SWIFT – die unendliche Geschichte transatlantischer Datensammelwut
Seit Ende 2001 praktizieren die USA ein sogenanntes Programm zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus (TFTP), besser bekannt unter dem Namen des belgischen Dienstleiters SWIFT als Swift-Abkommen.
Die USA beanspruchen auf dieser Grundlage seither den ungehinderten Zugriff auf die Daten aller Finanztransaktionen von Millionen europäischer Bürgerinnen und Bürger, um sie in ihrem Departement of Homeland Security, in dem über 20 US-amerikanische Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten, auf Terrorismusfinanzierung hin zu analysieren. Am Anfang standen praktisch uferlose Speicherfristen und grenzenlose Datenweitergabe nach Lust und Laune der US-Terrorfahnder.
Für die Bürgerinnen und Bürger, die aus irgendeinem Grund Überweisungen und andere Finanzaktivitäten mit dem außereuropäischen Ausland abwickeln, ist das System vollkommen undurchschaubar. Niemand kann wissen, wann er oder sie durch eine Überweisung z.B. an eine humanitäre Organisation in Afghanistan oder durch Nutzung einer Bank, die solche Konten verwaltet, ins Visier der Fahnder gerät.
Geschichte Teil 1
Nur scheibchenweise kamen bis vor kurzer Zeit die Praktiken des Umgangs mit den Daten aus Finanztransaktionen ans Tageslicht. Verhandlungen zwischen den USA und der EU wurden erst aufgenommen, nachdem geheime Datenabschöpfungen öffentlich wurden, die das US-Finanzministerium außerhalb jeglicher Abkommen vorgenommenen hatte. Ausgangspunkt dabei war die behauptete und nie belegte grundsätzliche Notwendigkeit eines solchen Instruments.
Die verschiedenen Bundesregierungen forderten seither öffentlich zwar die datenschutzrechtliche Ausgestaltung der Praxis, nutzten derweil ungeniert die vom US-Finanzministerium und der US-Regierung gestreuten Informationen über angebliche Terrorfinanzströme. Das Interesse an einem eigenen europäischen System der Finanzdatenkontrolle trat immer deutlicher in den Vordergrund. Die zweifelhafte deutsche Position war immer, dass solche Verfahren nur datenschutzrechtlichen Mindeststandards genügen müssten, um auch in und für die Europäische Union nutzbar gemacht werden zu können.
Das ablehnende Votum des Europäischen Parlaments im Februar 2010 hat für einen kurzen Moment einen Weg eröffnet, das seit Ende 2001 bestehende Programm zum Aufspüren der Finanzierung von Terrorismus gründlich zu analysieren und endlich aus der Welt zu schaffen.
Der Bundestag hätte jetzt - nach fast zehn Jahren und in Übereinstimmung mit dem Europäischen Parlament - feststellen können, dass der bisherige Datenaustausch weder datenschutzkonform noch demokratisch vorgenommen wurde. EU und nationale Parlamente hätten den Nutzen solcher Datensammlungen prüfen können. Denn deren Nutzen für den Kampf gegen den Terrorismus wird zwar ständig behauptet, aber keineswegs nachvollziehbar belegt.
Geschichte Teil 2
Nichts dergleichen ist geschehen: Mit dem nie belegten Argument der täglich größer werdenden Sicherheitslücken wurden die Eilverhandlungen mit den USA jetzt zu Ende geführt. Alle drei großen Fraktionen des Europäischen Parlaments schlugen sich auf die Seite der Befürworter. Sozialdemokraten und Liberale taten dies zum großen Teil gegen eindeutige Forderungen ihrer nationalen Parteien.
Das jetzige Abkommen erlaubt weiterhin die Übermittlung großer Datenmengen auf Verdacht. Es bietet Informations- und Widerspruchsrechte nur nach US-Recht. Man kann sich bei den deutschen Datenschutzbehörden beschweren oder Widerspruch einlegen oder Informationen abfordern. Faktisch sind diese Behörden reine Briefkastenadressen, so der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar.
Das Abkommen arbeitet mit einer immer noch viel zu langen Speicherfrist von fünf Jahren. Datenschützer fordern allerhöchstens ein paar Monate. Datenschutzrechtliche Bedenken werden vor allem auch damit beruhigt, dass eine »unabhängige Persönlichkeit« die Einhaltung der Verabredung auf US-Seite kontrollieren, EUROPOL die Berechtigung der Datenanforderung der US-Seite überprüfen und erst dann den Transfer freigeben soll. Das heißt: Der eine Terrorfahnder kontrolliert den anderen auf Einhaltung der Rechte von Bürgerinnen und Bürgern.
Auch das neue Abkommen ändert nichts an der Tatsache, dass es sich hier um eine klassische Vorratsdatenspeicherung handelt, deren Zwecke unbestimmt, unkontrollierbar und veränderbar sind und die die Daten von Millionen unverdächtigter Bürgerinnen und Bürger nach nicht überschaubaren Rastern erfasst werden.
Bundesregierung und Europäische Kommission haben nicht nur den Nachweis nicht erbracht, dass ein derartiges Abkommen nötig ist, die Bundesregierung hat an keiner Stelle der Verhandlungen geprüft, ob sie mit diesem Abkommen gegen die Grundsätze des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung verstößt. Dort heißt es nämlich: »Durch eine vorsorgliche Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten wird der Spielraum für weitere anlasslose Datensammlungen auch über den Weg der europäischen Union erheblich geringer« (BVerfG, 1BvR 256/08 vom 2.3. 2010, Absatz -Nr. 218).
Bis zuletzt hat DIE LINKE versucht, die Bundesregierung auf eine Verhandlungslinie zu verpflichten, an deren Ende der Ausstieg aus diesem Abkommen und seiner Überwachungspraxis steht. Nichts hat sich in diese Richtung gerührt. Die Schwäche der europäischen Demokratie ist auch in diesem Fall der Überwachungswahn der nationalen Regierungen.
So wichtig war der Bundesregierung und den Ratsmitgliedern das Projekt, dass sie nahezu alle Mitwirkungs- und Unterrichtungsrechte der nationalen Parlamente und ihren Ausschüssen faktisch unterlaufen haben - durch einfache Terminplanung.
Das führt dann dazu - Sitzungswochen sind nicht Kalenderwochen - dass z.B. ein Antrag der SPD, der das Verhandlungsmandat der Bundesregierung im Rat mit festlegen will - im Ausschuss beraten wird, wenn die Schlussbefassung über das Abkommen stattfindet.
Zur weiteren Beschleunigung im Rat wird auch noch ein schriftliches Abstimmungsverfahren gewählt: über ein Wochenende wird zwischen den Regierungen die Beschlussfassung schriftlich abgewickelt.
Ziel unserer Anträge ist jetzt, die Bundesregierung aufzufordern, in der Schlussabstimmung im Rat das Abkommen abzulehnen. Einmal für die Fraktion/en mit einem traditionellen Antrag. Zum zweiten mit einer Stellungnahme des Ausschusses/Plenum nach Artikel 23.3.
linksfraktion.de, 7. Juli 2010