LINKE lehnt Kleine Volkszählung ab
Rede zu Protokoll vom 8.11.2012 zu TOP 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005 (Drucksache 17/10041)
Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,
mit dem hier heute zur Abstimmung stehenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005 soll die erneute Verlängerung des Mikrozensus um weitere vier Jahre beschlossen werden.
Das Gesetz aus dem Jahre 2005, das die Durchführung des Mikrozensus bis zum Jahre 2012 vorgesehen hatte, wurde bewusst befristet, »um regelmäßig das Erhebungsverfahren prüfen und die Merkmale an den aktuellen Informationsbedarf anpassen zu können". Von einer Prüfung des Erhebungsverfahrens und dessen Ergebnissen ist allerdings bislang nichts bekannt geworden. Auf diesen Punkt komme ich später noch einmal zurück.
Die heute zur Abstimmung stehende Änderung besteht zwar lediglich in der Ersetzung der Jahreszahlen "2012" durch "2016" - weitere Änderungen sind diesmal nicht vorgesehen – hat aber durchaus weitreichende Auswirkungen. So heißt es im Erläuterungsteil des Gesetzes: »Wie bisher werden daher jährlich 800 000 Bürgerinnen und Bürger zu Auskünften auf Fragen verpflichtet, deren Beantwortung je Fall rund eine halbe Stunde dauert. Zudem werden jeweils 200 000 Bürgerinnen und Bürger zu Auskünften auf weitere Fragen verpflichtet, deren Beantwortung rund 15 Minuten dauert.» Das klingt offenbar in ihren Ohren relativ harmlos, ist es unseres Erachtens aber nicht. Denn wenn man sich der Beantwortung der Fragen verweigert, wird man mit Zwangsgeldern von bis zu 5.000 Euro bzw. Beugehaft bestraft.
Meine Fraktion hatte bereits das Ausgangsgesetz abgelehnt, weil seine Notwendigkeit nach unserer Meinung und der Auffassung vieler Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler, nicht konkret nachgewiesen, der Umfang der Datenabfrage ausufernd und teilweise unverständlich bis diskriminierend gewesen ist. Letzteres - beispielsweise die Abfrage der Geburtenfolge bei Frauen oder Religionsgemeinschaften - ist zwar freiwillig anzugeben, die Abfrage wird dadurch aber nicht plausibler.
Kritisch beurteilen wir auch, dass der Bürgerinitiative ‚Arbeitskreis Zensus‘ im Rahmen ihres Engagements zur letzten Volkszählung, dem "Zensus 2011", offenbar eine Reihe von Berichten über unwürdige Befragungspraktiken im Rahmen des Mikrozensus zugetragen wurden und dies zumindest keine öffentlich wahrnehmbare Diskussion, geschweige denn eine Änderung der kritisierten Praxis, zur Folge hatte. Der Arbeitskreis warnte in seiner Stellungnahme vom Sommer 2012 ebenfalls vor einem »bürokratischen Automatismus der alle vier Jahre stattfindenden Verlängerung der Gesetzesgrundlage». Und richtig ist, dass von einer unabhängigen und gründlichen Überprüfung der Erhebungsverfahren und Merkmale sowie ihrer entsprechenden Anpassung bislang nichts bekannt geworden ist. Dies ist schon extrem verwunderlich. Denn es hätten sich ja durchaus Möglichkeiten ergeben können, auf bestimmte Daten zu verzichten oder die Verfahren zu vereinfachen. Immerhin werden beim 59 Seiten langen Fragebogen des derzeitigen Mikrozensus 200 Fragen und zahlreiche detaillierte persönliche Angaben zwangsweise abgefragt. Aus bürgerrechtlicher Sicht wäre also eine Überprüfung des Erhebungsverfahren insbesondere hinsichtlich seiner Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit, selbst wenn es durch die Befristung nicht eh vorgesehen wäre, unbedingt angebracht. Aber wie gesagt, von einer Überprüfung war und ist keine Rede bei ihnen.
So scheinen diese Fortsetzung der Zwangserhebung und das Bekenntnis zu einer Überprüfung für die Bundesregierung reine Formalitäten zu sein - ein Verfahren, das den tatsächlichen Belastungen nicht gerecht wird.
Denn es geht dabei nicht um die von der Regierung und dem Normenkontrollrat penibel ausgerechnete zeitliche Belastung für jede Bürgerin und jeden Bürger, sondern um die Belastung durch massive Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht. Darüber hinaus ist auch die Kostenverteilung – der Bund trägt mit 2 105 070 Euro gerade einmal ein Zehntel der Kosten der Länder in Höhe von 21 610 193 Euro - nicht so ganz einleuchtend ohne einen Nachweis der Nützlichkeit.
Die Befristung hätte für alternative Überlegungen und Verfahren zur Bedarfsplanung genutzt werden können - daran bestand und besteht offensichtlich auf Seiten der Bundesregierung keinerlei Interesse.
Oder warum wurden keine Ergebnisse von Überprüfungen der Verfahren und des Datenumfanges im Parlament ausführlich diskutiert? Auch ist nicht bekannt, ob und wenn ja welche Änderungen in dem neu-aufgelegten Fragebogen für die Jahre bis 2016 vorgenommen wurden und welche Veränderungen des Hochrechnungsrahmens sich nach dem Zensus 2011 ergeben haben und inwiefern der Mikrozensus daran ggf. angepasst wurde. Wir wissen ebenfalls nicht welche Überlegungen im Statistischen Bundesamt zur Weiterentwicklung des Systems der Haushaltsstatistiken angestellt werden.
Allein schon aufgrund dieser mehr als unbefriedigenden Informationslage könnten wir diesem Anschlussgesetz nicht zustimmen. Solange kein klarer und verständlicher Nachweis über Sinn, Nützlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Befragungen vorgelegt worden ist, muss der Mikrozensus ausgesetzt werden. Wir erwarten außerdem, dass den Vorwürfen der Bürgerrechtler über einen unwürdigen Umgang der Statistikämter mit den Befragten nachgegangen wird und es, sollten sich die Berichte bestätigen, auch zu entsprechenden Konsequenzen kommt. Ein Staat, der auf unwillige Bürgerinnen und Bürger bei solchen Fragen mit der Androhung von Verwaltungszwang reagiert, bekommt vielleicht irgendwann irgendwelche Auskünfte – beliebter werden solche Maßnahmen dadurch aber nicht und auch die Verlässlichkeit erzwungener Auskünfte bleibt zweifelhaft.
Meine Fraktion wird daher dem Gesetz heute hier nicht zustimmen.
Vielen Dank