Jan Korte, MdB (DIE LINKE) (www.jan-korte.de)

Aufarbeitung uneingeschränkt ermöglichen, NS-Akten des BND offenlegen

01.02.2012
Jan Korte, DIE LINKE: Aufarbeitung uneingeschränkt ermöglichen, NS-Akten des BND offenlegen


Opfer, Angehörige und Öffentlichkeit haben ein Recht darüber, voll umfänglich zu erfahren, welche Rolle NS-Täter in der frühen Bundesrepublik einnahmen. Für den Bundesnachrichtendienst und seine Vorgängerin, die Organisation Gehlen, arbeiteten zentrale Figuren des Massenmordes. Eine exklusive Aufarbeitung der Akten durch einen kleinen Kreis auserwählter Wissenschaftler genügt weder öffentlichen, noch wissenschaftlichen Ansprüchen, zumal Forscher zur Kenntnis nehmen mussten, dass wichtige Akten noch in jüngster Zeit vernichtet wurden. Im Jahr 2012 kann und sollte es keinen Grund mehr geben, Akten mit NS-Bezug beim BND und im Kanzleramt geheim zu halten.

»Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bis jetzt wurden in der Tat, so finde ich, durchaus bedenkenswerte Beiträge geliefert.

[Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Das muss auch so bleiben!]

Ich glaube allerdings -  da stellt sich die Frage, worüber wir diskutieren - dass eine kritische Vergangenheitspolitik in der Geschichte der Bundesrepublik immer nur dann überhaupt stattgefunden hat, wenn marginalisierte Einzelpersonen das darf man nicht vergessen , wie in den 50er-Jahren, ihre Stimme erhoben haben. Ich denke an Martin Niemöller und Eugen Kogon, Fritz Bauer nicht zu vergessen. Die standen auf einsamem Posten. In der Tat gab es also diese Gegenposition. Das dürfen wir nicht vergessen.

Wenn man an einem Tag wie diesem an die Opfer und ihre Angehörigen denkt, darf man auch nicht über die Täter, die es massenhaft gegeben hat, schweigen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Opfer, ihre Angehörigen, die Wissenschaft und die gesamte Öffentlichkeit ein Recht darauf haben, vollumfänglich zu erfahren, was aus diesen Tätern geworden ist. Sie sind nämlich fast alle nicht vor Gericht gestellt worden, fast alle ihre Straftaten sind nicht verfolgt worden.

In den letzten zwei Jahren kamen Namen und Vorgänge ans Tageslicht. Ich will einige Namen nennen: Adolf Eichmann, Alois Brunner, Klaus Barbie, Walter Rauff. Diese Massenmörder das muss man sich einmal vorstellen standen zeitweise im Sold des BND oder wurden von ihm gedeckt. Zum Teil glich damals der BND bzw. seine Vorläuferorganisation, die Organisation Gehlen, einer einzigen großen Resozialisierungszentrale für schwerstkriminelle Massenmörder. Das waren nicht irgendwelche Mitläufer, sondern das waren zentrale Figuren in der Vernichtungsmaschinerie der Nazis. Das waren keine Ausnahmen, denn es war die Zeit der Rückkehr der alten Eliten in Amt und Würden.

Es ist kein Zufall, dass der große hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer - ich habe ihn eben genannt - seine umfangreichen Ermittlungsergebnisse zum Fall Eichmann eben nicht einer deutschen Behörde übergeben hat, sondern dass er - man kann sich das heute kaum mehr vorstellen - mit einem Koffer nach Israel geflogen ist, um sie seinen israelischen Kollegen zu übergeben.

[Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht seinen Kollegen, sondern dem Mossad!]

So ist die Situation damals gewesen. Das war der große Frieden mit den Tätern. Damit hat Ralph Giordano sehr recht.

Seit einigen Jahren  -  Sie haben eben Norbert Frei und andere genannt - gibt es in der Tat eine hervorragende Forschungslage zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik. Es ist gut, dass es sie gibt. Vor allem viele junge Wissenschaftler sind auf diesem Feld aktiv. Ich glaube allerdings - deswegen ist unser Antrag notwendiger denn je - dass die Politik der Wissenschaft sehr hinterherhinkt, was den Willen zur Erforschung und zur Aufarbeitung angeht. Deswegen dieser Antrag.

[Beifall bei der LINKEN]

Es geht ganz konkret um die Gewährung eines freien Zugangs zu all den betreffenden Akten des Bundesnachrichtendienstes und übrigens auch des Kanzleramtes, um das deutlich zu sagen. Auch dort gilt es, einiges aufzuarbeiten, was diese Zeit angeht.

