Jan Korte, MdB (DIE LINKE) (www.jan-korte.de)

Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ist völlig unangemessen

22.11.2010

Für Jan Korte ist es »keine Sternstunde der Demokratie«, im Fall der Terrorwarnungen völlig von Informationen der Geheimdienste und Sicherheitsbehörden abhängig zu sein. Dazu kommt: »Das Kernproblem ist, dass die Hardliner aus CDU/CSU und auch aus der SPD die Terrorwarnung und die verbreitete Unsicherheit nutzen wollen, um ihre Gesetzesverschärfungen, wie zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung durchzusetzen. Das ist verantwortungslos.«

Im Interview erinnert er an die Ursachen dafür, warum auch Deutschland in den Fokus von Terrorismus geraten kann: »Wer sich z.B. an völkerrechtswidrigen Kriegen beteiligt und eine Weltwirtschaftsordnung verteidigt, die Verelendung produziert, erhöht die Terrorgefahr im eigenen Land.«

Sie arbeiten im Reichstag. Wie ernst nehmen Sie die Berichte in der Presse, dass ein Anschlag dort bevorsteht?

Jan Korte: Leider sind Presse und Sicherheitsbehörden in solchen Situationen keine zuverlässigen Informationsquellen. Den Mitgliedern des Bundestages und den Mitarbeitern fehlen jedenfalls genauere Informationen. Es gibt offenbar eine Gefahr, aber wie hoch und substantiell sie ist, ist nur schwer einzuschätzen. Trotzdem wäre es natürlich vollkommen naiv anzunehmen, die Bundesrepublik bliebe auf Dauer von größeren Anschlägen verschont. Und da wäre der Reichstag natürlich ein naheliegendes Ziel. Ich persönlich glaube aber, dass es zahllose andere Ziele für Terroranschläge gibt, die nicht annähernd so gut geschützt sind wie der Bundestag.

Der Bundesinnenminister ist überall zu sehen und zu hören mit der Nachricht, dass die Hinweise auf einen Anschlag noch nie so konkret waren. Gleichzeitig erklärt er, dass wir uns keine Angst machen sollten. Ist das verantwortungsvoll?

Zunächst einmal kann man ja positiv bemerken, dass der jetzige Innenminister weniger martialisch und alarmistisch auftritt als seine Vorgänger. Wenn es eine konkrete Gefahr gibt, muss sie angezeigt werden. Der Haken an der Sache ist immer, dass die Informationsquellen grundsätzlich mehr als fragwürdig sind (mit gefälschten Geheimdienstinformationen wurde ja immerhin der Irakkrieg angefangen), angesichts der latenten Gefahr terroristischer Anschläge aber natürlich immer auch so ernst wie nötig genommen werden müssen.

Trotzdem: Politik und Öffentlichkeit hängen in solchen Situationen fast 100-prozentig am Tropf der Geheimdienste und Sicherheitsbehörden. Das sind nie Sternstunden der Demokratie. Das Kernproblem ist, dass die Hardliner aus CDU/CSU und auch aus der SPD die Terrorwarnung und die verbreitete Unsicherheit nutzen wollen, um ihre Gesetzesverschärfungen, wie zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung durchzusetzen. Das ist verantwortungslos.

Punktgenau gleichzeitig wurde vor Anschlägen gewarnt, fand die Innenministerkonferenz statt, wurde eine Bombe in einem Flugzeug gefunden, die sich dann als Attrappe herausstellte. Glauben Sie an Zufall?

Tja, bei Geheimdiensten und deren Umfeld, gibt es Zufälle und keine Zufälle. Man weiß es halt nicht. Man kann jedoch den Eindruck haben, dass De Maizière derzeit zwar auf allen Kanälen präsent, aber nicht immer auf der Höhe der Information ist. Warum der Innenminister im Fall der Bombenattrappe in Namibia erst nach 27 Stunden Entwarnung gab, steht zumindest im Raum. Wichtig ist, dass die Angst nicht um sich greift, da sie kein guter Ratgeber ist. Und in den Reihen der Innenminister sollten Minister wie Schünemann und Körting mal den Ball flach halten!

Der SPD-Innensenator Körting verstieg sich zu der Bemerkung, man solle die Behörden über »seltsam aussehende Menschen« unterrichten, die arabisch oder andere »Fremdsprachen sprechen, die wir nicht verstehen«. CDU-Innenminister Schünemann forderte ein Handyverbot für islamistische Gefährder. Wie interpretieren sie solche Äußerungen?

