"Bruch mit dem autoritären Sozialismus"
Als ich 1999 in die PDS eintrat war klar, dass ich damit politische – nicht persönliche – Verantwortung für eine Geschichte annahm. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Realsozialismus war Anforderung der Menschen an die PDS im Westen – und wohl auch im Osten. Für mich als jungen Linken aus dem Westen waren der Bruch mit dem Stalinismus als System und die offene, selbstkritische und selbstbewusste Auseinandersetzung der PDS hiermit wesentliche Gründe, ihr beizutreten.
Bruch mit dem Stalinismus als System, das bedeutete für mich den Bruch mit einem dogmatisch-autoritären Sozialismus, mit dem Denken in simplen Freund-Feind-Kategorien, mit dem – meistens lauthals – verkündeten Anspruch, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. Es bedeutet auch den Bruch mit dem verheerenden Aufspüren von innerparteilichen Abweichlern, mit dem Glauben, von Feinden umzingelt zu sein, sich von der Gesellschaft abzukapseln und zu verbalradikalisieren und letztlich den Bruch mit einem Denken, welches Kritik nicht als Wert an sich begreift.
Besonders Lothar Bisky, Gregor Gysi und eben Michael Schumann standen für diesen Bruch, der ein einmaliger Aufbruch war: die Transformation einer autoritären, marxistisch-leninistischen Staatspartei in eine plurale, lebendige und demokratische Linke. Diese Auseinandersetzungen bis ins Persönliche waren und sind auch wichtig für einen Teil der Westlinken und sind in vielen Punkten hier genauso notwendig.
Die Absage an den Stalinismus bedeutet auch Zurückweisung von Antikommunismus. Der Antikommunismus war u. a. so wirkmächtig, weil er einige reale Anknüpfungspunkte hatte. Antistalinismus bedeutete also, dem autoritären Sozialismus eine Absage zu erteilen und gleichzeitig für einen libertären Sozialismus zu kämpfen. Antikommunismus will mehr Gleichheit verhindern. Auch deshalb finde ich es für eine linke Partei existenziell, dies geschichtlich sichtbar zu machen.
Oskar Negt hat zur Notwendigkeit linker Geschichtskompetenz gesagt: »Erst wenn wir einen Begriff von der Vergangenheit haben, gewinnen wir die Utopiefähigkeit zurück, können wir Befreiungsfantasien entwickeln, die aus wissender Hoffnung bestehen.« Wenn wir heute Menschen für den demokratischen Sozialismus begeistern wollen, müssen wir deutlich sagen, wie wir ihn nicht wollen und was wir aus dem Scheitern – differenziert bei Nennung des Erreichten! – gelernt haben.
Das bedeutet die Absage an den Avantgardegedanken und den Glauben, man müsse dem Glück der Massen ein wenig nachhelfen. Dazu eine innerparteiliche Kultur, die zum Mitmachen einlädt und Autoritäten in Frage stellt, die Fähigkeit, die unterschiedlichsten und spannendsten Politik- und Lebensgeschichten anzunehmen. Wichtig ist mir, wenigstens in geschichtlichen Identitätsfragen das elendige innerparteiliche Schubladendenken zu überwinden. Gerade bei der Auseinandersetzung mit linker Geschichte sollten wir unterstellen, dass alle Genossinnen und Genossen sie als wichtige, politische und persönliche Frage begreifen. Diese Auseinandersetzung ist für die Glaubwürdigkeit der eigenen Partei wichtig. Was andere dazu sagen, braucht uns hier nicht zu interessieren.
Es gilt in der aktuellen Auseinandersetzung auch darum, an Opfer des Stalinismus zu erinnern. Zum Beispiel an Walter Janka. In seinem Essay »Schwierigkeiten mit der Wahrheit«, der mich sehr bewegt hat, schreibt er: »Um neu zu beginnen, muss das Alte überwunden werden. Was nicht von selbst stürzt, muss man abtragen. Aber mit dem Abtragen allein ist es nicht getan. Man muss auch wissen, worin das Neue besteht, wie es besser zu machen ist.«
Wenn wir Jankas Erfahrungen ernst nehmen, ist eine selbstbewusste und selbstkritische Geschichtsdebatte bereits Teil des »Neuen«. Und wenn man sich dementsprechend solidarisch darauf einigt, dieses Neue jeden Tag neu zu erfinden und zu hinterfragen, dann hat man einen großen Vorteil gegenüber allen anderen Parteien: die Freude und den Stolz, demokratischer Sozialist und Antistalinist zu sein.
Erstmals erschienen in 'neues deutschland' am 6. August 2011.