Jan Korte, MdB (DIE LINKE) (www.jan-korte.de)

Wenn alle von allen alles wissen wollen

04.07.2013
Jan Korte

Erschienen auf www.linksfraktion.de

Der 30 Jahre alte IT-Spezialist Edward Snowden hat vor wenigen Wochen ein Überwachungsprogramm aufgedeckt, welches in seiner Dimension alle Grenzen sprengt. Der US-Militärgeheimdienst National Security Agency (NSA) überwacht und speichert den weltweiten Kommunikationsverkehr. Alleine in der Bundesrepublik werden am Tag laut SPIEGEL im Schnitt 20 Millionen Telefonverbindungen und 10 Millionen Internetdatensätze aus E-Mails und Telefonaten, SMS und sogar Chat-Protokollen gespeichert. Auch der britische Geheimdienst Government Communications Headquarters (GCHQ) zapft den weltweiten Datenverkehr an und kann laut Snowden bis zu 600 Millionen Telefonverbindungen täglich erfassen.

US-Präsident Obama hat die massenhafte Sammlung von Kommunikationsdaten mit dem Kampf gegen den Terror erklärt. Auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich verteidigte das Ausspähprogramm Mitte Juni, obwohl schon zu diesem Zeitpunkt klar war, dass das Überwachungs- und Speicherungsverhalten der Geheimdienste dazu führt, dass das in der Bundesrepublik geltende Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung massiv angegriffen wird und hier somit ein verfassungswidriger Zustand herrscht. Für den eigentlich so auf Recht und Ordnung abgerichteten "obersten Verfassungsschützer" kein Problem: Ohne Umschweife verteidigte er bei dieser Gelegenheit die Ausweitung des Überwachungsprogramms des Bundesnachrichtendienstes (BND) und wähnte sich damit in derselben Reihe mit den USA und Großbritannien: In einem Club der Herrschenden, die für ihre Bevölkerung definieren, wie viel Überwachung und Kontrolle sie im Sinne der Sicherheit zu erdulden haben.

Am 30. Juni konnte die Bundesregierung in der Presse lesen, sie sei niemals Mitglied in diesem erlesenden Club gewesen: die Bundesrepublik wäre für die USA ein sogenannter "Partner dritter Klasse" und vermutlich selber abgehört worden. Nicht nur Innenminister, der gestern noch alles vorbildlich fand, sondern auch der Bundespräsident, der seine Familie durch die USA-Lauscherei bis vorgestern geschützt sah, jammert heute über die Anmaßung des Freundes.

Warum machen die Geheimdienste das überhaupt? Weil die Regierungen, die Militärs, die Geheimdienstler und die großen Unternehmen in aller Welt davon ausgehen, dass es wichtig ist, alles von allen zu wissen. Und weil die technische Entwicklung Informationssammlungen und Informationsauswertungen in einem Umfang möglich gemacht hat, von dem totalitäre Denker in Politik und Literatur bisher nur geträumt haben.

Deshalb ist es zwar hochinteressant zu erfahren, was die Geheimdienste im Einzelnen mit all den Daten anfangen. Geht es also um Wirtschaftsspionage, um Bevölkerungskontrolle oder um das Ausspionieren weltweiter Interessen von Freund und Feind? Vermutlich schon. Um Terrorismus geht es vor allem dann, wenn die Überwachung gerechtfertigt werden muss. 

Wichtiger aber als die genaue Verwendung der Daten ist die dahinter steckende Logik der Herrschenden - um auch den Begriff mal wieder zu verwenden. Am Zustandekommen dieser Datenexzesse haben schließlich alle mitgearbeitet: Die Daten der Bürgerinnen und Bürger und ihre Auslieferung an eben den jetzt so scharf kritisierten Freund haben alle abgehörten Institutionen hierzulande und in der EU durchaus in Ordnung gefunden - ja mehr noch. Sie haben sie selbst aktiv und gegen Widerstand einer kritischen Öffentlichkeit und der inner- und außerparlamentarischen Opposition vorangetrieben und durchgesetzt. Fluggastdaten (PNR), Bankdaten (SWIFT) und anderes - alles für den Freund, weil man selbst davon profitiert und das alles auch selbst haben wollte: Nach den internationalen PNR-Abkommen folgt konsequenterweise das EU-eigene.

Nationale Instrumente wie Kontenabruf, Bestandsdatenauskunft, TKÜ - alles mit Zustimmung der jetzt Empörten. Die Rechtsgrundlagen mögen andere sein - die Logik dahinter ist dieselbe.

Und so wissen die Bundesregierungen aller Farbkombinationen natürlich, dass seit Jahren intensiv Daten zwischen den Diensten der USA, der BRD und der EU ausgetauscht werden, dass nach ihrer Herkunft nicht gefragt wird. Und was ich im eigenen Land nicht darf, kann vielleicht der Freund für mich erledigen. Die jetzt aufgeflogene Praxis ist kein einseitiges Datenabgreifen - es handelt sich um ein Karussell, das auf unterschiedlichem Niveau im Kern aber alle gemeinsam betreiben. Wer mit einem Finger auf die USA zeigt, zeigt mit vier auf sich selbst - selten war dieses Sprüchlein so zutreffend wie in diesem Fall.

Allein schon, um den Vorwurf des Messens mit zweierlei Maß auszuräumen, muss die Bundesregierung ein bedingungsloses und praktisches Bekenntnis zu den in unserer Verfassung garantierten Grundrechten der Bürgerinnen und Bürger abgeben. Das bedeutet zum einen, für bedingungslose öffentliche Aufklärung zu sorgen: Was haben Kanzleramt und Bundesbehörden über die ausländischen Aktivitäten gewusst? Was machen die eigenen Dienste? Zweitens muss sie mit gutem Beispiel vorangehen: Das Überwachungsprogramm des BND auflösen, das anlasslose Sammeln und Weitergeben von Bürgerdaten einzustellen und sich endgültig von der Vorratsdatenspeicherung verabschieden. Und sie muss auf internationaler Ebene für eine zügige Abrüstung bei der Überwachung einsetzen. Um dies bei der Bundesregierung einzufordern hat sie eine Sondersitzung des Bundestags beantragt.

Was vorher schon klar war, hat der Überwachungsskandal noch bestätigt: Wie viel von unserer alltäglichen Kommunikation von Seiten der Staats und der Wirtschaft abgegriffen wird, können wir nur teilweise beeinflussen. Wenn wir in unserem Alltag nicht überwacht werden wollen, wenn wir unsere Daten nicht ausbeuten lassen wollen wie einen beliebigen Kartoffelacker und unsere Selbstbestimmung nicht aufgeben wollen, hilft nur politischer und gesellschaftlicher Widerstand.

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