Kein 9. November wie jeder andere
Das ist kein 9. November wie jeder andere. Kein 9. November, an dem man kurz die Novemberrevolution von 1918/1919 erwähnt, danach an den Fall der Mauer 1989 erinnert, um sich dann einem der düstersten Momente der deutschen Geschichte zuzuwenden: der Reichspogromnacht im Jahr 1938, vor 85 Jahren. Man kann heute nicht bloß nacherzählen, dass das der Moment war, an dem Jahre der antisemitischen Hetze und Diskriminierung in eliminatorische Gewalt gegen Jüdinnen und Juden in ganz Deutschland umgeschlagen sind, um dann – wie jedes Jahr – dazu aufzufordern, die eigene Geschichte zu bedenken und wachsam bei Antisemitismus zu sein.
Heute muss leider ganz konkret festgestellt werden, dass sich viele Jüdinnen und Juden in Deutschland nicht mehr sicher fühlen. Dass sich der Antisemitismus auf der Straße Bahn bricht wie lange nicht mehr, mit all seinen hässlichen Fratzen: Sei es ein jüdisches Gemeindezentrum in Berlin, das mit einem Brandsatz attackiert wurde, seien es vermeintliche Wohnhäuser von Jüdinnen und Juden, die mit Davidsternen markiert werden oder die Tatsache, dass sich jüdische Eltern jeden Tag zweimal überlegen müssen, ob sie ihre Kinder in den Gemeindekindergarten oder in die Schule schicken können.
Das barbarische Massaker der Hamas vom 7. Oktober war eine Zäsur für Jüdinnen und Juden weltweit. Einerseits, weil es gezeigt hat, dass der jüdische Staat Israel als Garant für ihre Sicherheit eben doch schmerzlich verwundbar war und andererseits, weil Hass und Hetze gegen sie seitdem noch einmal mehr zugenommen haben. Machen wir uns nichts vor: Wer Jüdinnen und Juden für die Politik Israels – oder in diesem Falle die Verteidigung der eigenen Bürgerinnen und Bürger gegen den Terror – verantwortlich macht, offenbart damit seinen Antisemitismus. Wer Israel nach dieser Attacke das Recht auf Verteidigung gegen islamistische Terrororganisationen wie die Hamas abspricht, nimmt weitere Tote in Kauf und offenbart damit seinen Antisemitismus. Und auch vermeintliche Linke, die im Lichte des Schreckens, den Krieg mit sich bringt, Verständnis für die Islamisten zeigen, offenbaren damit ihren Antisemitismus.
Den Stimmen, die die aktuelle Situation für eine Abschiebedebatte instrumentalisieren wollen, muss ebenso eine Absage erteilt werden. Wer nun ausschließlich von importiertem Antisemitismus spricht, hat den Schuss nicht gehört. Schon vor dem 7. Oktober gab es einen kontinuierlichen Anstieg antisemitischer Straftaten. Inzwischen werden nahezu täglich Gedenkstätten und Erinnerungsorte angegriffen. Antisemitismus ist schon in den vergangenen Jahren offener und salonfähiger geworden.
Wer „Nie wieder“ ernst meint, muss jetzt handeln. Gehen Sie auf die Straße. Solidarisieren Sie sich. Und zeigen Sie immer klare Kante.