch im Tourismus sichert, der gerade im Osten der Republik ein großes Entwicklungspotential darstellt. Und wir dürfen wir dem Fischartenschutz keinen geringeren Stellenwert einräumen als dem Vogelschutz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
am 4. Dezember 2008 hat das Europäische Parlament die Europäische Kommission und die Mitgliedsstaaten der EU mit großer Mehrheit aufgefordert, einen europäischen Kormoranmanagementplan zu erarbeiten und umzusetzen. Ziel dieses Kormoranmanagements sollte es sein, die Kormoranbestände in Europa langfristig in die Kulturlandschaft zu integrieren und damit Schäden an den Beständen von Wildfischarten an der Küste und in den Binnengewässern zu reduzieren, sowie Schäden von der Fischereiwirtschaft abzuwenden.
Das Europaparlament hat mit der Annahme des Berichts des Europaparlamentariers Heinz Kindermann das Problem der gewachsenen Kormoranpopulation in Europa anerkannt. Leider haben das nicht alle Mitgliedsländer der EU getan, so dass es bis heute kein europäisches Kormoranmanagement gibt und die Bundesregierung - das hat sie in der Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion geschrieben - in absehbarer Zeit nicht mit einem gemeinsamen Kormoranmanagementplan rechnet.
Die Bundesländer können seit einiger Zeit in Kormoranverordnungen regeln, welche Schutzmaßnahmen für Gewässer ergriffen werden können. Auch wenn es wie in Schleswig-Holstein durchaus Erfolge zu verzeichnen gibt sind die Auswirkungen der Länderverordnungen oft nur auf lokaler Ebene spürbar. Hinzu kommt, dass Abschüsse als in den meisten Verordnungen erlaubte Vergrämungsmethode oft nur zu einer Verlagerung des Problems führen und Abschüsse kein Instrument einer nachhaltigen Bestandskontrolle sein können. Weder der passive Schutz von Teichen mit Hilfe von Überspannungen, noch die Renaturierung von Gewässern oder das Einbringen von Totholz als Unterstand haben bisher zum Schutz von Fischen beitragen können.
In unserem Antrag schlagen wir deshalb vor, ein bundesweites Kormoranmanagement einzuführen, das auf Basis von belastbaren Zahlen und konsensfähigen Bestandszielen eine bundesweit koordinierte Bestandskontrolle ermöglicht und welches vorrangig durch die Regulierung der Reproduktion erfolgen soll, wie es bereits in Mecklenburg-Vorpommern erprobt wurde.
Ein bestandsregulierendes Management dieser Art wird nicht von heute auf morgen umsetzbar sein und kann zunächst nur auf dem Gebiet der Bundesrepublik erfolgen, was ein Management der Zugvögel nicht ermöglicht. Daher schlagen wir vor, Entschädigungszahlungen an Teichwirte und Fischereirechtsinhaber und die Ermittlung von Schäden zu vereinheitlichen und dafür Mittel aus der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU einzufordern. Und wir schlagen vor, als ersten Schritt zu einem Kormoranmanagement in Europa, ein gemeinsames Kormoranmanagement mit unseren Nachbarstaaten vor allem im Nord- und Ostseeraum anzustreben.
Gemessen an den Aussagen verschiedenster Politiker in diesem Hause sollte einem gemeinsamen Vorgehen des Bundestags nichts im Wege stehen. Gerade die FDP hat in der Opposition - zumindest was das Kormoranmanagement angeht - auch mal gute Vorschläge gemacht, die wir glatt übernehmen können. Bei dieser Sachfrage, in der es nicht um Kalten Krieg oder ideologische Grundsatzdebatten geht, hätte der Bundestag einmal die Möglichkeit, über die Parteigrenzen hinweg konkrete Lösungen für den Artenschutz, für die Fischerei und für über drei Millionen Anglerinnen und Angler in der Bundesrepublik zu finden. Wir sind zu einem konstruktiven Dialog bereit.
Im Bundestag reden wir oft über nachhaltiges Wirtschaften, über regionale Wirtschaftskreisläufe und ökologisch vertretbare Produktion. Weit über drei Viertel des Fischs, der in der Bundesrepublik konsumiert wird, wird importiert. In manchen Teilen der Welt fischen internationale Fangflotten ihn der Bevölkerung praktisch vor der Nase weg, damit wir sie billig im Discounter kaufen können. Die Fischerei ist ein Beispiel dafür, das wir regionale Potentiale besser nutzen können.
Um ein Kormoranmanagement kommen wir nicht herum, vor allem auch weil sämtliche passive Schutzmethoden an natürlichen Gewässern und Teichen nicht funktionieren. Das hat übrigens auch der NABU, der den Kormoran im Jahr 2010 zum Vogel des Jahres erhoben hat, bei seinen eigenen Teichen an der Blumberger Mühle in Brandenburg feststellen müssen. Der RBB hat berichtet, dass der NABU seit Jahren für seine dortige Karpfenzucht tonnenweise Satzfische aus Tschechien importiert, in einer Größe, die der Kormoran nicht mehr bewältigen kann. Damit Gäste des NABU-Besucherzentrums nicht mit Vergrämungsabschüssen konfrontiert werden, wird das Problem einfach ausgelagert. Ob es über den tschechischen Zuchtteichen aussieht wie nach einer Kissenschlacht ist dem NABU dabei offensichtlich egal. An diesem Beispiel kann man gut erkennen, dass wir mehr Ehrlichkeit in der Diskussion um den Artenschutz in der Bundesrepublik und in Europa brauchen. Zu einem konstruktiven Dialog fordere ich auch den NABU an dieser Stelle ausdrücklich auf. Artenschutz darf weder an der Wasseroberfläche enden, noch sollte er sich auf Tiere mit hübschen Knopfaugen beschränken.
Wenn wir die Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtlinie einhalten wollen, wenn wir wollen, dass Wiederansiedlungsprojekte für den Lachs oder den Stör erfolgreich sind und wenn wir Arten wie den Aal und die Äsche - genauso wie den Kormoran - weiterhin erhalten wollen, können wir nicht auf Europa warten sondern müssen jetzt etwas tun. Ich bitte Sie daher um Zustimmung zu unserem Antrag.
Vielen Dank.«