Jan Korte, MdB (DIE LINKE) (www.jan-korte.de)

»Kriegsverrat» – ein letztes Tabu des Umgangs mit dem Nationalsozialismus

05.08.2008

Die Linksfraktion im Bundestag hat Ende 2006 einen Gesetzentwurf mit dem Titel »Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (2. NS-AufhGÄndG)» eingebracht. Was verbirgt sich dahinter?

In dem Antrag, der mit dem bekannten Wehrmachtsdeserteur und Vorsitzenden der Vereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz e.V. Ludwig Baumann erarbeitet wurde, geht es um die Rehabilitierung sogenannter Kriegsverräter. Dahinter verbergen sich Menschen, zumeist einfache Soldaten, die beispielsweise zu den Alliierten überliefen, die Flugblätter innerhalb der Wehrmacht verteilten und zur Beendigung des Krieges aufriefen, die sich für Kriegsgefangene einsetzten, Mitglieder der Widerstandsgruppe Rote Kapelle waren oder die versuchten, Juden zu retten. Diese Verurteilten wurden bis heute nicht rehabilitiert – auch nicht im Zuge der bitter erkämpften Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure im Jahre 2002. Mit der aktuell erschienenen Studie von Wolfram Wette und Detlef Vogel liegt nunmehr auch eine wissenschaftliche Untersuchung über Anwendung, Funktion und die Opfer des Kriegsverratsparagraphen im Militärstrafgesetzbuch vor. Wette und Vogel weisen dezidiert nach, dass es sich beim sogenannten Kriegsverrat um entgrenztes Terrorrecht des NS-Regimes handelte, zu dem eben auch die Wehrmacht gehörte. Sie schreiben: »Während die übrigen Landesverrats-Bestimmungen des Strafgesetzbuches qualifizierte Tatbestände beschreiben, enthält der – für die 1934 vorgenommene Neudefinition des Kriegsverratsentscheidende – § 91 b die unscharfen Begriffe ‚Vorschub leisten’ und ‚Nachteil zufügen’. Mit der damit ermöglichten ‚elastischen’ Gesetzesanwendung eröffneten diese den Wehrmachtsrichtern einen unbegrenzten Handlungsspielraum.» Kurz: Die Bestimmungen zum Kriegsverrat waren zentrales Terror- und Willkürinstrument der Wehrmachtsjustiz zur Ausschaltung von Kriegsgegnern, Disziplinlosigkeit, Ungehorsam und abweichenden politischen Verhalten. Daher gehört die Verfolgung von Kriegsverrätern durch die NS-Militärjustiz insgesamt zum Arsenal der Terrorherrschaft und der Durch- und Umsetzung des Vernichtungskrieges. Es kannnicht oft genug unterstrichen werden, dass die NS-Militärjustiz Teil der NS-Herrschaft gewesen ist und aus ihr nicht – wie viele Apologeten es bis heute versuchen – herausgelöst werden kann. Der hannoversche Politikwissenschaftler Prof. Dr. Joachim Perels hat dies klar an einem Urteil des Bundessozialgerichtes nachgewiesen: »Es (das Gericht, J.K.) erkennt, dass die – als Teil der diktatorischen Exekutivgewalt fungierende – Militärgerichtsbarkeit wesentlich keinen rechtsstaatlichen Charakter besaß. Das Gericht charakterisiert die Militärjustiz mit dem Schlüsselbegriff Fraenkels als Teil des Maßnahmenstaates, der individuelle und kommunikative Rechtspositionen zu politischen Machtzwecken beliebig beseitigen kann.» Bevor DIE LINKE ihren Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht hat bemühte sich besonders Ludwig Baumann bei der Bundesregierung um eine pauschale Rehabilitierung der »Kriegsverräter». In einem Brief vom 31. März 2006 an Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) schrieb Baumann: »Sehr geehrte Frau Ministerin, kein Straftatbestand wurde während der NS-Zeit so grausam