Freiheit und Sozialismus
Die aktuelle Ausgabe des KLARTEXT, dem Magazin der Partei DIE LINKE. Sachsen-Anhalt, widmet sich der Programmdebatte der LINKEN. Jan Korte hat einen Artikel beigesteuert, den wir hier dokumentieren.
Zunächst ist es wirklich erfreulich, dass wir uns nunmehr in einer real-existierenden Programmdebatte befinden. Denn eine solche ist dringend notwendig. Der öffentliche und auch veröffentlichte Disput über die Möglichkeiten demokratisch-sozialistischer Politik kann andere Menschen begeistern. Voraussetzung ist, dass wir die Debatten offen und kritisch führen - ohne Vorurteile, ohne Denunziation und mit der Lust an der Kritik. Kritik ist die Triebfeder linker Debatte. Deshalb will ich zwei Punkte im vorliegenden Programmentwurf kritisieren und Vorschläge für eine andere Richtung machen.
In der Präambel heißt es: »Wo vor allem der Profit regiert, bleibt kein Raum für Demokratie.« Es stellt sich hier sofort die Frage wo wir dann leben? Leben wir etwa in der Diktatur? Solch völlig verkürzte Aussagen tragen einer nötigen und ausdifferenzierten Entwicklung von kapitalistischen Systemen nicht Rechnung. Zumal bei aller Unzulänglichkeit unserer Gesellschaft ein extrem hohes Niveau von demokratischer Verfasstheit erreicht und erkämpft wurde. Ich halte die These, dass sich kapitalistische Produktionsweise und Demokratie grundsätzlich ausschließen, für äußerst fraglich. Hier müsste zuerst geklärt werden, was wir unter Demokratie verstehen und welche Form der Demokratie wir meinen. Zudem ist die monotone Fixierung auf »den« Kapitalismus zu kurz gegriffen: Es gibt doch wohl wirklich Unterschiede unter den kapitalistisch verfassten Ländern. Man kann ja nicht beispielsweise den Sozialstaat in Dänemark mit dem in den USA gleichsetzen. Lange Rede, kurzer Sinn: Wir brauchen eine dezidiert differenzierte Sicht und das Sichtbarmachen von Widersprüchen und Potentialen, die schon heute in dieser Gesellschaft stecken und die wir zum Erreichen einer demokratisch-sozialistischen Gesellschaft benutzen wollen - auf einem transformatorischen Weg.
Zum anderen möchte ich auf ein zentrales Moment einer linken Programmdebatte eingehen: Auch wenn wir eine neue LINKE sind, so sind wir keine geschichtslose Linke. Das gilt für die Geschichte der Linken im Osten, als auch der im Westen. Im Entwurf heißt es: »Ohne Demokratie kein Sozialismus. Deshalb gehörte zum Gründungskonsens der PDS - einer der Vorläuferparteien der LINKEN - der unwiderrufliche Bruch mit dem Stalinismus.« Hier fehlt etwas: Nämlich der Bruch mit dem Stalinismus als System! Die einmalige, historische Leistung aus einer autoritären Staatspartei eine demokratisch-sozialistische Partei zu machen hatte gerade diese Abkehr zum Kern. Diese Abkehr war immer auch die persönliche Auseinandersetzung von vielen Genossinnen und Genossen, die eben nicht ausgetreten sind, sondern den beschwerlichen Weg zur PDS gegangen sind und sehr viel von sich dafür gegeben haben. Stalinismus als System bedeutet eben nicht in erster Linie eine blutige Epoche, mit beschleunigter Industrialisierung, Schauprozessen und Hungerkatastrophen, sondern es bedeutet ein Denk-System, ein Einsortieren in Schubladen, ein Aufspüren von Abweichlern, ein monoschematisches Denken und eine Verächtlichmachung von dissidenter Kritik. Der Historiker Hermann Weber hat den Stalinismus in einem Denken als System trefflich charakterisiert.
Der Anspruch die absolute Wahrheit zu besitzen, die zu so vielen Fehlentscheidungen, Ausschlüssen und auch Verbrechen geführt hat, mündet im Stalinismus als System: »Diese elitäre Überheblichkeit verursacht Realitätsverlust. Es entstand ein durch primitives Freund-Feind-Denken sowie Intoleranz charakterisierter autoritärer Typ des Parteifunktionärs. Zum kommunistischen Verhalten gehörten das ständige ‚wachsame‘ Aufspüren von ‚Feinden‘ und die Verfolgung politischer Gegner, ‚Abweichler‘ und schließlich Andersdenkender.«
Dies zu erkennen und sich klar davon abzugrenzen, ist für mich Grundlage einer modernen, sozialistischen Politik, die Lust aufs Querdenken macht, die Führung stets skeptisch begleitet und die Kritik als wertvolles Mittel zum Voranschreiten ansieht. Nur von einem klaren antistalinistischen Standpunkt aus lässt sich Antikommunismus effektiv bekämpfen, dessen Ziel es ist, die Idee der Gleichheit zu diskreditieren.