»Auf der Tagesordnung«
Zum Umgang mit dem NS-Faschismus. Immer wieder muss kritische Geschichtspolitik erkämpft und verteidigt werden. Von Jan Korte
Die Studie »Das Amt und die Vergangenheit« zur Vergangenheit des Auswärtigen Amtes hat die Frage des Umgangs mit dem NS-Faschismus in der Geschichte der Bundesrepublik erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Neu sind die Erkenntnisse der Studie nicht. Neu ist allerdings, dass sie von offizieller, staatlicher Seite in Auftrag gegeben wurde. Und dafür ist die Kernaussage des Autors Eckart Conze, das Auswärtige Amt sei eine »verbrecherische Organisation « gewesen, ein echter Meilenstein in dieser geschichtspolitischen Auseinandersetzung.
Die mit großem Aufwand verbreitete Legende, die Geschichte der Bundesrepublik sei eine ganz und gar demokratische Erfolgsgeschichte gewesen und die Aufarbeitung der Vergangenheit sei vorbildlich verlaufen, wird durch die Reaktionen auf die Studie widerlegt. Globke und Oberländer waren nur die Spitze des Eisberges. Viel gefährlicher und skandalöser war die massenhafte Rückkehr der ehemaligen Funktionseliten an die Schaltstellen von Staat, Wirtschaft, Armee und Justiz. Mit der »131er-Regelung« wurde ermöglicht, dass das Berufsbeamtentum, was von den Alliierten als besonders naziverseucht eingeschätzt wurde, wieder in den öffentlichen Dienst zurückkehrte. Unter ihnen Verbrecher aus den Reihen der Gestapo.
Eines der ersten Gesetze der Bundesrepublik überhaupt war das Straffreiheitsgesetz von 1949. Bereits kurz nach Gründung der BRD waren ein Viertel der Abteilungsleiter in den Bonner Ministerien ehemalige NSDAP-Mitglieder.
Diese administrativen Entwicklungen wurden getragen von einer massenhaften Praxis der Schuldabwehr und der Verleugnung der Involvierung in den Nationalsozialismus. Sowohl die Täter, die Funktionseliten, als auch die große Mehrheit der Bevölkerung zeigten sich völlig unwillig, ihr eigenes Handeln kritisch zu reflektieren oder gar Empathie mit den Opfern zu entwickeln. Stattdessen dominierten Schuldabwehrstrategien wie die Reduzierung der Täter auf Hitler, Himmler und Goebbels. Der Verweis auf Hitler entlastete alle anderen von ihren eigenen Verbrechen bzw. ihrer Unterstützung für das NS-Regime.
Dieses Muster wurde von der Justiz übernommen und führte zu einer schier unglaublichen Entlastung von Schwerstschuldigen, wie der Politikwissenschaftler Joachim Perels treffend feststellt: »Subjekt der Tat waren nicht die Administratoren und Praktiker des Mordes, sondern Hitler, Himmler und Heydrich, die sogenannten Haupttäter. Der Polizeipräsident von Memel, der seine Polizeikräfte aus eigenem Antrieb zum Mord an den Juden abkommandiert, der Kommandeur der Einsatzgruppe 8, der die Tötung von 15.000 Juden befohlen und eigenständig getötet hat, der Adjutant des Vernichtungslagers Auschwitz, der an Selektionen beteiligt war, den Bau neuer Gaskammern in Auftrag gab und Zyklon B beschaffte, der stellvertretende Lagerkommandant des Konzentrationslagers Majdanek, der sich an vielen Tötungen beteiligte, sie alle wurden - ungeachtet ihrer organisatorischen Verankerung in der SS - von den Gerichten der Bundesrepublik nicht als Täter, sondern als Gehilfen, ohne ideologische Identifikation mit dem Nationalsozialismus, eingestuft.«
Diese Entwicklungen wurden politisch von den Konservativen massiv unterstützt, da sie Wahlerfolge garantierten. Es gab eine bedenkliche Solidarität der Bevölkerung mit den inhaftierten Wehrmachtsverbrechern. Norbert Frei bezeichnete dieses Klima als »sekundäre Bestätigung der Volksgemeinschaft«.
Gleichwohl gab es in den fünfziger und sechziger Jahren hörbare Gegenpositionen. Etwa die des hessischen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer, der im Rahmen des Remer-Prozesses für die Anerkennung des Widerstandes des 20. Juli stritt, der damals als Landesverrat galt. Oder Menschen wie Martin Niemöller und Eugen Kogon, die sich gegen Verdrängung und Antikommunismus wandten, um eine demokratische Entwicklung zu ermöglichen. Dies waren zwar Minderheitenpositionen, aber sie bereiteten den Boden, auf dem heute Studien wie »Das Amt« entstehen konnten.
Trotzdem muss kritische Geschichtspolitik immer wieder erkämpft und verteidigt werden. Man denke etwa an die fast vier Jahre dauernde Rehabilitierung der »Kriegsverräter« mit absurden Argumenten der Konservativen, einer verpennten SPD und allen Finten der Verschleppungstaktik. Gleichwohlzeigte die einstimmige Rehabilitierung im Jahre 2009, dass es bis hinein in liberale Kreise ein kritisches Bewusstsein gibt, das die Rehabilitierung mit ermöglichte. Nicht zuletzt die Unterstützung auch von bürgerlichen Medien ermöglichte die Würdigung dieser einfachen Soldaten, die sich dem Angriffs- und Vernichtungskrieg widersetzten.
Verstrickungen aufdecken
Die Linksfraktion im Bundestag hat eine Reihe von parlamentarischen Initiativen für eine kritische Geschichtspolitik gestartet. Kern der Anträge und Anfragen ist die Aufdeckung der personellen Verstrickungen zwischen NS-Regime und Bundesrepublik sowie die Frage, inwieweit die ausgebliebene Aufarbeitung in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik die Entwicklung des demokratischen Rechtsstaates beschädigt hat. Unter anderem wurde ein Antrag eingebracht, der verlangt, endlich die Geschichte des BND aufzuarbeiten und besonders die Akten zum Fall Eichmann offenzulegen. Ein anderer Antrag will die Aufarbeitung der Vergangenheit in allen relevanten Ministerien und Behörden des Bundes analog zur Studie des Außenamtes anschieben. Mit einer großen Anfrage will die Fraktion eine allgemeine Debatte über den Umgang mit der NS-Vergangenheit in Deutschland auf den Weg bringen. Aktuell wird ein Antrag diskutiert, der von rechtsextremen Auslassungen einiger CDU-Abgeordneter begleitet wird. Der Widerstand von Kommunistinnen und Kommunisten als Opfer des NS-Regimes soll durch den Bundestag anerkannt werden. Zudem sollen die damaligen Streichungen von Entschädigungszahlungen für kommunistische Widerstandskämpfer als Unrecht anerkannt werden.
In diesem Sinne versucht die Linksfraktion eine kritische Geschichtspolitik zu unterstützen.