verfolgt wie Kriegsverrat (Landesverrat im Krieg) des einfachen Soldaten. Es wurden ausschließlich Todesurteile verhängt und vollstreckt.» Damit fasst Baumann prägnant die Problematik und politische Handlungsnotwendigkeit für den Gesetzgeber zusammen und bittet die Ministerin zu bedenken: »Dabei lässt sich nicht ernsthaft bestreiten, dass Millionen Zivilisten, KZ-Insassen und Soldaten nicht hätten zu sterben brauchen, wenn mehr Kriegsverrat begangen worden wäre.» Mit Schreiben vom 25. April 2006 antwortete die SPD-Ministerin auf den Brief von Ludwig Baumann wie folgt: »Ausdrücklich nicht aufgenommen (in das Gesetz von 2002, J.K.) wurden Straftatbestände, bei denen die Aufhebung des Urteils ohne Einzelfallprüfung nach wie vor nicht verantwortbar erschien. Hierzu gehörte vor allem Kriegsverrat (§ § 57, 59, 60 MStGB). Der in Fällen des Kriegsverrats möglicherweise gegebene Unrechtsgehalt (nicht ausschließbare Lebensgefährdung für eine Vielzahl von Soldaten) erschien äußerst hoch, so dass auch der Umstand, dass sie während eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges begangen worden sind, keinen Anlass zur pauschalen Rehabilitierung begründen konnte.» Jeglicher Beleg für diese Behauptungen fehlt. Und logischerweise muss gefragt werden, was überhaupt rechtens oder legitim an dem Terrorparagraphen »Kriegsverrat» sein könnte. In einem Beitrag für die Frankfurter Rundschau vom 16. Juni 2007 hat Wolfram Wette dies nochmals klargestellt: »Für Kriegsverrat führte die nationalsozialistische Reichsregierung generell die Todesstrafe ein. Wir haben es bei den ab 1934 gültigen Kriegsverrats-Bestimmungen also mit radikalisiertem NS-Recht zu tun, und nicht mit in gleicher Weise schon früher gültigem Kriegsrecht.» Es geht also bei den Bemühungen um die Rehabilitierung – auch und gerade mit Blick auf die Vergangenheitspolitik in der Geschichte der Bundesrepublik – der fast vergessenen Opfer der NS-Militärjustiz um ihre gesellschaftliche Anerkennung und Würdigung. Gleichzeitig geht es aber auch darum politisch deutlich zu machen, dass weder die Wehrmacht und insbesondere die Militärjustiz aus der Verantwortung zu entlassen ist. Der seit den fünfziger Jahren immer wieder versuchten Reinwaschung der Wehrmacht gilt es auch noch im Jahre 2008 politisch und wissenschaftlich entgegenzutreten. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung die NS-Militärjustiz insgesamt als Teil des »gesetzlichen Unrechts» zu erkennen. Joachim Perels fasst diese politische und sittliche Maxime trefflich zusammen: »Gefordert ist die strafund völkerrechtlich begründete Distanz zu dem in Normen und Befehlen gekleideten Weisungssystem der Wehrmacht, das weitgehend einer maßnahmen-staatlichen Logik der Vernichtung der Rechtspositionen von Kriegsgegnern und Zivilisten unterlag und daher als Bezugsgrundlage für die Beurteilung von Tötungsaktionen ausscheiden musste.» Dass diese Handlungsnorm offensichtlich im Bundestag noch nicht mehrheitsfähig ist, zeigte die erste Lesung des Gesetzentwurfes am 10. Mai 2007. Der Redner der CDU/CSU-Fraktion Norbert Geis machte schon am Anfang seiner Rede klar, dass es für die »Kriegsverräter» keine Gnade geben kann: »Man fragt sich natürlich, warum mehr als 60 Jahre nach Ende der Nazizeit immer noch die Forderung kommt, Urteile aus dieser Zeit pauschal aufzuheben. Pauschal heißt, ohne Prüfung des Einzelfalls, ohne sich die Frage