Die Kontrollgesellschaft in ihrem Lauf
Wie in jeder Koalitionsverhandlung unter Beteiligung von CDU und CSU in den letzten Jahrzehnten so auch diesmal: Der konservative Innenminister hat eine Wunschliste und zieht damit in die Verhandlungen. Das diesmal 30 Seiten umfassende "Positionspapier" enthält nach Medienberichten offenbar jede Menge Ideen für eine Ausweitung von Eingriffsbefugnissen und Überwachungsmöglichkeiten der Sicherheitsbehörden.
Begierden der Rundum-Kontrolleure
Neben der offenbar schon beschlossenen Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, massiv erweiterten Befugnissen des Verfassungsschutzes, einer Ausweitung der Videoüberwachung auf Straßen, Plätzen und in Fußgängerzonen, erregte vor allem Friedrichs vollkommen unverhältnismäßige Forderung, Strafverfolgungsbehörden künftig auf die Maut-Daten zugreifen zu lassen, mediales Aufsehen. Bei der vor rund zehn Jahren erfolgten Einführung der LKW-Maut wurde noch hoch und heilig versprochen, die erhobenen Daten nur zu Abrechnungszwecken und keinesfalls zur Erhebung von Bewegungsprofilen von Autofahrern zu nutzen. Seitdem flackern die Begierden der Rundum-Kontrolleure immer wieder auf. Im Zuge der Verhandlungen über die von der CSU geforderte PKW-Maut versuchte Innenminister Friedrich (CSU) nun im Huckepackverfahren gleich auch noch die Vorratsdatenspeicherung der Bewegungsdaten durchzusetzen. Die Forderung wurde inzwischen zwar gekippt, seine Aufgabe könnte der scheinbar ungeschickte Vorstoß trotzdem erfüllt haben.
Überwachung der Internetkommunikation soll ausgeweitet werden
Denn im Trubel um die Maut-Daten gingen die anderen, zum Teil noch gravierenderen ins Spiel gebrachten Überwachungsideen, wie die Komplettauswertung des Datenverkehrs der Bundesbürger, nahezu unter. Nach den bisher bekannten Plänen soll die Überwachung von großen Internetknoten, an denen die Datenströme der großen Provider zusammenlaufen, ausgeweitet werden. Offenbar möchte die Union auf diese Weise die Praxis des BND im Nachhinein legalisieren: Anfang Oktober hatte der Spiegel berichtet, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst seit mindestens zwei Jahren die Leitungen von 25 Internetprovidern, vermutlich hauptsächlich am Frankfurter DE-CIX, dem größten Internetknoten der Welt, belauscht. Auch der Zugriff auf die Internetkommunikation über offene W-Lan-Netze oder Internet-Cafés soll künftig "durch Ausleitung an den Netzknoten" möglich werden. Zwar soll ein Weg zur "zielpersonenspezifischen Ausleitung" gefunden werden, zunächst einmal geriete aber der gesamte Datenverkehr ins Visier der Schlapphüte.
Es droht ein datenschutz- und bürgerrechtlicher Dammbruch
Schon das Totalversagen der Sicherheitsbehörden im Falle des NSU-Terrors endete in einer deutlichen Stärkung der Versager. Wer gedacht hätte der Überwachungsskandal mit ihren aus dem Ruder gelaufenen Geheimdiensten würde nun endlich die Bundesregierung dazu veranlassen Demokratie und Bürgerrechte zu stärken, muss nun erkennen, dass es genau anders herum läuft: Bei der Union scheinen alle politischen Hemmungen verschwunden zu sein. Sie will die US-Überwachungspolitik in die Bundesrepublik importieren und im Bereich der inneren Sicherheit massiv aufrüsten. Selbst wenn sie auch nur einen Teil ihrer Forderungen durchsetzt, droht auf breiter Front ein datenschutz- und bürgerrechtlicher Dammbruch. Schon bei der Debatte um die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung hat sich gezeigt, dass Bürgerrechte keinen Platz bei den Koalitionsverhandlungen haben. Die SPD wird sich, auch Dank Friedrichs Horrorwunschliste, zwar als Hüterin des Rechtstaates zu bemänteln versuchen, indem sie sich die Verhinderung oder Mäßigung dieser und jener Forderung der Union auf ihre Fahnen schreibt. Tatsächlich wird sie aller Wahrscheinlichkeit nach aber einmal mehr ein williger Partner sein, wenn es um die Ausweitung von Überwachungsmaßnahmen geht, bei der sie in der Vergangenheit gelegentlich die Union sogar rechts überholt hat.
Der Marsch in den Überwachungsstaat folgt allerdings keinem Naturgesetz: Im Bundestag könnte die SPD zusammen mit LINKEN und Grünen die Chance ergreifen und eine von breiten Teilen der Gesellschaft getragene Politik beschließen, die den Sicherheitshardlinern Grenzen setzt. Persönliche und individuelle Freiheit der Bürgerinnen und Bürger und der Schutz ihrer Rechte gehören endlich wieder ins Zentrum der Innenpolitik. Die Aufklärung des Überwachungsskandals wäre dafür eine erste Gelegenheit.
erschienen auf linksfraktion.de, 8. November 2013