Jan Korte, MdB (DIE LINKE) (www.jan-korte.de)

Raubbau an Bürgerrechten geht weiter

06.09.2011
Jan Korte, DIE LINKE: Raubbau an Bürgerrechten geht weiter

DIE LINKE steht für Sicherheit im Alltag. Gut ausgebildetes, bezahltes und motiviertes Sicherheitspersonal ist dabei wichtiger und wirkungsvoller als Technik- und Datensammelprojekte. In seiner Rede zum Einzelplan 06 des Bundeshaushalts, dem Etat des Bundesinnenministeriums, erinnert Jan Korte die Bundesregierung auch an die Verantwortlichkeit des Innenministeriums für Ostdeutschland. Der Beauftragte für die ostdeutschen Bundesländer, Dr. Christoph Bergner, sei »bisher bundesweit vor allem dadurch aufgefallen, dass er überhaupt noch nicht aufgefallen ist«, so Korte in seiner Rede.

Jan Korte (DIE LINKE):

»Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden über den Einzelplan 06. Es geht um rund 5,5 Milliarden Euro. Ein wesentlicher Teil davon betrifft die innere Sicherheit. Deswegen möchte ich damit beginnen.

Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass sich die fürchterlichen Anschläge von New York zum zehnten Mal jähren. Ich will kurz daran erinnern, was seit diesem Anschlag in der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der inneren Sicherheit verabschiedet wurde. Ich erinnere an das Terrorismusbekämpfungsgesetz, an die Ausweitung der Videoüberwachung, an den biometrischen Reisepass, an die Antiterrordatei, an das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz, an das Fluggastdatenabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika, an die Vorratsdatenspeicherung, an den Polizeidrohneneinsatz, an das SWIFT-Abkommen und vieles andere mehr. Das war nur ein kleiner Überblick.
[Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Ein bisschen langsamer! Das kann man sich ja gar nicht merken!]

Erst wenn wir uns das in der Gesamtschau anschauen, können wir feststellen, dass der Weg in den präventiven Überwachungsstaat fortgesetzt wird. Auch der Einzelplan 06 weist trotz oder wegen der FDP; so genau weiß man das nicht genau in diese Richtung. Deswegen werden wir diesen Haushalt das kann ich Ihnen vorab sagen ablehnen.
[Beifall bei der LINKEN Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Das ist überraschend!]

Es ist schon daran erinnert worden, dass es auch um die Sicherheit der Menschen im Alltag geht. Die Alltagssicherheit auf den Märkten und Plätzen in diesem Land wird nicht dadurch gewährleistet, dass wir wider besseres Wissen eine Vorratsdatenspeicherung einführen. Sie wird auch nicht durch die Onlinedurchsuchung verbessert, sondern beispielsweise dadurch, dass die Kontaktbeamten in Ostdeutschland sind das die Abschnittsbevollmächtigten ansprechbar sind, wenn die Menschen Probleme und Alltagssorgen haben. Das wäre der richtige Weg. Dafür steht DIE LINKE.
[Beifall bei der LINKEN]

Ich habe einige Punkte, die im Bereich der inneren Sicherheit beschlossen worden sind, angeführt. Wir haben, da wir konstruktiv sind und miteinander ins Gespräch kommen wollen, einmal nachgefragt, ob das etwas gebracht hat, ob wir all diese Gesetze überhaupt brauchen. Ich möchte drei Beispiele anführen.

Erstens. Die Onlinedurchsuchung war in der letzten Legislaturperiode ein Thema, das die Menschen sehr bewegt hat. 2010 haben wir die Bundesregierung gefragt: Wie viele Onlinedurchsuchungen haben Sie eigentlich durchgeführt? Die Antwort der Bundesregierung ist sehr interessant: keine einzige. Wir haben ein Jahr später erneut nachgefragt. Was sagt Ihr Haus? Minister Friedrich sagt: Das können wir aus Geheimhaltungsgründen nicht mehr sagen. So geht man bei solch relevanten Grundrechtseingriffen nicht mit dem Parlament um.
[Beifall bei der LINKEN]
Es ist unglaublich, wie stumpf man im Umgang mit dem Parlament sein kann. Es ist doch Aufgabe des Parlaments, solche Befugnisse zu kontrollieren.

Das zweite Beispiel: Wir haben viel über den elektronischen Entgeltnachtweis diskutiert. Er wurde zum Abbau der Bürokratie mit großem Brimborium eingeführt. Das Gegenteil ist richtig. Die FDP merkte, dass ihre Klientel das auch nicht toll fand. Langer Rede kurzer Sinn: Das ganze Projekt wurde beerdigt. Hätten Sie auf die Opposition gehört, hätte man Millionen sparen können. Auch das ist ein Beispiel dafür, dass Sie Projekte initiieren, die wir überhaupt nicht brauchen.
[Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]

Das dritte Beispiel: Die Debatte über den Körperscanner wurde in der Presse und hier im Parlament mit mordsmäßigem Brimborium geführt. Er sollte nicht der absolute, aber ein großer Schritt für mehr Luftsicherheit werden. Ihr Vorgänger, Herr de Maizière, ist selbst durch diesen Körperscanner gegangen; wir erinnern uns daran. Was ist das Ergebnis? Sie haben getestet und getestet und vor allem gezahlt und gezahlt. Das Ergebnis ist, dass die Dinger abgebaut und im Labor wieder aufgebaut werden. Das ist eine unseriöse Politik im Bereich der inneren Sicherheit, um das klar zu sagen.
[Beifall bei der LINKEN - Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Da kennen Sie sich aus!]

