"Sind Bürgerräte mehr als ein demokratischer Sandkasten?"
Um den Zustand unserer Demokratie ist es nicht allzu gut bestellt. Nach Artikel 20 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) geht zwar alle Staatsgewalt vom Volke aus. Doch trotz dieser Regelung beschränkt sich deren Ausübung durch die Bevölkerung weitestgehend auf das Wahlrecht. Und da, aber nicht nur dort, hat sich seit längerem ein Drittel der Bevölkerung komplett verabschiedet. Die Arbeit und Funktionsweise der Organe der repräsentativen Demokratie auf Bundesebene können weite Teile der Bevölkerung weder nachvollziehen noch wirksam beeinflussen, da sich ihre Möglichkeiten dazu auf zeitaufwändige und anhaltende Beteiligung in Parteien oder in der Einreichung von Petitionen oder Informationsweitergabe an die Entscheidungsträgerinnen und -träger beschränken. Es ist und bleibt Aufgabe von Politik, Betroffene zu Beteiligten zu machen. Wir brauchen endlich eine Renaissance von Demokratie und Teilhabe. DIE LINKE fordert daher schon seit Jahren, dass die Bürger künftig auf Bundesebene mit Hilfe von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden direkt mitbestimmen können. Dabei geht es uns nicht darum, die parlamentarische Demokratie durch Formen direkter Demokratie zu ersetzen, sondern diese zu ergänzen.
Die Einführung eines Bürgerrates auf Bundesebene kann da ein kleiner, aber nicht unwichtiger Beitrag sein, um das Interesse an der Politik und der Demokratie zu wecken, beziehungsweise es zurückzugeben. Sowohl auf kommunaler, als auch auf Landesebene klappt das ja schon seit längerem gut und auch international gibt es mit Irland ein funktionierendes Vorbild. Zu den Empfehlungen des ersten Bürgerrates 2019 zählte, derartige Bürgerräte öfter einzuberufen. Deshalb war die LINKE auch dafür, dass der Bundestag die Idee aufgreift und Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble die Schirmherrschaft übernommen hat. Wir werden die Durchführung engagiert und kritisch begleiten. Aus unserer Sicht können in den nun festgesetzten fünf Foren durchaus alle unserer Fragen, die die Linksfraktion im Vorfeld zu dem Themenkomplex „Deutschlands Rolle in der Welt“ vorgeschlagen hatte, diskutiert werden. Und wir sind auf die Ergebnisse gespannt. Wie bei allen Beteiligungsverfahren darf auch hier nicht passieren, dass es zwar enorm viel Engagement der Bürger*innen und tolle Ideen und Vorschläge gibt, die Ergebnisse nachher aber in der Schublade verschwinden und überhaupt keine Beachtung und Relevanz mehr finden. Damit dies nicht passiert und aus einer richtigen und wichtigen Idee keine reine Simulation von Partizipation wird, die bei den Beteiligten, die sich zu Recht verarscht fühlen, zu noch mehr Frust und Demokratieverdrossenheit führt, müssen die Ergebnisse angemessen im Plenum des Bundestages diskutiert werden. Wir werden außerdem weiter darauf drängen, dass auch andere Empfehlungen des ersten Bürgergutachtens, wie z.B. die Einführung eines Online-Beteiligungsportals, umgesetzt werden.
Gerade in einer Zeit, wo sich zum wiederholten Mal die Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD in der Frage so weitreichender Einschränkungen der Grundrechte und der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen quasi notorisch einer Debatte, Zustimmung oder Ablehnung im Deutschen Bundestag entzieht und wir einen Grad der Missachtung des Parlaments erreicht haben, der nicht länger hinnehmbar ist, ist die Frage der Stärkung der Demokratie und des Parlaments immer wichtiger geworden. Der Bundestag muss wieder der zentrale Ort gesellschaftlicher Debatten und Entscheidungsprozesse werden. Und mehr Beteiligung kann dazu beitragen, dass er wieder an Akzeptanz gewinnt.
Dass der Bundestag darüber hinaus selbst auch noch seine Hausaufgaben in Sachen einer Verbesserung der demokratischen Prozesse und der Partizipationsmöglichkeiten von Bürger*innen machen muss, versteht sich von selbst. Hier sehen wir z.B. die Stärkung der Petitionen, bei denen die Schwelle von 50.000 Unterzeichnenden nach wie vor extrem hoch liegt, und die Schaffung von mehr Transparenz durch die Einführung eines umfassenden und verpflichtenden Lobbyregisters, als drängende Aufgaben.
Über die Arbeit des zweiten Bürgerrates zu "Deutschlands Rolle in der Welt" berichten TELEPOLIS und die taz:
"Sind Bürgerräte mehr als ein demokratischer Sandkasten?" (TELEPOLIS vom 2.2.2021)
"Retten sie die Demokratie?" (taz vom 21.2.2021)