BND-Akten zum Thema NS-Vergangenheit offenlegen
Jan Korte kritisiert in seiner Rede zum Antrag der Fraktion DIE LINKE »Alle BND-Akten zum Thema NS-Vergangenheit offenlegen« (Drs 17/1556) das Mauern der Bundesregierung und des Bundesnachrichtendienstes gegen die vollständige Offenlegung der Akten über die Beschäftigung von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern im BND, sowie über dessen Vorgehen im Fall Eichmann. Heute, fast auf den Tag genau 65 Jahre nach dem Ende des Krieges müsse mit solch einer Behinderungspraxis endlich Schluss sein.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
am kommenden Samstag jährt sich zum 65. mal der Jahrestag der Befreiung vom NS-Faschismus. Damit endete auch die industrielle Vernichtung von 6 Millionen Jüdinnen und Juden. Der Holocaust war ein Zivilisationsbruch und er wurde arbeitsteilig, bürokratisch und mit bis ins Detail ausgefeilten Fahrplänen in die Todesfabriken durchgeführt. Und klar war auch: In diesen größten Massenmord aller Zeiten waren viele, sehr viele verwickelt und noch mehr wussten, was geschah - spätestens seit Ende 1941. Vorangegangen war eine beispiellose, systematische Entrechtung von Jüdinnen und Juden, nach biologischen Kriterien, die schließlich in den Massenmord führte.
Mittlerweile gibt es eine hervorragend erschlossene Quellenlage über den Nationalsozialismus, den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust. Besonders das Standardwerk Raul Hilbergs hat die Einzigartigkeit des Holocaust dokumentiert. In den letzten Jahrzehnten rückte dementsprechend der Umgang mit dem NS-Regime in der Bundesrepublik in den Fokus der Wissenschaft und eben auch der Politik. Der heute vorliegende Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, »Alle BND-Akten zum Thema NS-Vergangenheit offenlegen« macht deutlich, dass die Politik der Wissenschaft hinterherhinkt. Die massenhafte Verstrickung von Behörden und Personen in die Verbrechen des Nationalsozialismus und ihre spätere Rolle in Politik und Verwaltung der Bundesrepublik ist in sehr vielen Teilen erforscht und belegt. Dies geschah allerdings nicht freiwillig: Jede kritische Erschließung, jede juristische Verfolgung von NS-Verbrechen und jede öffentliche Auseinandersetzung musste stets erstritten werden. Und das hatte Gründe! Der Politikwissenschaftler Prof. Joachim Perels hat die fünfziger Jahre beschrieben: »Die Signatur der frühen fünfziger Jahre wurde aber überwiegend, wie gerade neuere Forschungen gezeigt haben, von einer Politik des Vergessens, vor allem der Staatsverbrechen und der Abwehr ihrer Ahndung, bestimmt, die von der evangelischen und katholischen Kirche, von der Mehrheit der Bevölkerung und der öffentlichen Meinung getragen wurde.« Dementsprechend wurde fast kein NS-Richter verurteilt, die meisten schwer NS-belasteten Beamten kehrten in die Verwaltungen zurück und viele Gestapobeamte bildeten das Personal von Polizei und Ermittlungsbehörden.
Die Zahl der inhaftierten Kriegsverbrecher sank von 1950 bis 1952 von 3.400 auf 1.258 Personen, wie der Historiker Norbert Frei belegt. Schon zwei Jahre nach Gründung der BRD waren zum Beispiel 66 Prozent der führenden Beamten des Auswärtigen Amtes ehemalige NSDAP-Mitglieder, mehr als 25 Prozent der Abteilungsleiter der Ministerien ebenso. Globke und Oberländer waren nur die Spitze des Eisberges. Einen wesentlichen Teil der Funktionseliten des NS-Regimes, der Wehrmacht, der Justiz und der Wirtschaft nahmen wichtige Personen und Schlüsselstellungen im neuen Staat ein. Die Hauptfloskel fast aller in den Terror verstrickten lautete: Hitler war es! Ein Schuldeingeständnis, Reue oder gar der Wille die Verbrechen und die individuelle Verstrickung politisch und juristisch aufzudecken: Leider Fehlanzeige.