zu stellen, ob einzelne Urteile damals bei allen Abstrichen, die man machen muss, nach den damaligen Umständen nicht doch rechtens gewesen sein könnten.» Anstatt anzuerkennen, dass es sich um einen Skandal handelt, dass erst 60 Jahre später diese barbarischen Unrechtsurteile diskutiert werden, präsentiert sich der Abgeordnete Geis in alter Filbinger-Pose (»Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein»). Er sagt hier nichts anderes, als dass es offensichtlich »bei allen Abstrichen» eine Zahl von Urteilen gegen Kriegsverräter gegeben haben muss, die rechtens, legitim gewesen sind. Und es zeigt deutlich wie weit es mit der kritischen Vergangenheitsaufarbeitung heute steht. Damit aber nicht genug. Geis fährt fort: »Wer Kriegsverrat beging, hat oft in einer verbrecherischen Weise den eigenen Kameraden geschadet, ja sie oft in Lebensgefahr gebracht, in der sie dann auch umgekommen sind, dies zum Beispiel dann, wenn der Verräter zu den feindlichen Linien überwechselte und, um sich dort lieb Kind zu machen […].» Offensichtlich dominieren nach wie vor die national-konservativen Kreise die Geschichtsdebatten in der Union. Die Geringschätzung von widerständigem Verhalten, die offenkundige Negation, dass der deutsche Angriffs- und Vernichtungskrieg gerade dadurch gekennzeichnet war, dass er alle Rechtsregeln und menschlichen Mindeststandards systematisch außer Kraft setzte – all dies scheint im Bundestag des Jahres 2007 nicht mehrheitsfähig zu sein. Jörg van Essen, Vertreter der FDP in dieser Debatte, argumentierte in dieselbe Richtung. Die SPD eierte herum und vertrat die zuvor skizzierte Auffassung der Bundesjustizministerin. Trotz dieser erschreckenden Debatte tut sich etwas: Sowohl der letzte Evangelische Kirchentag, als auch EKD-Vorsitzender Bischof Huber haben sich deutlich für die Rehabilitierung der Kriegsverräter ausgesprochen. Immerhin: Aufgrund des öffentlichen Drucks beschloss der federführende Rechtsausschuss erstmal eine Sachverständigenanhörung durchzuführen. DIE LINKE hat bereits Ludwig Baumann als Sachverständigen benannt. Um über dieses »Letzte Tabu» weiter aufzuklären, wird die Rosa-Luxemburg-Stiftung hierzu am 5. Mai eine Veranstaltung durchführen. Mit der Veranstaltung und diversen Publikationen, besonders der Studie von Wette/Vogel soll versucht werden in Politik und Gesellschaft das ganz praktische Anliegen, die Rehabilitierung der Kriegsverräter, obgleich wohl keiner mehr lebt, durchzusetzen und damit politisch deutlich zu machen, dass man ihre Opfer und ihren Mut für Menschlichkeit, gegen den Krieg und für eine friedliche Welt anerkennt und ihnen damit ihre Würde zurückgibt, die ihnen nach 1945 abermals – oft von den gleichen Nazi-Richtern – verweigert wurde. Am 15. Mai 1997 verabschiedete der Bundestag einen Antrag, in dem er richtigerweise feststellte: »Der Zweite Weltkrieg war ein Angriffs- und Vernichtungskrieg, ein vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen.» Daher gilt es jetzt im Bundestag und der Gesellschaft dem Ausruf des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer »Unrecht kennt keinen Verrat» politische Wirklichkeit für die »Kriegsverräter» werden zu lassen. Endlich. Nach über 60 Jahren.Jan Korte – Jg. 1977; Politikwissenschaftler M.A.; Mitglied des Parteivorstandes DIE LINKE seit 2007; Mitglied des Bundestages seit 2005.

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