Der Vorschlag von Körting ist absurd und ein Aufruf zur Denunziation, Stigmatisierung und er gefährdet das Zusammenleben in der Gesellschaft. Körting und Schünemann sind diejenigen mit den dümmsten und gleichzeitig gefährlichsten Vorschlägen. Das sind klassische Trittbrettfahrer. Mit vollkommen unausgegorenen und verfassungswidrigen Vorschlägen versuchen sie sich in billigster, aber gerade deshalb gefährlicher Stimmungsmache. Für bestimmte Teile der Bevölkerung wird dadurch erst eine Gefahr geschaffen, die vorher nicht da war.

Daneben gibt es wieder mehr »gemäßigtere« Forderungen z.B. nach einem neuen Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Sind die Terrorwarnungen das Vehikel, jetzt die Sicherheitsgesetze durchzusetzen, die von der Bürgerbewegung zumindest gebremst wurden?

Es sind immer wieder dieselben Hardliner: Ich finde es einfach völlig unangemessen, wenn in dieser Situation die üblichen Law-and-Order-Vertreter sofort die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung fordern. Zur Erinnerung: Die letzte Regelung wurde komplett vom Bundesverfassungsgericht kassiert. In diesem Fall sollte DIE LINKE die Position der Bundesjustizministerin stärken, die zumindest hier versucht gegenzuhalten. Hier ist erst einmal Besonnenheit gefragt.

Eine Terrorwarnung ist doch keine Situation, in der abwägend diskutiert wird. Wir bleiben dabei: Die Vorratsdatenspeicherung ist überflüssig und sie ist ein Eingriff in die Bürgerrechte, der nicht akzeptabel ist und in keinem Verhältnis steht. Heribert Prantl hat gesagt: »Stark ist ein Rechtsstaat, der seine Prinzipien mit kühlem Kopf und mutiger Gelassenheit verteidigt. Stark ist ein Staat, der weiß, dass die Menschen- und Bürgerrechte die besten Garanten der inneren Sicherheit sind.« Recht hat er.

Trotz der Warnungen wird an zwei Castor-Transporten noch in diesem Jahr festgehalten. Wann ist die Belastbarkeitsgrenze der Polizei erreicht?

Die Chefs der Polizeigewerkschaften haben ja schon letzte Woche vor Überlastung gewarnt. Meines Erachtens ist die Grenze schon längst überschritten. In der derzeitigen Situation an weiteren Castor-Transporten festzuhalten und gleichzeitig sogar noch Stellenkürzungen bei der Polizei anzukündigen, ist reichlich abenteuerlich. Hier werden auf dem Rücken der Polizei die Interessen der Atombosse durchgesetzt.

DIE LINKE unterstützt deshalb die Forderung der Polizeigewerkschaft, keine Castor-Transporte mehr rollen zu lassen. Und wir brauchen endlich eine Entscheidung darüber, dass die riesigen Kosten weder von den Bürgerinnen und Bürgern allgemein, noch von denen bezahlt werden, die ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen. Bezahlen müssen endlich die Verursacher und das sind die Atomkonzerne.

Dann kann auch endlich mal darüber gesprochen werden, wofür und wo gutausgebildete Polizistinnen und Polizisten sinnvoll eingesetzt werden sollten.

Bei aller Kritik: Ist denn völlig undenkbar, dass es doch einmal zu einem terroristischen Anschlag in Deutschland kommt?

Nein, natürlich ist es nicht ausgeschlossen. Das haben die Anschläge von London und Madrid ja gezeigt. Ein absoluter Schutz vor terroristischen Angriffen ist in keiner Gesellschaft möglich. Außerdem tragen nur wenige der Maßnahmen, die seit dem 11.09.2001 zur Sicherheit getroffen wurden, dazu bei, Anschläge zu verhindern. Dafür sorgen eine ganze Reihe dafür, dass die latente Bedrohung bleibt.

Wer sich z.B. an völkerrechtswidrigen Kriegen beteiligt und eine Weltwirtschaftsordnung verteidigt, die Verelendung produziert, erhöht die Terrorgefahr im eigenen Land. Wir alle hoffen natürlich, dass es nicht dazu kommt. Und wir dürfen nicht zulassen, dass der demokratische Rechtsstaat, der unter großen Opfern in Jahrhunderten erkämpft wurde, aufgegeben wird.

www.linksfraktion.de, 22. November 2010

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