Diese ausgewählten Punkte, liebe Kolleginnen und Kollegen, machen deutlich wie schwer die kritische Aufarbeitung des NS-Regimes, insbesondere was ihre Funktionseliten und deren Rolle in der Bundesrepublik angeht, gewesen ist und welche Hindernisse hiergegen aufgebaut wurden. Es zeigt, dass eine Auseinandersetzung, Forschung und politischer Entscheidungswillen notwendig ist.
Nachdem beispielsweise das BKA mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Verstrickung von Mitarbeitern in das NS-System eine große Resonanz erfahren konnte, geht es im vorliegenden Antrag um die Rolle des BND und der heutigen Frage: Warum mauert die Bundesregierung und der BND bei der vollständigen Offenlegung der Akten, in denen es um die Verstrickung von NS-Tätern bei der Gründung der »Organisation Gehlen«, der Vorläuferorganisation des BND geht? Liebe Kolleginnen und Kollegen: Heute, fast auf den Tag genau 65 Jahre nach dem Ende des Krieges muss mit solch einer Behinderungspraxis endlich Schluss sein! Es sollte in diesem Haus Einigkeit darüber herrschen, dass die rückhaltlose Aufarbeitung der NS-Vergangenheit zentral für unsere Demokratie ist und dass sie in den letzten 60 Jahren viel zu zögerlich und langsam voranging! Wir sollten heute dafür plädieren, alle Beschränkungen der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Geschichte des BND in Zusammenhang mit personellen Kontinuitäten zum NS-Regime und seiner Rolle in der Bundesrepublik bei der Verfolgung von NS-Tätern, aufzuheben!
In diesem Zusammenhang ist von besonderem Interesse ob und welche Rolle der BND im Fall Eichmann spielte. Es kann ja kein Zufall sein, dass der bewundernswerte hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer seine Ermittlungsergebnisse eben nicht mit deutschen Stellen und Geheimdiensten austauschte. Bauer reiste nach Israel, um sich dort mit dem Generalstaatsanwalt Haim Cohn auszutauschen, was schließlich zu konkreten Schritten führte. Diese Umstände und die Fragen, ob deutsche Stellen und Dienste gegen eine Verfolgung Eichmanns agierten muss endlich aufgeklärt werden! Der Bundestag ist es auch mutigen Menschen wie Fritz Bauer schuldig, alles offenzulegen, was diese Frage aufklären kann. Offenbar hatte der BND damals Informationen über Eichmann und verschwieg sie gegenüber den Justizbehörden!
Die Autorin Irmtrud Wojak schreibt über Bauers Ermittlungen gegen Eichmann: »Fritz Bauer informierte den israelischen Geheimdienst und seinen Regierungschef Georg August Zinn über den Aufenthaltsort Eichmanns - niemanden sonst. Fürchtete er, dass durch offizielle Maßnahmen Eichmann beizeiten gewarnt worden und wiederum entflohen wäre?« Und sie stellt fest: »Nicht zuletzt vertrat mit Werner Junkers ein ehemaliger Nationalsozialist, der schon im Auswärtigen Amt der NS-Zeit tätig gewesen war, die Deutsche Botschaft in Buenos Aires.« Diese Fragen und Zusammenhänge müssen endlich offengelegt werden!
Werte Kolleginnen und Kollegen, all diese Fragen müssen beantwortet werden. Wir sollten gerade auch den vielen jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit geben, die Geschichte weiter aufzuarbeiten. Daher enthält der heute eingebrachte Antrag folgende Kernforderungen:
1. Die Bundesregierung wird aufgefordert den freien Zugang zu BND-Akten, die im Zusammenhang mit personellen Kontinuitäten zum NS-Regime stehen, zu gewährleisten.
2. Alle Akten in Zusammenhang mit der juristischen Verfolgung von NS-Verbrechen und besonders dem Fall Eichmann der Wissenschaft und Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Die Bundesregierung sollte ein Interesse an einer weiteren kritischen Aufarbeitung dieses Kapitels der Geschichte haben. Der vorliegende Antrag ist ein weiterer Schritt für eine kritische Auseinandersetzung beim Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zugleich kann er die Möglichkeit bieten zu diskutieren, wie mit der NS-Zeit in der Bundesrepublik umgegangen wurde und wird. Und er ist als Aufforderung zu verstehen alle noch nicht untersuchten Verstrickungen und verdrängten Zusammenhänge in staatlichen Stellen und der Wirtschaft aufzudecken.
Vielen Dank.