Nein zur Vorratsdatenspeicherung, Ja zu freier Kommunikation
In seiner Rede zum Antrag der Grünen »Keine Vorratsdatenspeicherung über den Umweg Europa« kritisiert Jan Korte das doppelte Spiel der Bundesregierung bei der Vorratsdatenspeicherung. Um unpopuläre Maßnahmen in der Bundesrepublik umsetzen zu können, fordere man sie auf europäischer Ebene, um dann mit dem Verweis auf EU-Richtlinien Entscheidungszwänge herzustellen. Man müsse es genau umgekehrt machen und die Europäische Union nutzen, um die Grundrechte besser zu schützen.
Jan Korte (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war gerade immerhin ein Standpunkt; das muss man sagen. Hingegen hat Kollegin Högl nur gesagt, es sei »sehr richtig und wichtig, dass die Richtlinie evaluiert wird« und sie von der Bundesregierung erwarte, »dass sie etwas vorlegt und sagt, was sie in die Evaluierung einbringt«.
[Christine Lambrecht (SPD): Wir sind nicht an der Regierung!]
Allerdings müssten die Sozen einmal klären, was ihre Meinung dazu ist. Dann könnte man darüber diskutieren. Andere Oppositionsparteien haben sich eine Meinung gebildet; auch die CDU/CSU und die FDP haben eine Meinung. Nur die Sozen haben keine Meinung dazu. Das ist die Situation. Damit ist man raus aus der Debatte.
[Paul Lehrieder (CDU/CSU): Schimpfen Sie nicht auf die! Vielleicht brauchen Sie die noch einmal!]
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat sich nichts geändert. Ich darf überraschenderweise sagen, dass die Kollegin Piltz da schlicht recht hat: Wir hatten vor der Einführung der Vorratsdatenspeicherung offensichtlich kein größeres Problem; nach der Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung durch das Bundesverfassungsgericht gibt es offensichtlich auch kein größeres Problem. Es ist nicht so, dass jetzt auf einmal überall die Kriminalität explodiert. Kollegin Piltz, in diesem Falle haben Sie sehr recht. Ich hoffe, dass Sie das auch Ihrem Koalitionspartner verklickern können.
Richtig ist, das ist zu Recht gesagt worden: Das Bundesverfassungsgericht hat zu der Regelung, die es gab, gesagt, dass das gar nicht funktioniert. Es hat auch gesagt, unter bestimmten, hohen Voraussetzungen sei eine Vorratsdatenspeicherung möglich. Das ist zunächst einmal richtig: Das Gericht hat nicht gesagt, dass es auf keinen Fall möglich ist. Das Gericht hat aber auch nicht gesagt, dass wir Vorratsdatenspeicherung betreiben sollen. In der jetzigen politischen Auseinandersetzung geht es darum, ob wir sie betreiben wollen oder nicht.
[Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Wir müssen!)]
Wir haben uns eine klare Meinung dazu gebildet. Im Übrigen werden wir im Gegensatz zur SPD auf keinen Fall die Einführung der Vorratsdatenspeicherung konstruktiv begleiten. Wir werden extrem konstruktiv dagegen arbeiten. Zumindest das können wir zusagen.
[Beifall bei der LINKEN - Christine Lambrecht (SPD): Das tut uns aber leid! - Christian Lange (Backnang) (SPD): So kennen wir Sie! Destruktiv auf allen Ebenen!]
All Ihre Vorhaben, Ihre Datensammelwut, der Abbau von Grund- und Freiheitsrechten in den letzten Jahren, haben zwei Gemeinsamkeiten: Zum einen werden dort leichtfertig lang erkämpfte demokratische Rechte geopfert; zum Zweiten - das ist hier heute zu Recht anerkannt worden - haben Sie weder bei der Onlinedurchsuchung noch bei anderen Maßnahmen dem Bundestag plausibel darlegen können, warum die Maßnahmen wichtig sind und worin der konkrete Nutzen besteht. Das haben Sie nicht gemacht; das wäre einmal schön.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Korte, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Sensburg?
Jan Korte (DIE LINKE):
Ja. Schöne Bescherung!
Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU):
Herr Kollege Korte, ist Ihnen bekannt, dass man europäische Richtlinien innerhalb der Frist, die in der Richtlinie genannt ist, umzusetzen hat? Macht das ein Mitgliedstaat nicht, verstößt er gegen Europarecht, gegen die europäischen Verträge, die wir alle unterzeichnet haben.
[Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir nicht!]
