Augenwischerei bei der Bestandsdatenauskunft
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal, liebe Kollegin Piltz, lieber Kollege Hartmann: Ich finde, es ist eine sehr gesunde Entwicklung, dass es bei vielen Bürgerinnen und Bürgern einen Reflex ‑ von mir aus auch einen Pawlow’schen Reflex ‑ auslöst, wenn wir im Bundestag über Bürgerrechte und Daten diskutieren. Es ist eine gute Entwicklung, dass die Leute im Hinblick auf das, worüber wir hier diskutieren, skeptisch sind. Das ist eine hervorragende Entwicklung, die ich außerordentlich begrüße.
[Beifall bei der LINKEN - Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Ja! Ohne Frage! - Reinhard Grindel (CDU/CSU): Weil sie nicht wissen, worum es geht!]
Nun ist es so: In der Tat ist der Gesetzentwurf, der heute vorliegt, besser als der Gesetzentwurf, der vorher vorgelegen hat. Aber er ist deswegen leider noch immer nicht gut. Liebe Kollegin Piltz, die Kernfrage lautet doch: Wann rückt man was heraus, und unter welchen Auflagen tut man das?
[Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau das! - Reinhard Grindel (CDU/CSU): Sie hätten mal das Schwarzgeld von der SED rausrücken sollen!]
Hier gibt es zwischen uns einen Dissens, was den heute vorliegenden Gesetzentwurf angeht. Denn ‑ das haben Sie richtig gesagt ‑ es geht bei PINs, IP-Adressen und PUKs in der Tat um sehr sensible Daten. Es geht aber auch um die Frage: Wie regeln wir den Zugriff, den die Sicherheitsbehörden darauf haben möchten, und zwar logischerweise in großem Umfang? Richtig ist auch: Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass eine allgemeine Auskunftspflicht verfassungskonform ist. Deswegen diskutieren wir heute über die Ausgestaltung. Da liegt der Dissens.
Die nächste Anmerkung, die ich machen will. Wenn eine ganz große Koalition in diesem Haus, also CDU/CSU und SPD ‑ das muss einen schon skeptisch machen ‑ zusammen mit der FDP einen Gesetzentwurf zur inneren Sicherheit hochjubelt, sind größte Vorsicht und Skepsis geboten.
[Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist das! - Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Was hättet ihr denn gemacht?]
Deswegen schrillen bei allen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, die Alarmglocken.
[Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Wie würde denn das Gesetz bei euch aussehen?]
Nun konkret zu einigen Punkten:
Punkt eins: der hochgerühmte Richtervorbehalt, zum Beispiel im Hinblick auf PINs und PUKs.
[Marco Buschmann (FDP): Oh! Jetzt kommt auch noch Justizschelte!]
Er ist in der Tat ein Fortschritt dieses Gesetzentwurfes.
[Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Na also!]
Aber diese Regelung ist nicht einmal ansatzweise ausreichend, zumal diese Anordnung bei Gefahr im Verzug bekanntermaßen ‑ so steht es im Gesetzentwurf ‑ durch einen Staatsanwalt oder einen Polizeibeamten erfolgen kann und dann eine nachträgliche Benachrichtigung stattfinden muss.
[Marco Buschmann (FDP): Aber das ist doch völlig üblich! Das ist doch systematisch überall so!]
Das geht an der Realität völlig vorbei. Das bedeutet nämlich konkret die Aushebelung des Richtervorbehalts. Das kritisieren wir.
[Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Wie hättet ihr das Gesetz gemacht?]
- Ich sage dazu etwas, Kollege Hartmann.
Zweiter Punkt: die Benachrichtigungspflicht. In der Anhörung war klar: Eine Benachrichtigungspflicht muss es bei allen Eingriffen geben. Vorgesehen ist aber eine Einschränkung der Benachrichtigungspflicht - ich darf aus dem Gesetzentwurf zitieren: "Die Benachrichtigung erfolgt, soweit und sobald hierdurch der Zweck der Auskunft nicht vereitelt wird. Sie unterbleibt, wenn ihr überwiegende schutzwürdige Belange Dritter oder der betroffenen Person selbst entgegenstehen." Übersetzt bedeutet das nichts anderes, als dass es real zu fast gar keinen Benachrichtigungen kommen wird; denn diese Formulierung lässt sich immer so interpretieren, dass nicht benachrichtigt werden muss. Das muss kritisiert werden.
[Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN]
Übersetzung ist also notwendig bei den schönen Worten, die Sie hier vorgelegt haben, um das Ganze zu verschleiern.
Dritter Punkt: Die Abfrage von Kommunikationsdaten ist bei allen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten möglich. Da müssen wir einmal festhalten, dass es krass unverhältnismäßig ist - bei solch sensiblen Daten - damit Ordnungswidrigkeiten aller Art zu verfolgen. Das kann hier doch nicht allen Ernstes als fortschrittlich verkauft werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
[Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Jetzt eure Vorschläge!]
Lieber Kollege Hartmann, man hätte - wie es in der Sachverständigenanhörung vorgeschlagen wurde; ich glaube, dieser Vorschlag kam sogar von Ihren Sachverständigen ‑ im Falle der Ordnungswidrigkeiten zumindest konkret etwas aufführen können; aber das ist leider nicht geschehen.
Vierter Punkt. Durch die Kompetenzen, die hier eingeräumt werden, wird das BKA weiter zu einer allumfassenden Internetpolizei ausgebaut.
[Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es! - Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Schön wär’s!]
Das ist eindeutig so. ‑ Auch das ist zu kritisieren. Das wollen wir nicht.
[Beifall bei der LINKEN]
Ich fasse zusammen: Was die ganz große Koalition hier vorgelegt hat und mit großem Brimborium als eine Verbesserung verkauft, ist, um es einmal in der extremsten Form diplomatisch auszudrücken, Augenwischerei.
[Marco Buschmann (FDP): »In der extremsten Form diplomatisch», hat er das jetzt wirklich gesagt?]
Es ist eine Ausweitung von Überwachungsbefugnissen. Wir brauchen aber eine massive Beschränkung und Einschränkung von Überwachungsbefugnissen. Deswegen wird die Fraktion Die Linke diesen Gesetzentwurf selbstverständlich ganz deutlich ablehnen.
Schönen Dank.
[Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Peter Röhlinger (FDP): Völlig überraschend!]