"Die Marine und ihre falschen Helden"
Georg Ismar berichtet im Tagesspiegel anlässlich des 80. Todestages von Kapitän Hans Langsdorff über die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zum "Umsetzungsstand des neuen Tradionserlasses in der Marine".
Dieser ist im März 2018 in Kraft getreten, doch nach wie vor gibt es etliche Fälle, in denen Protagonisten aus Kaiserlicher Marine und Kriegsmarine, die als überzeugte Militaristen, Anti-Demokraten oder glühende Nationalsozialisten Teil der Traditionspflege der Marine sind. Langsdorff hingegen, der sich im Dezember 1939 weigerte in ein aussichtloses Gefecht mit britischen Schiffen zu ziehen, stattdessen sein Schiff „Graf Spee“ vor der Küste Uruguays versenkte, nachdem er vorher die Besatzung in Buenos Aires an Land gehen ließ und so über 1000 Seeleute rettete, spielt im Gedenken der Bundesmarine so gut wie keine Rolle. In ihrer Antwort versucht die Bundesregierung das unrühmliche Traditionsverständnis der Marine zu rechtfertigen und verbreitet dabei hanebüchene Positionen.
So stellt die Bundesregierung u.a. fest, dass die „Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr (Traditionserlass) sowohl in der Marine, als auch in den anderen Organisationsbereichen der Streitkräfte angewendet werden und Handlungssicherheit in der Traditionspflege geben.“ Der laufende Befehl der Marine 069-18 „Überprüfung der Benennung von Infrastrukturelementen in Liegenschaften der Marine“ sei ausgeführt worden und „alle Dienststellen der Marine haben Benennungen, die nicht den Vorgaben des Traditionserlasses entsprechen, identifiziert und entsprechende Vorschläge für Umbenennungen vorgelegt“. Welche Benennungen, die nicht den Vorgaben des Traditionserlasses entsprechen, identifiziert und welche Vorschläge für Umbenennungen vorgelegt wurden, verschweigt die Bundesregierung leider.
Klar ist für sie allerdings, dass rätedemokratische Zielsetzungen antidemokratisch sind und daher für die Bundeswehr nicht traditionswürdig sein können: „Die Matrosen Max Reichpietsch (1894-1917) und Albin Köbis (1892-1917) stehen in ihrer politischen Zielsetzung jedoch für die Errichtung einer antidemokratischen Räterepublik nach sowjetischen Vorbild. Für Streitkräfte einer Demokratie können sie daher nicht traditionswürdig sein.“
Wie sich Reichpietsch und Köbis, die am 5. September 1917, also zwei Monate vor der russischen Oktoberrevolution, wegen ihres antimilitaristischen Engagements in der Marine hingerichtet wurden, dabei nach einem sowjetischen Vorbild orientieren konnten, erklärt die Bundesregierung leider ebenfalls nicht.
Tradition entsteht jedoch nicht in Hinterzimmern, sondern in der laufenden Diskussion und im demokratischen Diskurs. Oder banal gesagt: Unsere Geschichte können wir uns nicht aussuchen, unsere Traditionen aber sehr wohl. Und hier muss man leider bilanzieren, dass sich die Marine nach wie vor sowohl mit der Diskussion, als auch mit ihrer Tradition nicht nur extrem schwer tut, sondern offensichtlich noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen ist. Die maßgeblichen Personen verwenden seit Jahren mehr Energie darauf, sich gegen die leider dringend nötigen Interventionen einer kritischen Öffentlichkeit zu wehren, als von selbst ihren Laden zu entrümpeln. Es wird höchste Zeit, dass mit falscher Heldenverehrung Schluss gemacht wird.
"Die Marine und ihre falschen Helden" Der Tagesspiegel am 20.12.2019