Ich will zwei Gründe nennen, warum dieser Antrag ganz praktisch für Historiker und übrigens auch für die Historikerkommission von Vorteil sein kann. Wir haben mitbekommen, dass  - am 29. November 2011 ging es durch die Presse - offenbar 253 Personalakten vernichtet worden sind. Das ist ein irrer Vorgang. Man setzt eine Historikerkommission ein, die das aufarbeiten soll, und 253 Akten werden vernichtet. Was ist denn da bitte schön los? Das Kanzleramt geht davon aus - das wurde auf unsere mehrfache Nachfrage erklärt - dass offenbar 1996 und 2007 Akten vernichtet wurden, die dieser Kommission nun fehlen.

Ganz konkret gibt es offenbar den Fall von 1994, als 581 Seiten der Akte von Alois Brunner - das war die rechte Hand von Adolf Eichmann - vernichtet worden sind. Man muss an einem Tag wie dem heutigen im Deutschen Bundestag danach fragen, warum diese Akten vernichtet wurden, ob das jemand politisch angeordnet hat und wer dafür die politische Verantwortung trägt. Auch das muss gefragt werden.

[Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN]

Es gibt zu diesem Thema Berichte der Historikerkommission und Artikel im Spiegel und in der Bild-Zeitung, die im Monatsrhythmus veröffentlicht werden. Wenn wir parlamentarische Anfragen stellen oder wenn Historiker Nachfragen zu diesem Thema stellen, dann gibt es zu oft die Auskunft, dass die Akten entweder nicht gefunden werden können oder dass sie vernichtet worden sind. Angesichts dessen muss sich auch die Historikerkommission - wenn sie denn eine unabhängige Kommission sein will - fragen, wie lange sie diese Zustände eigentlich noch akzeptieren will.

[Beifall bei der LINKEN]

Ich glaube, dass das Kanzleramt als politisch verantwortliche Instanz hier in der Tat am Zuge ist, diesen Historikern und der Öffentlichkeit einen freien und völlig unbehinderten Zugang zu gewähren.

Alle, die an diesem Thema interessiert sind, sollten die Mahnung des unumstritten hervorragenden Zeithistorikers Michael Wildt zur Kenntnis nehmen. Er fragte im Spiegel im Januar 2012, ob die ganze Konstruktion von - ich zitiere - »sicherheitsüberprüften Kommissionen mit streng begrenztem Aktenzugang« eigentlich einer unabhängigen und kritischen Wissenschaft angemessen ist. Ich glaube, er hat mit dieser Frage sehr recht.

[Beifall bei der LINKEN]

Ich schließe mit zwei Einzelfällen. Schon 1952, so geben es die bis jetzt aufgearbeiteten Akten her, wusste der BND offenbar, wo sich Adolf Eichmann aufhält - 1952! Noch etwas will ich in diesem Zusammenhang sagen: 1953 wurde Hans Globke Kanzleramtsminister. Auch das kann man in so einem Prozess nicht außen vor lassen.

Klaus Barbie wurde beim BND geführt, weil er - ich darf zitieren - »kerndeutscher Gesinnung« und ein »entschiedener Kommunistengegner« sei. Das sind doch Zustände, die uns hier alle gemeinsam über alle Fraktionsgrenzen hinweg zutiefst empören sollten.

[Beifall bei der LINKEN]

Ich glaube, unser Antrag ist aktueller denn je. Seine Verabschiedung kann für die Historikerkommission eine politische Unterstützung sein, um sich gegenüber denjenigen, die offenbar nicht alles herausgeben wollen, politisch zur Wehr zu setzen, und um wirklich Unabhängigkeit zu generieren.

Ich habe mit Ralph Giordano angefangen und will auch mit ihm enden. Er hat in seiner berühmten Streitschrift die Rückkehr der Funktionseliten als »die zweite Schuld« bezeichnet. Wenn wir jetzt mit großer Mehrheit dafür sorgen würden, dass alles, alle Akten und alle personellen Kontinuitäten, auf den Tisch kommt, dann könnten wir zumindest ein kleines Stückchen dieser zweiten Schuld abzutragen beginnen. Es ist jetzt, im Jahre 2012, wirklich an der Zeit, alles auf den Tisch zu legen und Verzögerungen und Behinderungen endlich zu unterlassen.

Danke.
[Beifall bei der LINKEN]

http://www.das-parlament.de/2012/05-06/Innenpolitik/37608389.html

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