All dies ist nur ein kleiner Ausschnitt. Man bräuchte die Redezeit eines ganzen Nachmittags, um das Scheitern all dieser Großprojekte darzustellen.
[Zuruf von der FDP: Nein, das reicht schon jetzt!]

Das Ergebnis ist: Es funktioniert nicht, es wird nicht gebraucht, und es wird Geld verbraucht. Man müsste jetzt die Schlussfolgerung ziehen und sagen: Die ganzen elektronischen Großprojekte, die in die Grundrechte und den Datenschutz eingreifen, werden auf Eis gelegt. Aus der Mitte des Parlaments heraus könnte man mit unabhängigen Rechtsanwälten und mit Bürgerrechtlern eine wirkliche Evaluierung der Frage vornehmen, ob wir all diese Maßnahmen brauchen, ob sie etwas bringen. Dazu sind Sie aber nicht bereit.

In diesem Zusammenhang ist die FDP interessant.
[Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die ist immer interessant!]
Uns wurde eine Kehrtwende in der Sicherheitspolitik versprochen. Nun einigen Sie sich, wobei man hier schlecht von einer Einigung sprechen kann. Sie beugen sich dem Diktat der CDU/CSU und verlängern die Geltungsdauer all dieser überflüssigen Sicherheitsgesetze, nur damit Sie Ihre abenteuerliche und irrwitzige Steuerpolitik durchsetzen können. Dafür opfern Sie den letzten Punkt, in dem Sie Glaubwürdigkeit haben. Von Ihnen ist wirklich in keinem Politikfeld etwas Sinnvolles übrig geblieben; das kann man heute konstatieren.
[Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)]

Eine Umkehr ist geboten. Wir müssen auf vernünftiges Personal setzen. Wir müssen der Privatisierung von Sicherheit ein Ende setzen, und Sie werden auf unseren energischen Widerstand stoßen, wenn Sie ernsthaft Söldnertruppen aufbauen lassen wollen, um Piraten zu jagen. Das ist der völlig falsche Weg. Wir brauchen topfite Beamte und für sie eine bessere Bezahlung, eine bessere Ausbildung und bessere Arbeitszeiten. Das wäre der richtige Weg, um wirklich Sicherheit zu schaffen.
[Beifall bei der LINKEN]

Ich will zu einem anderen Punkt kommen: Nach diesem Haushaltsentwurf soll es 6 Millionen Euro mehr für Integrationskurse geben. Das klingt erst einmal sinnvoll und schlau. Wenn man aber näher hinguckt, dann ist das nicht einmal ansatzweise ausreichend, und zwar aus einem ganz bestimmten Grund. Sehen Sie sich einmal die Beschäftigungssituation der Lehrkräfte in den Integrationskursen an. Reden Sie mit den Leuten, die dort mit sehr viel Engagement tätig sind. Diese Leute müssen zum Teil aufstocken, Sie müssen zusätzlich Hartz IV kassieren, weil sie aufgrund der prekären Beschäftigung in den Integrationskursen nicht vernünftig leben können. Das kann nicht sein. Deshalb sagt die Linke zusammen mit der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft zu Recht: Wir brauchen, um konkret zu werden, ein Mindesthonorar von 30 Euro pro Unterrichtseinheit, weil dort zum großen Teil Selbstständige tätig sind, die sich selbst versichern müssen. Das wäre verantwortungsvoll, um diese Tätigkeit, die mit viel Engagement ausgeübt wird, zu honorieren. Es ist eine einzige Katastrophe, wie Sie prekäre Beschäftigung in einem solchen Feld organisieren. Hier ist eine Umkehr notwendig.
[Beifall bei der LINKEN]

Zu Ihren Mittelkürzungen im Bereich der politischen Bildung um 3 Millionen Euro ist einiges gesagt worden. Das Gegenteil wäre richtig, gerade wenn wir uns das Wahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern im Bereich des Rechtsextremismus angucken. Hier bräuchte man mehr Geld für die politische Bildung. Wo wir gerade bei der Bildung sind: Frau Steinbach hat Polen vor einiger Zeit eine gewisse Mitschuld am Kriegsbeginn 1939 gegeben. Das bedeutet für DIE LINKE ganz eindeutig: Wir brauchen bedeutend mehr Geld für die politische Bildung und weniger Geld für den Bund der Vertriebenen. Das wäre die richtige Antwort, die wir hier geben müssten.
[Beifall bei der LINKEN]

Zum Abschluss meiner Rede noch eine vielleicht interessante Neuigkeit für die Koalitionsfraktionen: Das BMI ist auch für Ostdeutschland zuständig. Das ist Ihnen offensichtlich noch nicht aufgefallen. Deswegen möchte ich heute daran erinnern. Ich möchte auch daran erinnern, dass der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Staatssekretär Bergner, bisher bundesweit vor allem dadurch aufgefallen ist, dass er überhaupt noch nicht aufgefallen ist. Es ist die denkbar schlechteste Konstellation, wenn ein CSU-geführtes Ministerium für Ostdeutschland zuständig ist. Das muss dringend geändert werden. Das ist eine einzige Zumutung.
[Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Dr. Bergner ist ein sehr guter Mann! Das möchte ich hier festhalten!]