Dann besteht sogar die Möglichkeit, dass es zu einem Vertragsverletzungsverfahren kommt. Ist Ihnen das bekannt? Denn gerade haben Sie gesagt, es bleibe uns überlassen, ob wir das machen oder nicht.
Jan Korte (DIE LINKE):
Wir beschließen das hier im Bundestag. Wer im Glashaus sitzt, sollte bekanntlich nicht mit Steinen werfen. Fakt ist: Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass das, was Sie eingebracht und dem Sie zugestimmt haben, gar nicht geht und dass alle Daten, die gespeichert worden sind, zu löschen sind. Sie haben dem entsprechenden Gesetz zugestimmt; die Linke hat dem nicht zugestimmt. Wir haben uns in diesem Fall offenbar völlig verfassungskonform verhalten; das ist erst einmal festzuhalten.
[Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Sie haben noch gar nicht geantwortet!]
Zweitens: Stichwort Europa. Folgendes Verhalten ist interessant - das waren, um vor Weihnachten etwas Versöhnliches zu sagen, nicht nur Sie: Bei bestimmten Maßnahmen im Bereich der inneren Sicherheit, etwa Biometrie in Ausweisen, die man hier in der Bundesrepublik nicht durchbekommen würde, weil es zu viel Widerstand in der Gesellschaft gibt, haben Sie und Ihre Vorgänger immer wieder versucht, über die Bande, über Europa zu spielen und dort massiv das einzufordern, was Sie hier nicht durchsetzen können, um dann zu sagen, es handele sich um eine EU-Richtlinie, die wir umsetzen müssten. Das geht natürlich nicht. Man müsste es umgekehrt machen: Man müsste die Europäische Union nutzen, um die Grundrechte besser zu schützen. So viel dazu.
[Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)]
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Korte, der Kollege Kauder möchte Sie auch noch etwas fragen.
Jan Korte (DIE LINKE):
Ja, bitte.
Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU):
Herr Kollege, könnten wir uns darauf einigen, dass Sie die Frage des Kollegen Sensburg bewusst nicht beantwortet haben? Sie haben hypothetisch gesagt, was wäre, wenn es diese europäische Richtlinie nicht gäbe. Es gibt sie aber. Jetzt sind Sie dran.
[Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]
Jan Korte (DIE LINKE):
Herr Kollege Kauder, in der Tat gibt es die europäische Richtlinie. Aber gab es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, oder habe ich da irgendetwas übersehen? Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: So, wie die Richtlinie hier umgesetzt werden soll, ist es nicht zulässig; das geht nicht. Das ist doch die Situation. Sehe ich das falsch, oder wie?
[Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Ja! Sie kennen sich gar nicht aus!]
Ich finde, ich sehe das vollkommen richtig: Wir haben kein verfassungsfeindliches Gesetz eingebracht, Sie schon. Das ist die Situation.
[Beifall bei der LINKEN]
In diesem Falle ist es spannend, wie sich die FDP verhält. Ich würde mir natürlich wünschen, dass Sie die ganze Energie, die Sie aufwenden, um Ihren Parteivorsitzenden zu demontieren, in den Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung umleiten könnten. Das wäre sehr gut.
[Beifall bei der LINKEN Gisela Piltz (FDP): Ich dachte, wir sind im Parlament und nicht auf dem Parteitag, Kollege Korte!]
Eines will ich ganz ernsthaft sagen: In der Tat ist es besser - Kollege Stadler, damit haben Sie von der FDP recht, auch wenn Sie das nicht so explizit gesagt haben - wenn Sie gar nichts einreichen, als das zu übernehmen, was die Union möchte. Deswegen hoffe ich, dass Sie in diesem Punkt weiterhin nichts einreichen werden. Die Linke steht in dieser Frage an der Seite der FDP. Halten Sie stand, Kollege Stadler und Kollegin Piltz. Das ist richtig.
[Beifall bei der LINKEN - Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Lachen bei Abgeordneten der FDP - Gisela Piltz (FDP): Ist das jetzt eine Drohung oder ein Versprechen? - Paul Lehrieder (CDU/CSU): Das ist jetzt die Höchststrafe!]
Schließlich wollen wir sachlich Politik machen.
Lange Rede, kurzer Sinn: Der Antrag der Grünen ist selbstverständlich sinnvoll. Er ist angebracht und auf der Höhe der Zeit. Er findet unsere volle Unterstützung. Wir bleiben ganz klar dabei: Nein zur Vorratsdatenspeicherung
[Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU): Und Nein zu Europa!]
und Ja zu einer freien und aufmüpfigen Kommunikation. Das braucht diese Demokratie.
Schönen Dank.
[Beifall bei der LINKEN]