Was tun? Wenig!
Erschienen in Jungle World 20/2013 am 16. Mai 2013
Als ich 14 war, habe ich die wichtigste Prüfung meines Lebens bestanden: die Angelprüfung. Denn das Angeln ist eine überaus sympathische und sinnvolle Freizeitbeschäftigung, die einen davon abhalten kann, blödes Zeug zu machen. Da wir in Deutschland sind, kann man natürlich nicht einfach angeln gehen: Man muss einen Lehrgang besuchen, eine Prüfung ablegen, zum Amt gehen, sich dort den Fischereischein besorgen und dann braucht man besondere Erlaubnisscheine für die unterschiedlichen Gewässer – oder man wird Mitglied in einem Angelverein. So wie ich. Diese ganzen Auflagen sind übertrieben und von uns Linken zu kritisieren.
In Ostdeutschland wurde übrigens die solidarische Idee »Eine Karte für alle Gewässer« in vielen Regionen beibehalten. Neben den guten Wahlergebnissen der Linkspartei spricht also auch die solidarische und unbürokratische Angelphilosophie für den Osten.
Wenn man alles geklärt und bestanden hat und endlich voller Vorfreude angeln geht, hat man viele Vorteile gegenüber jenen, die nicht angeln gehen und leider keinen Zugang zu dieser Möglichkeit des Wenigtuns finden. Vorab sollte für die nicht angelnden Genossinnen und Genossen eines klargemacht werden: Natürlich geht man nicht nur angeln, um eine Mahlzeit zusammenzubekommen. Das ist zwar die eigentliche Überlegung, aber meistens fängt man nichts. Oder aber man fängt beispielsweise einen mittelgroßen Barsch, der nicht für eine komplette Mahlzeit reicht. Daher geht es beim Angeln neben der Essensbeschaffung auch um anderes.
Zunächst einmal hat man seine absolute Ruhe und kann den Ort der Angelei so auswählen, dass man keine anderen Menschen trifft. Diesen Vorteil haben nicht viele Hobbys. Manchmal stehe ich am Wasser und freue mich, weil ich weiß: Hier kommt kein Aktivist vorbei und will mich agitieren, an dieser oder jener Aktion teilzunehmen. Das ist dann von Vorteil, wenn man bereits die ganze Woche zuvor zum Mitmachen an mehr oder weniger sinnvollen Aktionen bewegt werden sollte.
Angler haben einen anderen angenehmen Wesenszug: Sie reden nicht ununterbrochen. Am Wasser sind Angler sehr schweigsam. Das hat übrigens in erster Linie nicht den Grund, dass sonst die Fische abhauen (was sie ungünstigerweise eh meistens tun), sondern dass Angler sich generell auf die wesentlichen Sätze konzentrieren: Was gefangen? Nein! Na dann noch viel Glück! Ende. Bei vielen anderen Hobbys wird mittlerweile ja pausenlos gelabert: beim gemeinsamen Joggen, beim Fahrradfahren oder etwa im Fitnessstudio. Also geht auch hier der Punkt an die Anglerinnen und Angler. Allerdings bedeutet diese Geruhsamkeit am Wasser nicht, dass Anglerinnen und Angler keine geselligen Menschen sind. Wenn ich zum Angelstammtisch gehe, wird dort sehr engagiert berichtet und analysiert. Meistens wird von Fängen übertriebener Größe erzählt. Daher weiß man als angelnder Linker: Von verkündeten Errungenschaften kann man immer 15 Prozent abziehen. Ein Grundsatz, der auch in der Politik gilt.
Die Zeit, die man in der Natur verbringt, hat etwas immens Beruhigendes: Man klinkt sich aus und genießt das Wasser und das, was man da so sieht und hört. Es hat etwas Meditatives, ohne dass man dabei bekloppt wird. Daher kann man behaupten, dass die Angelei ein probates Mittel gegen Esoterik und andere unangenehme Sinnsuche-Versuchungen ist und damit von Linken unbedingt unterstützt werden sollte.
Dann gibt es noch eine gute Sache: Oft werde ich gefragt, was man während der Stunden, die man auf den Fisch wartet, so denkt. Interessanterweise wenig, was ja durchaus erholsam sein kann, wenn man sonst sehr viel denkt, wie das bei Linken oft der Fall ist. Hin und wieder denke ich höchstens, ob ich mal einen anderen Köder ausprobieren und die Angel an einer anderen Stelle auswerfen sollte. Nach vier, fünf Stunden stellt sich so eine angenehme Ruhe ein.
Eine weitere angenehme Eigenschaft der Angelei: Man trifft dabei keine Grünen. Sie sind unter Anglern so unbeliebt wie der Kormoran, der wiederum bei Grünen sehr beliebt ist. Dabei sind Anglerinnen und Angler die wohl aktivsten Naturschützer (Gewässerpflege, Besatz, Aufräumaktionen).
Neben diesen vielen Argumenten gibt es auch ein kulinarisches Argument: Als Angler weiß man, was wirklich frischer Fisch ist. Das ist in den Ballungsgebieten ein nahezu unbekannter Genuss.
Last but not least: Die organisierten Anglerinnen und Angler sind eine wirkliche Massenorganisation. Erfreulich dabei: eine Massenorganisation, die Sinnvolles tut und andere nicht penetrant agitiert. Daher plädiere ich für einen linken Entrismus in die Angelverbände. Dann geht’s auch mit den Linken wieder bergauf. Und zwar entspannt.
Unser Autor ist Mitglied des Bundestages und des Anglervereins Bitterfeld e. V.