Sie, Minister Friedrich, haben keinen Satz zur Situation in Ostdeutschland gesagt. Dort wurde viel erreicht; das ist richtig. Bei der Kinderbetreuung und auch bei alternativen Energien ist dort vieles vorbildlich, aber nach wie vor liegt die Arbeitslosenquote im Westen bei 6 Prozent und im Osten bei über 10 Prozent. Das ist die Realität. Sie sagen dazu nichts. Von Ihnen kommt auch kein Hinweis darauf, dass man bezüglich der Lohnschere zwischen Ost und West etwas tun müsste. Nach wie vor beträgt der Stundenlohn in Ostdeutschland nur 75 Prozent des Westniveaus. Das ist doch nicht hinnehmbar.
[Beifall bei der LINKEN]
Was sagen Sie dazu? Haben Sie einen Plan, das zu ändern? Den haben Sie offenbar nicht.
Die Bundesregierung sagt auch zu diesem Bereich überhaupt nichts. Sie sagen nichts zum Lohnniveau in Ostdeutschland. Sie sagen nichts dazu, dass die Hungerlöhne von heute, die es insbesondere in Ostdeutschland gibt, die Armutsrenten von morgen sein werden. Auch das interessiert Sie offenbar überhaupt nicht. Da muss erst die Linke kommen und Sie daran erinnern. Sie sagen keinen Satz zu dieser Thematik. Das ist ein Skandal. Der Ostbeauftragte hat sich gleich in die letzte Reihe gesetzt. Das kann doch wirklich nicht wahr sein.
[Beifall bei der LINKEN]

In dem Zusammenhang, Herr Kollege Bergner, wäre es zum Beispiel angebracht, in Sachsen-Anhalt dafür zu kämpfen - in Berlin und Brandenburg ist es auf Druck der Linken gelungen - für ältere Langzeitarbeitslose einen öffentlichen Beschäftigungssektor zu schaffen.
[Beifall bei der LINKEN]
Sozialversicherungspflichtige menschenwürdige Arbeit für Langzeitarbeitslose ist die richtige Antwort. Dazu könnten Sie doch einmal etwas sagen.
[Gisela Piltz (FDP): Der Rest der Republik zahlt dafür!]
Dass die FDP für solche Personen nichts übrig hat, wissen wir. Was die Menschen davon halten, wurde gerade eindrucksvoll in Mecklenburg-Vorpommern bewiesen. Es waren sogar noch 3 Prozent zu viel für eine Partei, die solche Positionen vertritt. Das möchte ich klar sagen.
[Beifall bei der LINKEN - Zuruf der Abg. Gisela Piltz (FDP)]

Ich fasse zusammen: Frau Piltz - Sie rufen gerade so schön dazwischen - die FDP hat keine Kehrtwende der Sicherheitspolitik erreicht; der Raubbau an den Bürgerrechten geht weiter. Eine wirkliche Evaluierung findet nicht statt. Zu Ostdeutschland fällt Ihnen gar nichts ein. Das ist vielleicht sogar besser; denn wenn Sie etwas machen, ist es meistens das Falsche. Vielleicht sagen Sie dazu lieber weiterhin nichts und überlassen es der LINKEN, sich um die Belange Ostdeutschlands zu kümmern.
[Beifall bei der LINKEN - Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Armes Deutschland!]

Ich möchte noch etwas mit Blick auf den Rechtsextremismus sagen. Herr Innenminister, es ist unfassbar, dass Sie ausgerechnet die engagiertesten Demokratinnen und Demokraten in diesem Land Demokratieerklärungen unterschreiben lassen. Das ist absurd und eine Frechheit. Vielleicht wäre es jetzt eine vernünftige Geste, diese Regelung endlich zurückzunehmen und diesen Menschen Anerkennung für ihre tägliche Arbeit für eine lebendige Zivilgesellschaft zu geben. Das wäre angemessen.
[Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]

Es ist weiterhin Druck nötig. Ich hoffe, dass nächstes Wochenende viele an der Demo »Freiheit statt Angst« teilnehmen, um gegen diese Bundesregierung,
[Beifall der Abg. Halina Wawzyniak (DIE LINKE)]
gegen diese falsche Politik, die Sie machen, zu protestieren. Die Linke steht für den demokratischen Rechtsstaat, für den Sozialstaat und vor allem für aufmüpfige Bürger, also für all das, für das Sie nicht stehen.

Schönen Dank.«
[Beifall bei der LINKEN]

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